Palantir-Macher Alexander Karp

Alexander Karp wirkt nicht wie jemand, der für die CIA arbeitet. Seine Wuschelhaare erinnern an einen Afro, und die randlose Brille lässt ihn eher wie einen sozialkritischen Literaturprofessor wirken. Der US-Milliardär, Mitgründer und Chef von Palantir Technologies, ist allerdings beides: intellektueller Sozialkritiker und Chef einer der wichtigsten Technologiezulieferer der US-Geheimdienste. Das US-Wirtschaftsmagazin Forbes kürte ihn kürzlich zusammen mit Unternehmern wie Alphabet-Chef Larry Page und Facebook-CEO Mark Zuckerberg zu einem von 30 globalen „Game Changern“. Zu Deutschland hat Karp außerdem eine besondere Affinität.

19.10.2018: Dieser Artikel erschien bereits im Mai 2016. Aus aktuellem Anlass des geplanten Börsengangs von Palantir veröffentlichen wir das Porträt über Alexander Karp erneut.

Zusammen mit dem bekannten deutsch-amerikanischen Investor Peter Thiel und anderen hat Karp eines der wertvollsten Startups der Welt aufgebaut. Auf der Liste der sogenannten Unicorns – Technologieunternehmen abseits der Börse, die mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet sind – belegt das bereits 2004 gegründete Unternehmen hinter dem Taxidienst Uber, dem chinesischen Smartphone-Hersteller Xiaomi und Airbnb laut Wall Street Journal weltweit den vierten Platz.

In der jüngsten Finanzierungsrunde wurde es mit etwa 18 Milliarden Euro bewertet (für den Börsengang in 2019 gilt eine Bewertung von 35 Milliarden Euro als wahrscheinlich).

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Fast jede US-Behörde arbeitet mit Palantir-Software

Anders als von Uber und Airbnb haben von Palantir allerdings bisher die Wenigsten etwas gehört – und das hat Gründe. Das Unternehmen gibt sich schweigsam, Interviews des Gründers und CEO sind selten. Auch mit der „Welt“ wollte kein Vertreter des Unternehmens sprechen, weder vor Ort im Silicon-Valley-Städtchen Palo Alto noch am Telefon. „Zu diesem Zeitpunkt können wir leider nichts beitragen, aber wir werden mit Ihnen in Kontakt treten, sobald sich das ändert. Bitte denken Sie an uns in der Zukunft“, schreibt eine Sprecherin per E-Mail.

Der Unicorn-Club (Quelle: Die Welt)

Unfreiwillig wurde Palantir einer größeren Öffentlichkeit erstmals 2010 bekannt. Damals enthüllte das Hackerkollektiv Anonymous, dass Palantir von der US-Regierung mit einer Analyse beauftragt wurde, wie mit der Veröffentlichung diplomatischer Depeschen durch Wikileaks umzugehen sei. In den USA machen außerdem Gerüchte die Runde, dass die Datenanalyse des Unternehmens half, Osama Bin Laden ausfindig zu machen und zu töten.

„Wir töten Menschen auf der Basis von Metadaten“, sagte der ehemalige NSA- und CIA-Chef Michael Hayden 2014 bei einer Veranstaltung der Johns Hopkins University. Aus einem Papier, das an Investoren gerichtet war, machte TechCrunch 2015 öffentlich, dass fast jede US-Behörde die Software von Palantir nutzt – von der CIA über die NSA, das Department of Homeland Security und das FBI bis zu den Marines, der Air Force und der US-Katastrophenschutzbehörde.

Auch für den deutschen Nachrichtendienst BND hat Palantir laut der „Zeit“ schon gearbeitet. „Es gab vielleicht einen Piloten mit der NSA, aber sie sind kein Kunde“, sagte dagegen eine unternehmensnahe Person. 80 Prozent der Aufträge seien außerdem von Unternehmen.

„Alle Analyse-Werkzeuge, die man sich nur erträumen kann“

Ein Ex-Soldat aus Afghanistan preist in dem Papier die Vorzüge der Palantir-Software an: „Es ist die Kombination aller Analysewerkzeuge, die man sich nur erträumen kann. Sie werden jeden einzelnen Bösewicht in ihrer Gegend aufspüren.“ Karp selbst sprach einst davon, dass er die „wichtigste Firma der Welt“ aufbaue.

„Im Gesundheitswesen nutzen unsere Kunden Palantir, um gegen die steigenden Kosten anzukämpfen – Sicherheitsbehörden helfen wir, Verbrechen in Echtzeit aufzuklären“, wirbt ein Palantir-Video auf YouTube. „Man fühlt sich richtig gut mit dem, was Palantir macht und was es in die Welt bringt“, sagt eine Angestellte in dem Video.

Auf der Webseite wirbt das Unternehmen damit, dass die Software gegen illegalen Elfenbeinhandel eingesetzt wird. Auch den Unternehmensnamen haben sich Karp und Thiel aus einer Welt entliehen, die klar zwischen Gut und Böse trennt: Die „Palantíri“ sind „sehende Steine“ im Herr-der-Ringe-Epos von J.R.R. Tolkien, die es ermöglichen, über große Entfernungen zu kommunizieren.

