Benjamin Otto, Rainer Hillebrand und Tarek Müller (von links) am Montag in Hamburg

Ein wenig steif wirkt er, als er ans Rednerpult tritt. Reden halten gehört nicht zu Benjamin Ottos Lieblingsbeschäftigungen, das sieht man. Zum Glück hat er seinen Notizzettel, zum Festhalten. Dabei hätte der Enkel des Firmengründers Werner Otto allen Grund, entspannt zu sein. Erstmals präsentiert das Fashion-Startup der Otto-Gruppe seine Geschäftszahlen. Im ersten Jahr hat das Unternehmen bereits eine halbe Million aktive Kunden gewonnen. „Ich kenne kein anderes E-Commerce-Startup im europäischen Raum, das im ersten Geschäftsjahr einen vergleichbaren Umsatz erreicht hat“, sagt CEO Benjamin Otto. Und auch sein Partner Tarek Müller zeigt sich vom eigenen Erfolg beeindruckt: „Hätte man mir vor einem Jahr gesagt, dass wir heute so gut dastehen werden: Ich hätte es nicht geglaubt.“

Viel ist bereits darüber spekuliert worden, ob das Konzept von Project Collins aufgeht. Bisher war nicht viel mehr bekannt gewesen, als dass der Umsatz bis Ende Februar im unteren zweistelligen Millionen-Bereich gelegen habe. Rund 200 Mitarbeiter aus 13 Ländern sind derzeit dort beschäftigt. „Das wichtigste an unserem Projekt ist Offenheit“, so Otto. Das zeigt sich auch in den Räumen. Anders als vor einigen Wochen, als die Otto-Gruppe ihre Geschäftsbilanz präsentierte, gibt es weder Stuhlreihen noch Anzugträger. Stattdessen stehen im Raum verteilt mit Tulpen geschmückte Kaffeetische, als Snacks gibt es Cupcakes.

Das Startup Collins steht für die Zukunft des Otto-Konzerns. Rainer Hillebrand, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Otto-Gruppe, drückt das so aus: „Collins ist für die Otto-Gruppe ein unglaublich wichtiges Projekt.“ Das Startup hat einen stark personalisierten Online-Shop gebaut, bei dem der Kunde in einem individuellen Feed die Produkte angezeigt bekommt, die am besten zu seinen jeweiligen Vorlieben passen – wenn er vorher seine Präferenzen angibt. Dafür bietet das Unternehmen eine offene Plattform, an der sich Entwickler mit Apps beteiligen können. Aktuell sind dort mehr als 60 Apps und Content Feeds aktiv. „Der Personal Feed ist unser Wachstumsmotor und ein ideales Feature für Mobile“, so Müller. „Die Kunden bleiben dadurch länger bei uns und kaufen mehr.“ Für das Konzept sei die Collins-Hauptmarke About You bereits mit zahlreichen Preisen geehrt worden.

Für die Gründer sei jedoch vor allem das Feedback der Kunden wichtig, so Otto. „Unsere Kunden bleiben uns treu, das zeigt zum Beispiel unsere überdurchschnittlich hohe Wiederkaufsrate.“ 80 Prozent der Kunden, die regelmäßig bei den Shops About You oder Edited einkaufen, seien Frauen, in aller Regel im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Collins‘ Ziel sei es, mit möglichst wenig Kapital eine große Wirkung zu erzielen. „Wir wachsen vor allem organisch und emanzipieren uns dadurch zunehmend von Werbung“, sagt Müller. Bereits jeder achte Deutsche kenne About You. Das ist nach einem Jahr ein Erfolg. Trotzdem ist die Konkurrenz hier weit voraus: So lag die Markenbekanntheit von Zalando schon 2013 bei 95 Prozent.

Für die Zukunft hat sich das Duo Otto-Müller klare Ziele gesteckt: Im kommenden Geschäftsjahr 2016/17 soll ein Umsatz in dreistelliger Millionenhöhe erreicht werden und im Vergleich zu Mitbewerbern soll das Unternehmen schneller profitabel werden. „Andere haben mit ihrer Arbeitsweise hohe Streuverluste“, so Müller. „Das wollen wir vermeiden.“ Klingt ganz nach einem versteckten Seitenhieb auf Zalando. Allerdings investiert auch Collins inzwischen in TV-Werbung. Für About You hat die Geschäftsführung bereits die zweite Fernsehkampagne gestartet.

Zudem ist die Expansion ins Ausland geplant. Schon bald soll das Projekt den gesamten deutschsprachigen Markt erobern. In den vergangenen Wochen sind bereits erste Tests in Österreich angelaufen. Dort soll das Geschäft nun ausgebaut werden, ebenso in der deutschsprachigen Schweiz.

Auch in der Geschäftsstruktur von Collins wird sich bald einiges ändern: Ab dem 1. Juni wird Otto-Enkel Benjamin Otto seine Aufgabe als Collins-CEO an Tarek Müller übergeben und stattdessen als gestaltender Gesellschafter im Otto-Konzern tätig werden. Der Gesellschafterrat gilt als das wichtigste strategische Gremium der Otto-Gruppe. Damit widerlegt Otto auch Spekulationen, dass er demnächst den Vorstandsvorsitz von Hans-Otto Schrader übernehmen könnte. „Ich habe mich endgültig entschieden, diesen Weg so zu gehen“, sagte der 39-Jährige. „Dafür ist jetzt der richtige Zeitpunkt.“

Bild: Katja Scherer für Gründerszene