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Fast jeder macht es: Schnell mal auf dem Smartphone im Online-Shop die Preise vergleichen, wenn man im Laden vor dem begehrten Router mit der großen Reichweite steht oder die marode alte Waschmaschine durch das neue Energiespar-Modell ersetzt werden soll.

Im Einzelfall sind das nur ein paar Klicks, aber in der Masse setzt die neue Kombination aus permanenter Schnäppchenjagd und totaler Preistransparenz gerade eine Revolution in Gang: Die Preise werden beweglich.

„So kann derselbe Fernseher morgens hundert oder zweihundert Euro billiger sein als am Nachmittag, wenn viele Menschen einkaufen gehen und die Frequenz in den Läden entsprechend höher ist“, sagte der Handelsexperte Patrick Palombo der Welt. Er spricht vom „Tankstellen-Modell“, das sich längst durch den gesamten Einzelhandel frisst. Wie an den Zapfsäulen, schwanken die Preise nun auch bei Unterhaltungselektronik, Hausgeräten oder Mode stark, werden oft mehrmals am Tag geändert.

Computerprogramme überwachen Konkurrenzpreise

„Allein Amazon nimmt jeden Tag 2,5 bis 3 Millionen Preisänderungen vor“, schätzt der Handelsexperte Thomas Täuber von der Unternehmensberatung Accenture. Für die Konsumenten wird es damit trotz Preissuchmaschinen immer schwerer, den Überblick zu behalten, trotz – oder wegen – der rund 42 Millionen Smartphones, die hierzulande in Gebrauch sind.

Auch die Händler müssen einiges tun, um Schritt mit den raschen Schwankungen zu halten. Ihnen helfen allerdings spezielle Computerprogramme zur ständigen Konkurrenzüberwachung, wie beispielsweise Pricebot.

„Mit der Sofware zur dynamischen Preisbeobachtung und Preisanpassung können Preise im Internet auf Portalen wie Amazon.de, Idealo.de, Billger.de beobachtet und angepasst werden“, verspricht Pricebot in seiner Selbstbeschreibung. Auch die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) erfasst nach eigenen Angaben täglich mehrere Millionen Preise.

Preisänderungen schlagen sich auf den stationären Handel durch

Die neuen elektronischen Preisschilder ermöglichen es den Ladeninhabern dann vor Ort, fast ebenso schnell auf Preisänderungen zu reagieren wie der Online-Handel. In Elektronik-Märkten wie Media Markt und Saturn werden die neuen Preisanzeiger zielgerichtet eingeführt, aber auch in Lebensmittel-Supermärkten sind sie immer häufiger zu finden, etwa bei Rewe oder Edeka.

Gut informierte Verbraucher können sich das Auf und Ab der Preise zunutze machen, ergab eine Studie des Preisbeobachtungsdienstes Spottster. Danach sind beispielsweise Elektronikprodukte Mittwochs tendenziell günstiger als an anderen Tagen, Schuhe am Donnerstag, Beauty-Produkte am Freitag, wie Spottster-Gründerin Freya Oehle verrät. Am Wochenende sei das Online-Shoppen dagegen eher teuerer.

Die Unternehmerin sollte es wissen, denn Spottster bietet Internet-Käufern die Möglichkeit, für sie interessante, aber noch zu teure Produkte auf einem elektronischen Merkzettel zu notieren. Die Firma informiert dann über Preissenkungen. Dafür arbeitet Spottster nach eigenen Angaben mit über 1.400 Online-Händlern zusammen und hat allein in Deutschland über 100 Millionen Preise im Blick.

