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Depressive Menschen wieder glücklich machen – das war die Mission von Humly. Das Anti-Depressions-Startup aus Berlin wollte einen digitalen, personalisierten Selbsthilfekurs entwickeln. Für eine Nutzungsgebühr von 49 Euro pro Monat versprach das Startup Online-Betreuung mit einem Psychologen, neun Euro mussten die Nutzer für einen Software-Kurs zahlen. Doch der Versuch scheitert. Im Gespräch erzählt Gründer Philipp Joas, was ihn die Insolvenz seines Startups über Menschen gelehrt hat und wie eine Praktikantin sein Startup beinahe gerettet hätte.

Philipp, du hast 2014 mit eWings bereits ein funktionierendes Startup mit aufgebaut. Im Mai 2016 hast du dich ein zweites Mal ans Gründen gewagt. Sechs Monate hat Humly durchgehalten. Das ist nicht viel.

Ja, es war ein kurzer Zeitraum. Wir haben uns für eine aggressive Wachstumsstrategie entschieden – auch wenn das Risiko hoch war. Das Produkt war komplex, der Markt gut verdrahtet und Startup-feindlich. Im Mai 2016 haben wir losgelegt. Von Anfang an war klar: Bis Ende Sommer brauchen wir eine weitere Finanzierungsrunde. 

Derzeit gibt es einige Startups, die den Anti-Depressions-Markt erobern wollen. Woran ist Humly gescheitert?

Was wir völlig überschätzt hatten, war die Zahlungsbereitschaft der Patienten. Wir hatten mehrere Tausend kostenlose Nutzer. Aber nur knapp über Hundert, die unser Monats-Abo von 49 Euro gezahlt haben. Bietest du den Kurs billiger an, verdienst du kein Geld. Therapeuten kosten als Mitarbeiter locker mal 4.000 bis 5.000 Euro pro Monat.

Das zweite Problem waren die Krankenkassen. Wir wussten, dass es lange dauert, bis neue Angebote von Krankenkassen erstattet werden. Aber wir hatten völlig unterschätzt wie lange. Alle fanden das Thema spannend, aber die Anerkennung durch die Krankenkassen dauert mindestens drei bis vier Jahre. Am Ende des Sommers standen wir mit dem Rücken zur Wand. Viele Geldgeber waren interessiert, am Ende wollte aber keiner investieren.

Ihr hattet zu Höchstzeiten 17 Mitarbeiter bei einer Finanzierung von nur 280.000 Euro. Eine waghalsige Strategie.

Wir haben alles fürs Personal ausgegeben. Die Strategie war, ein Produkt zu bauen, das sich anfänglich durch Selbstzahler finanziert. So wollten wir die Zeit bis zur Anerkennung durch die Krankenkassen überbrücken. Parallel dazu haben wir mit dem Uniklinikum München ein klinisches Produkt gebaut, das später Therapien hätte begleiten sollen. 

Im Oktober musstet Ihr das Projekt einstellen. Wann war Dir klar, dass es zu Ende ist?

Im August fuhr meine Freundin in den Urlaub und ich hatte mir vorgenommen: In dieser Zeit musst du einen Investor finden. Zwei Wochen später kam sie zurück – und ich hatte nichts. Irgendwann begann der Oktober und ich wusste, ich habe nur noch bis Ende des Monats – dann muss ich Insolvenz anmelden. Ich habe gefühlt, wie die Panik in mir hochstieg.

Doch du musst die Show liefern: Mit 60 Investoren habe ich gesprochen. Nach außen musst du super cool und super souverän sein. Innerlich habe ich gebrannt. Die letzten zwei Wochen hatte ich fünf Investorengespräche. Ich war komplett unter Adrenalin.

Schöner Scheitern: So fühlten sich die Gründer

Wusste das Team Bescheid?

Ich habe eine Woche vor der Insolvenzanmeldung gesagt, wie es um Humly steht. Da waren sie in Schockstarre, aber sie wussten Bescheid.

Was war das Erste, das Du nach der Insolvenzanmeldung getan hast?

Ich habe noch einmal gepitcht – vor dem Insolvenzverwalter. Ich bat ihn um eine Sanierungszeit. Er gab mir noch eine Chance. Drei weitere Monate. Ein Teil meines Teams war euphorisch, wollte sofort loslegen. Selbst eine Praktikantin hat einen möglichen Investor angeschleppt, der am Ende ein ganz heißer Kandidat war. Ein anderer Teil des Teams hatte innerlich aufgegeben. In dieser Zeit habe ich viel über Menschen gelernt.

Was genau?

Ich dachte, ich müsste als Gründer vorne stehen, stark sein und meine Schäfchen beschützen. Aber es entstehen interessante Dynamiken, wenn du mal Schwäche zeigst. Meine Mitarbeiter haben gesagt: Hey, du bist auch nur ein Mensch und ich helfe dir jetzt. Schwäche zu zeigen, kann zu einem stärkeren Team-Zusammenschluss führen.

Auf der anderen Seite habe ich gesehen, dass ein Teil meines Teams nicht mehr an die Sache geglaubt hat. Marketing, HR und die Psychologen waren voll dabei. Aber unsere Techis, die das Produkt letztlich gebaut haben, waren eher monetär motiviert. Das ist menschlich. Aber ich bin von einigen Menschen auch enttäuscht.

Wir haben innerhalb von drei Wochen einen Pivot gemacht. Unser Umsatz stieg wieder. Doch es war zu spät.

Zu spät?

Mitte Dezember war klar, dass auch die zweite Chance nicht funktionierte. Erst dann habe ich angefangen zu realisieren, was im vergangenen Jahr passiert war. Ich war völlig ausgebrannt, ohne Energie. Mein Körper hat sich für das gerächt, was ich ihm angetan habe. Ich hatte Schlafstörungen, Schweißausbrüche.

Humly hatte ich aus idealistischen Motiven gegründet. In meinem privaten Umfeld habe ich zwei Vorfälle, die mich sehr mitnehmen. Denen wollte ich helfen. Deswegen frustriert es mich, dass wir es nicht geschafft haben. Hinzu kommen Tausende Nutzer, die wir im Stich gelassen haben. Das nimmt mich heute noch mit.

Bild: Michel Penke