Internetriesen aus China und dem Silicon Valley, internationale Private-Equity-Häuser, Autobauer aus Süddeutschland: Eine bunt gemischte Truppe globaler Konzerne liefert sich gerade eine milliardenschwere Übernahmeschlacht. Im Zentrum des Bieterwettstreits: ein Digitalunternehmen aus Berlin-Mitte.

Es ist der Kartenanbieter Here, der an der Chausseestraße gut 1.000 Mitarbeiter beschäftigt und der zu den drei wichtigsten digitalen Kartenherstellern der Welt gehört. Here ist eine 100-prozentige Tochter des ehemaligen Handy-Riesen Nokia, der derzeit mitten in einem Restrukturierungsprozess steckt – und Here deshalb loswerden möchte. Der finnische Konzern will sich zum Netzwerkausrüster wandeln, weshalb er etwa den französischen Konkurrenten Alcatel-Lucent übernehmen und für den Berliner Kartendienst einen Käufer suchen will.

Die Interessenten für eine Übernahme sind zahlreich – obwohl Nokia offenbar einen happigen Preis abruft. In den Konzernbüchern wurde Here zuletzt auf 2,2 Milliarden Euro taxiert, doch die Finnen wollen mindestens drei Milliarden Euro von einem möglichen Käufer. Experten sind sich in der Bewertung des Kartendiensts nicht ganz einig: Here sei ein Restrukturierungsfall, heißt es einerseits, andererseits könnte das Geschäft auch zwischen 4,5 und fast sieben Milliarden Euro wert sein.

Wem könnte Here so viel Geld wert sein? Das sind die bislang bekannten Kaufinteressenten:

  • Da ist einmal der US-Mobilitätsgigant Uber, der sich für sein Gebot mit dem chinesischen Suchmaschinenbetreiber Baidu sowie dem Londoner Finanzinvestor Apax Partners verbündet hat. Eigenes Kartenmaterial zu besitzen, zu entwickeln und zu kontrollieren, steht schon lange auf der Agenda von Uber-Boss Travis Kalanick. Bislang nutzt Uber vor allem Material von Google – der Konzern ist über seinen Venture-Arm auch in Uber investiert. Doch Kalanick will sich von Google emanzipieren, denn es mehren sich die Themen, bei denen sich die Interessen der beiden Unternehmen kreuzen. Unter anderem denkt Uber auch über die Entwicklung selbstfahrender Autos nach (die Voraussetzung dafür sind übrigens top-aktuelle und detaillierte digitale Karten). Und Uber lässt an einer eigenen Mapping-Technologie arbeiten. Das allerdings ist komplex, aufwändig und langwierig, eine Here-Übernahme könnte billiger kommen.
  • Aus dem Silicon Valley wird als Interessent auch Facebook genannt. Das soziale Netzwerk hat mit Here kürzlich einen Deal unterschrieben, um die Kartentechnologie für seine mobilen Apps zu nutzen. Der Einsatz für ortsbasierte Dienste bei Instagram wird offenbar getestet.
  • Auch Apple soll von Nokia angesprochen worden sein. Die Apple-Karten-App, die bereits teilweise auf Here-Daten zurückgreift, gilt als technologisch rückständig und könnte Hilfe aus Berlin gebrauchen. Allerdings gab es aus Cupertino bislang keine Signale ernsthaften Interesses.
  • Der chinesische Internet-Multi Alibaba soll von Nokia ebenfalls auf den Verkauf hingewiesen worden sein.
  • Ernsthaftes Interesse gibt es von einem chinesisch dominierten Konsortium: der Web-Konzern Tencent gemeinsam mit dem ebenfalls aus China stammenden Kartenanbieter NavInfo, an dem Tencent beteiligt ist, sowie dem schwedischen Private-Equity-Haus EQT Partners.
  • Microsoft, so heißt es, sei an einem Minderheitsanteil an Here interessiert und habe sich dafür mit den Finanzinvestoren Hellman & Friedman, in Deutschland bekannt als Käufer der Scout24-Gruppe, Silver Lake Management sowie Thoma Bravo zusammengetan. Schon bei der Übernahme von Nokias Handysparte wollte Microsoft auch Here übernehmen, doch offenbar war keine Einigkeit über den Preis zu erzielen.
  • Zuletzt bietet ein Konsortium der drei deutschen Autobauer Audi, BMW und Daimler mit, das zusätzlich mit kolportierten 30 Prozent die Private-Equity-Firma General Atlantic an Bord haben soll. Anscheinend ist die Gruppe offen für weitere Finanzinvestoren, solange die Autofirmen in der Mehrheit bleiben. BMW, Daimler und Co. sind schon jetzt wichtige Kunden von Here, vier von fünf Autos mit eingebautem Navigationssystem fahren mit den Berliner Karten, 30 Prozent seiner Einnahmen generiert Here aus der Zusammenarbeit mit den Autobauern. Die drohen dann auch ganz unverhohlen: „Wenn wir den Zuschlag nicht erhalten, beenden wir die Geschäftsbeziehung“, so zitierte die FAZ vor wenigen Wochen aus Herstellerkreisen. „Es ergibt für uns keinen Sinn, einen Konkurrenten zu stärken.“ Here braucht die Autobauer allerdings nicht nur als Kunden – die Hersteller liefern über die Navi-Systeme wertvolle Daten nach Berlin: wo der Verkehr sich staut oder wo Routen anders verlaufen als in den Karten verzeichnet. Es heißt, dass 80 Prozent der Here-Daten von der Autoindustrie stammen, ein Drittel davon von Audi, BMW und Daimler.