Die App als guter Verkäufer

„Weitere Verfeinerungen sind greifbar nah“, ist sich Palombo sicher. So können die Händler auf das Verhalten einzelner Kunden vor Ort im Geschäft reagieren. „Wenn ich zugestimmt habe, merkt mein Smartphone, dass ich zwei oder drei Minuten länger vor der Espressomaschine stehe als andere Kunden“, beschreibt der Handelsexperte die Funktionsweise. „Dann bekomme ich eine SMS oder einen Hinweis über eine vorinstallierte App ‚Schön, dass Sie da sind‘, und vielleicht einen Sonderpreis oder einen Gutschein beim Kauf der Maschine dazu.“

Im Endeffekt versuche man, mit den neuen Techniken heute so zu arbeiten wie ein früher guter Verkäufer, meint der frühere Quelle-Manager Palombo: „Der hat guten Kunden beim Kauf eines Sofas auch ein Kissen obendrauf gegeben oder die Kaufentscheidung mit einem ‚Hauspreis‘ erleichtert.“

Die Achterbahnfahrt bei den Preisen, im Branchenjargon als „Dynamic Pricing“ bekannt, ist für die meisten Online-Händler heute überlebenswichtig. Denn bei gut vergleichbaren Produkten wie Fernsehern oder DVDs ist der Preis in der Regel das entscheidende Kaufkriterium. Wer da den Markt nicht im Blick hat und auf Preissenkungen der Konkurrenz nicht reagiert, steht schnell ohne Kunden da. Umgekehrt müssen die Händler auch Preiserhöhungsspielräume nutzen, damit der Gewinn nicht unter die Räder kommt.

Allerdings gibt es Unterschiede nach Produktkategorien. Bei Elektronikprodukten sind die Preise nach Angaben von Marktbeobachtern ständig in Bewegung, ebenso bei Reisen und Flugtickets. Bei Textilien zeige der Markt dagegen weniger starke Ausschläge. Hier sei die Markenvielfalt größer und die Vergleichbarkeit geringer.

Experiment mit den individualisierten Preisen

Wie genau die Preisfindung etwa bei Amazon funktioniert, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Amazon selbst teilt dazu lediglich mit, die Preise würden von verschiedenen internen und externen Faktoren beeinflusst – etwa dem Einkaufspreis und der Konkurrenz.

200 Quadratmeter sind als Grundfläche für ein Haus richtig groß, für ein Geschäft im Einkaufszentrum aber nicht gerade riesig. Deshalb liegt jeweils nur ein Exemplar der etwa 300 vorrätigen Artikel aus. So können Ebay, PayPal und Metro viele Produkte auf der relativ kleinen Fläche zeigen.

Handelsexperten wie Täuber oder der Geschäftsführer des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH), Kai Hudetz, sind allerdings fast sicher, dass zumindest bei einigen Online-Händlern auch vorhandene Daten über früheres Kaufverhalten des Kunden in die Preisgestaltung einfließen.

„Ich würde mich sehr wundern, wenn die großen Online-Händler nicht mit individualisierten Preisen experimentieren. Schließlich sind diese Unternehmen extrem datengetrieben“, meint Hudetz. Die Logik dahinter beschreibt Täuber: „Wenn der Kunde wenig preisempfindlich ist und unbedingt jedes neue Gerät haben will, muss ich ihm kein Sonderangebot machen. Das Geld kann ich besser bei unentschlossenen Kunden einsetzen.“

Dabei sind sich die Experten einig, dass individualisierte Preise für die Unternehmen ein gefährliches Terrain sind. „Die Kunden bekommen es früher oder später mit und es verärgert sie. Verschiedene Preise zum selben Zeitpunkt für dasselbe Produkt verletzten ihr Gefühl für Fairness“, meint der Marketing-Experte Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU.

Gutscheine für Händler extrem wichtig

Doch haben die Unternehmen längst einen Ausweg aus dem Dilemma gefunden. Statt individualisierter Preise gibt es immer öfter individuelle Rabatte, etwa in Form von Gutscheinen, für zögernde Konsumenten. „Gutscheine sind inzwischen ein unfassbar wichtiges Instrument für Online-Händler, weil sie so nicht den Preis auf der Seite senken müssen“, hat Oehle beobachtet.

Branchenkenner Täuber hat wenig Zweifel, wohin die Reise im Online-Handel geht: „Wenn wir im Flugzeug sitzen, wissen wir, dass der Passagier neben uns wahrscheinlich einen anderen Preis für den Flug gezahlt hat und akzeptieren das. Im Hotel ist es das Gleiche. In diese Richtung entwickelt sich auch der Online-Handel.“

Dieser Artikel erschien zuerst in der Welt.

Bild: Namensnennung Bestimmte Rechte vorbehalten von Jason A. Howie