Eine Primark-Filiale in Schottland

Die Modekette Primark pfeift auf den Verkauf per Internet und stellt sich damit fast allein quer zum derzeit mächtigsten Branchentrend. „Wir planen keine Eröffnung eines Onlineshops – wegen der hohen Kosten“, sagte Primark-Manager Paul Lister im Gespräch mit der Welt. Die irische Billigmodekette konzentriere sich stattdessen voll darauf, mit Hilfe geringer Kosten die Preisführerschaft im innerstädtischen Handel mit Bekleidung und Schuhen zu verteidigen.

Mit der klaren Absage an den E-Commerce verzichten die Iren auf das einzige Wachstumssegment der Branche. Der Online-Umsatz mit Bekleidung und Schuhen erreichte im vergangenen Jahr nach Angaben des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel in Deutschland knapp 11,9 Milliarden Euro, etwa doppelt so viel wie noch 2010.

Dafür, dass das Wachstum weiter geht, sorgen Konzerne wie Zalando oder Amazon, aber auch die Warenhaus-Ketten und immer mehr lokale Fachhändler steigen in das Geschäft übers Internet ein. Hauptgrund: Der Absatz über die althergebrachte Ladentheke stagniert seit Jahren. Handelsexperten und Lokalpolitiker klagen unisono über sinkende Kundenfrequenzen, selbst an den besten Standorten.

Die Primark-Manager glauben, sich davon abkoppeln zu können. Mit ihrem Konzept könne die Kette Innenstädte wiederbeleben, sagte Lister: „Eine Reihe von Wettbewerbern hat an Standorten versagt, an denen wir erfolgreich waren. Wir schaffen Käuferfrequenz, von denen auch andere Einzelhändler profitieren.“ Preiserhöhungen werde es bei gleicher Qualität auch künftig nicht geben: „Wir sind extrem schlank organisiert“, sagt der Manager. „Warum sollten wir also unsere Kosten durch den Aufbau eines Onlineshops erhöhen, wenn unser Geschäft sowieso wächst?“

Teure Rücksendungen belasten Konkurrent Zalando

Dies würde auch angesichts der niedrigen Margen, mit denen Primark arbeite, „keinen Sinn“ ergeben. Lister spielt damit auf teils extrem hohe Rücksendequoten im Online-Handel mit Jacken, Kleidern oder T-Shirts an. Zalando musste dafür kürzlich einen zweistelligen Millionenbetrag in der Bilanz zurückstellen – zu Lasten des Gewinns.

In einer Umfrage des Handelsverbands Deutschland (HDE) gab jeder dritte Bekleidungshändler an, mit Rücksendequoten von 20 Prozent oder mehr zu kämpfen. Zum Vergleich: Unter den Online-Verkäufern von Sport- und Freizeitartikel traf dies nur auf jeden zehnten Händler zu, im Bereich Wohnen und Deko nur auf jeden Vierzigsten.

G Tipp – Lesenswert bei Gründerszene Moderne Diebe lassen sich Beute frei Haus liefern

Diesen teuren Ärger will Primark sich ersparen. Statt die Ware zum Kunden zu bringen, sollen Tiefpreise wie 30 Euro für einen Damenmantel, ein Euro für einen Slip oder zwei Euro für ein T-Shirt die Käufer massenhaft in die Läden locken. Bisher ist die Rechnung aufgegangen. „Wir wachsen stetig“, sagte Deutschland-Chef Wolfgang Krogmann der Welt. „Wir haben soeben unsere neunzehnte Filiale eröffnet, in Weiterstadt.“

Deutschland zählt für die Iren zu den am schnellsten wachsenden Märkten. Allein im abgelaufenen Geschäftsjahr eröffneten sie sechs neue Häuser, unter anderem in Dresden, Braunschweig und Krefeld. Weitere stehen auf der Tagesordnung. „Wir planen die Eröffnung weiterer Standorte“, kündigte Krogmann an. Für fünf davon seien die Verträge bereits unterzeichnet. Die Filialen in Deutschland verfügen über eine durchschnittliche Verkaufsfläche von etwa 5.000 Quadratmetern.

Auftraggeber der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch

Bei der Kundschaft der Billigkette stellt Krogmann eine Verschiebung fest: hin zu den Erwachsenen. Sei der typische Kunde bisher im Teenager-Alter von 14 oder 15 erstmals in die Läden gekommen, so „entdecken uns nun auch ältere Kundengruppen zunehmend“, sagte der Deutschland-Chef. Eine weitere Kernzielgruppe seien junge Familien. Trotz der tiefen Preise entwickelt die irische Kette den Ehrgeiz, als Trendsetter wahrgenommen zu werden: „Auch wenn unsere Preise niedrig sind, ist Primark eine Modemarke.“

Kritiker werfen dem Unternehmen vor, den Anspruch auf gute Qualität zu Tiefpreisen nur auf Kosten von ausbeuterischen Arbeitsbedingungen bei Lieferanten in den Schwellenländern realisieren zu können – ein Vorwurf, den Nichtregierungsorganisationen nach dem Zusammenbruch der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch vor zweieinhalb Jahren mit mehr als 1.100 Toten und Tausenden Verletzten bestätigt sahen. Primark war einer der wichtigsten Auftraggeber des Fabrikbetreibers.