Hintergrund des Palantir-Gründers ist mindestens ungewöhnlich

Big Data ist eines der großen Hype-Themen des Silicon Valley. Es ermöglicht die Analyse riesiger unstrukturierter Datenmengen. Big-Data-Software wird von automatisierten Handelssystemen an Börsen ebenso genutzt wie bei der Aufdeckung von Betrug und bei der Geheimdienstarbeit. Immer geht es darum, in gigantischen Datenmengen die entscheidenden Muster zu finden.

Auch der deutsche Softwarekonzern SAP arbeitete mit Palantir zusammen – laut einer Unternehmenssprecherin wurde der Vertrag aber im vergangenen Jahr von Palantir gekündigt. Das Unternehmen ist umtriebig. Aus dem Umfeld der Deutschen Telekom ist zu erfahren, dass sich CEO Tim Höttges kürzlich mit dem Palantir-Management getroffen hat. Details will die Telekom aber nicht nennen.

Der persönliche Hintergrund des Palantir-CEO ist für ein Unternehmen, das sämtliche US-Geheimdienste und das US-Militär beliefert, mindestens ungewöhnlich. Karp hat in Frankfurt am Main Philosophie studiert. Im Gespräch mit Forbes schwärmte er 2013 von „schmuddeligen“ Berliner Lokalitäten, in denen er die Nächte verbracht habe. „Ich habe Orte besucht, an denen Leute Sachen getan haben und Dinge geraucht haben“, raunte er.

Titelbild: Gettyimages/Scott Olson

Palantir-Macher Alexander Karp

Der 48-jährige Amerikaner gilt als äußerst smart. Er spricht fließend Englisch, Deutsch und Französisch. In seiner Doktorarbeit, die er mithilfe einer Freundin auf Deutsch verfasste, beschäftigt er sich mit der unter anderem von Karl Marx beeinflussten Kritischen Theorie und dem Jargon-Begriff von Theodor W. Adorno, der Koryphäe einer ganzen Generation linker 68er-Studenten. Von Mitte der 90er-Jahre bis 2001 lebte er in Deutschland – in Frankfurt am Main und Berlin. Er pflegte den Kontakt zum linksintellektuellen Jürgen Habermas und besuchte ihn sogar in Starnberg.

Karp begann mit Sicherheitssystemen für Finanztransaktionen im Internet

Das alles ist nicht von Karp selbst in Erfahrung zu bringen, der sich medienscheu zeigt. Wer mehr über den Mann hinter dem mysteriösen Tech-Unternehmen erfahren will, muss sich in seinem Umfeld umhören. Dazu gehört beispielsweise seine Doktormutter an der Goethe-Universität in Frankfurt, die Sozialpsychologin Karola Brede. „Alexander war ein hochbegabtes Kind“, berichtet Brede. Er erreichte einen so hohen SAT-Score – ein in den USA standardisierter Test am Ende der Highschool-Zeit –, dass er sich das College aussuchen konnte.

Seine Arbeit, mit der er 2002 in Frankfurt in Philosophie promovierte, trägt den sperrigen Titel „Aggression in der Lebenswelt: die Erweiterung des Parsonsschen Konzepts der Aggression durch die Beschreibung des Zusammenhangs von Jargon, Aggression und Kultur“. Sie beschäftigt sich unter anderem mit der umstrittenen Paulskirchenrede des deutschen Schriftstellers Martin Walser von 1998, als er einen „Schlussstrich“ unter das Erinnern an den Holocaust forderte. Die Dissertation wurde mit einem magna cum laude bewertet – also im Einser-Bereich. „Ihn hat von Anfang an diese Frage beschäftigt, was die Deutschen in der Gegenwart ausmacht vor dem Hintergrund der Nazi-Verbrechen und der Vernichtung der Juden“, sagt Brede.

„Angefangen hat er mit Sicherheitssystemen für Finanztransaktionen im Internet“, erinnert sich die inzwischen emeritierte Sozialpsychologin. „Ich glaube, er war 26, hatte sich an Habermas gewendet und suchte nach einem Kontakt und einer Stelle. Und Habermas hat ihn zu mir geschickt.“ Tatsächlich durfte er dann ein Tutorium an der Universität Frankfurt geben. Brede war von Karp beeindruckt, beschreibt ihn als „sehr anregend“. Obwohl er am Anfang kaum Deutsch sprach und auch nicht viel Geld besaß, kam er in Deutschland immer bestens zurecht. „Er hat Adressen gehabt, Freunde gehabt, die ihm geholfen haben“, sagt Brede über den jungen Karp. „Manchmal habe ich mich gefragt, wie das alles funktioniert.“

Karp will hoch hinaus – auch bei seinen akademischen Leistungen. „Erst wollte er zu Luhmann, er hat sich nur die größten Namen ausgesucht“, sagt Brede schmunzelnd. Niklas Luhmann ist eine Koryphäe der deutschen Soziologie und Begründer der Systemtheorie. Nach Deutschland wollte er, weil ihn das Land und seine Geschichte faszinierte – auch aus einem persönlichen Hintergrund. Karps Großvater war Jude aus Galizien. „Ich habe ihm gesagt, dass er die Doktorarbeit auf Englisch schreiben kann – aber es war ihm ganz wichtig, dass er sie auf Deutsch verfasst“, sagt Brede. „Er hat recht schnell relativ gut Deutsch gelernt.“