Dass gewaltige Interesse an Here liegt an der Qualität des Berliner Kartenmaterials, das laufend aus 80.000 Quellen aktualisiert wird. Nur Google Maps kann in dieser Kategorie noch mithalten, der niederländische Wettbewerber TomTom soll nicht mehr auf dem Niveau konkurrenzfähig sein.

Keimzelle der Nokia-Tochter ist ein Berliner Startup aus der Dotcom-Ära: Gate5, 1999 vom heutigen Business Angel Christophe Maire als Hersteller für Routenplaner-Software für Handys und Navigationsgeräte gegründet. 2006, da hatte Gate5 gerade mal 65 Mitarbeiter, übernahm Nokia das Unternehmen für eine geschätzte Viertelmilliarde US-Dollar.

2007 kam der US-Kartenspezialist Navteq hinzu, der damals schon über 20 Jahre alt und ein globales Unternehmen war: 3.000 Mitarbeiter in 30 Ländern, Jahresumsatz von mehr als einer halben Milliarde Dollar. 8,1 Milliarden Dollar zahlte Nokia für Navteq. Doch gebündelt wurden Nokias Aktivitäten rund um alle ortsbezogenen Dienste in Berlin. 2008 wurde das von Amen-Macher Felix Petersen gegründete Plazes angedockt, 2014 kam noch das auf Auswertung großer Datenmengen spezialisierte US-Startup Medio Systems hinzu.

Heute betreibt Here rund 200 Büros in mehr als 50 Ländern, 6.000 Mitarbeiter werden dort beschäftigt. Sie halten vor allem das Kartenmaterial aktuell: Genau wie Google lassen sie Kamera-Autos durch die Straßen fahren, 400 davon gibt es weltweit, dazu kommen Satellitenbilder, Informationen von Behörden wie Katasterämtern und die Bewegungsdaten von Nutzern.

Auf die Geodaten von Here setzen zum Beispiel der Logistikriese FedEx, außerdem Internetunternehmen wie Amazon, Microsoft und Yahoo. Die Karten nutzen neben den erwähnten Autoherstellern Audi, BMW und Daimler auch Toyota, General Motors und Honda.

Trotzdem liefert Here derzeit keine überzeugenden Zahlen ab. 970 Millionen Euro setzte das Unternehmen im vergangenen Jahr um, das ist weniger als acht Prozent der Erlöse des Gesamtkonzerns Nokia. Nach Einmal-Effekten blieb ein operativer Verlust von etwa 30 Millionen Euro. Seit der über acht Milliarden Dollar schweren Übernahme von Navteq 2007 hat Nokia die Bewertung seiner Karten-Tochter immer wieder nach unten korrigiert.

An die Restrukturierung von Here wird sich dann der Käufer kümmern dürfen. Eigentlich sollte das Bieterverfahren bis Ende Mai abgeschlossen sein, aber angesichts des Andrangs von Übernahmeinteressenten hat Nokia es nun nicht mehr eilig: „Lassen Sie uns der Sache noch etwas Zeit geben“, sagte Firmenchef Rajeev Suri am Freitag.

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