Karp und Thiel lernten sich in einem Studentenwohnheim kennen

Karp und Thiel sind ein ungewöhnliches Gründerpaar. Thiel, der zweite Gründer von Palantir, ist ebenfalls Milliardär und erlangte vor allem als einer der ersten Facebook-Investoren Bekanntheit. Anders als Karp hält er allerdings wenig von marxistisch angehauchten Sozialtheorien – als registrierter Unterstützer der Libertarian Party in den USA glaubt Thiel an eine bessere Welt mit mehr Markt und weniger Staat.

2009 schrieb er in einem libertären Blog, er halte Demokratie und Freiheit für grundsätzlich inkompatibel, da Demokratie zu einer Ausweitung des Wohlfahrtsstaats führe, der seiner Ansicht nach die Freiheit des Individuums bedroht.

Titelbild: Gettyimages/Scott Olson

Palantir-Macher Alexander Karp

Zusammen fanden Karp und Thiel in einem Studentenwohnheim in Stanford. Beide kritisierten den US-Staat – Karp von links, Thiel von rechts, berichtet Forbes. „Alexander ist an der Ostküste groß geworden“, sagt Brede. Die Eltern seien politisch linksliberale, nicht religiöse Juden mit „ambitionierten Bildungsvorstellungen“ gewesen – der Vater Kinderarzt und Professor in Princeton, die Mutter Fotografin. „Es gab zum Beispiel keinen Fernseher zu Hause“, sagt Brede. Schon als Kleinkind sei Karp auf Demonstrationen mitgenommen worden, habe er einmal erzählt. Einmal im Jahr wurden beide Kinder in ein jüdisches Sommercamp geschickt.

In Palo Alto macht sich das Unternehmen ganz schön breit

Zurück in San Francisco hielt Karp Anfang der 2000er-Jahre Ausschau nach Talenten für sein Big-Data-Startup. „Damals suchte er an der Universität Stanford nach jungen, begabten Leuten zwischen 23 und 25, die diese hoch raffinierten Analysen machten“, sagt Brede. „Er sagte, nur in diesem Alter ginge das.“ Deshalb habe er als Standort für Palantir Palo Alto gewählt, das Silicon-Valley-Städtchen nahe dem Campus.

Dort macht sich das Unternehmen inzwischen ganz schön breit. Laut einem Bericht des US-Wirtschaftssenders CNBC hat Palantir mehr als 23.000 Quadratmeter Bürofläche in Palo Alto angemietet. Auch andere Tech-Riesen wie Google, Facebook und PayPal begannen ihren Siegeszug in Palo Alto.

Wie passen Biografie und Persönlichkeit von Karp zu einem Unternehmen, das sich 2011 öffentlich entschuldigte, weil es sich an einem von der Bank of America geplanten Angriff auf die Enthüllungsplattform Wikileaks beteiligte? „Alexander ist moralisch hochsensibel“, sagt Brede. „Aber andererseits enorm flexibel, wenn es darum geht, aus einer Sache etwas zu machen.“ Sie bescheinigt ihm „integer, sehr korrekt und fair im Umgang mit anderen Menschen“ gewesen zu sein.

2003 schockierte Karp seine linksintellektuelle Doktormutter

Die Flexibilität habe sich im politischen Bereich gezeigt. „Politische Wendigkeit, die mit seinem Liberalismus in Verbindung stand“, attestiert Brede ihrem ehemaligen Schützling. So habe er beispielsweise in Deutschland eine Affinität zur FDP gehabt. „Du bist in der falschen Partei“, habe er dem CDU-Mitglied Michel Friedman, heute N24-Moderator, entgegengerufen, wenn er ihn in Frankfurt sah. Die beiden wohnten in derselben Straße. Das Büro der Kanzlei Friedman wollte zu Palantir oder Karp auf Anfrage keine Auskunft geben.

2003 schockierte Karp seine linksintellektuelle Doktormutter, als er den Irak-Krieg begrüßte. „Am Anfang war er begeistert, dass Bush in den Irak einmarschiert“, erinnert sich Brede kopfschüttelnd. „Wenn wir dann da sind, werden die Leute uns zujubeln, sagte er mir damals.“ Dabei sei es Karp aber immer mehr darum gegangen, „politisch zu sein, indem er progressive Positionen ergreift“, sagt Brede. „Er hätte nie ein wirklicher Bushianer sein können.“ Eine unternehmensnahe Person sagte, dass Karp den Irak-Krieg nie unterstützt habe.

Inzwischen hat Palantir Technologies auch in Deutschland ein Büro: in der Nähe des Kurfürstendamms in Berlin, in der Uhlandstraße 114. Was Palantir dort tut, will das Unternehmen nicht verraten.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Die Welt.

Titelbild: Gettyimages/Scott Olson