Das Unternehmen habe daraus Konsequenzen gezogen, versicherte Lister. Im vergangenen Jahr habe Primark über 2.400 Audits bei Lieferanten durchgeführt, um die Einhaltung der Regeln sicherzustellen. „Wir beschäftigen 63 Kontrolleure, deren Arbeit ausschließlich darin besteht, die Beachtung der Vorschriften durch die Lieferanten zu überprüfen“, sagte er.

Im kommenden Jahr werde die Zahl der eigenen Kontrolleure auf 83 steigen: „Sie arbeiten in China, Bangladesch, Indien, Pakistan, der Türkei, Kambodscha, Vietnam und – erstmals – auch in Sri Lanka. Sie sind in allen Ländern, aus denen wir Lieferungen erhalten.“

Beitritt zum Bündnis für Nachhaltige Textilien möglich

An die Opfer der Katastrophe in Bangladesch habe die Firma bis März Entschädigungen von 14 Millionen Dollar ausgezahlt und sich im Detail um die Verwendung des Geldes gekümmert. Primark-Beschäftigte hätten jeden der Empfänger persönlich gesprochen, um herauszufinden, welche Bedürfnisse vorhanden seien, versicherte der Manager. Das Unternehmen hat stets betont, dass praktisch die gesamte Branche, darunter auch hochpreisige Marken, unter vergleichbaren Bedingungen in Schwellenländern fertigen lasse.

Dem unter Federführung des deutschen Entwicklungshilfeministeriums entwickelten Bündnis für Nachhaltige Textilien ist Primark allerdings auch ein Jahr nach dessen Gründung nicht beigetreten, bestätigte Lister, und fügte hinzu: „Aber wir denken über einen Beitritt nach.“

Primark sei seit fast einem Jahrzehnt an der Ethical Trading Initiative in London beteiligt, die ähnlich arbeite wie das Bündnis. Man prüfe, wie beide Initiativen harmonierten. „Wenn wir zusammenarbeiten können, werden wir beitreten“, sagte Lister, „wir stehen voll hinter dem Bündnis.“

Ein nachhaltiges Geschäftsmodell mit stabilen Produktions- und Lieferbedingungen wird auch für die Primark-Mutterfirma, den irischen Mischkonzern Associated British Foods (ABF) immer wichtiger. Der Konzern mit 124.000 Mitarbeitern verkauft in fast 50 Ländern auf allen Kontinenten in einem bunten Mix von Geschäftsbereichen unter anderem Zucker, Tierfutter, Tee und Enzyme für die Pharma- und Nahrungsmittelindustrie.

Umsatz des Mutterkonzerns Associated British Foods schrumpft

Doch der Umsatz sank im abgelaufenen Geschäftsjahr, das am 12. September endete, um einen Prozent auf 12,8 Milliarden Pfund (18,1 Milliarden Euro), der Gewinn schrumpfte gar um sechs Prozent, fast eine Milliarde Pfund.

Ohne Primark wäre es noch weit schlimmer gekommen. Die Textilkette legte als einziger von fünf Geschäftsbereichen zu. Allerdings fiel das Wachstum mit plus acht Prozent auf 5,4 Milliarden Pfund (7,6 Milliarden Euro) im Vergleich zu den Vorjahren recht bescheiden aus. Bisher waren zweistellige Zuwachsraten die Regel.

Dazu kommt, dass die Primark-Erlöse fast nur noch durch eine Ausweitung der Verkaufsfläche erreicht wurden. Am Jahresende verfügte die Kette weltweit über 293 Läden, gegenüber 278 ein Jahr zuvor. Die Verkaufsfläche wuchs um neun Prozent auf gigantische 1,04 Millionen Quadratmeter.

So wird es weitergehen, nicht nur in Deutschland. „Wir verfügen über eine umfangreiche Linie von neuen Standorten für die kommenden Jahre“, heißt es im jüngsten Geschäftsbericht. Allein im kürzlich angelaufenen Geschäftsjahr sollen danach weitere 140.000 Quadratmeter in Betrieb gehen, unter anderem in Großbritannien, Spanien und Frankreich.

Primark-Lager in Mönchengladbach erweitert

Auch in den USA hat die Kette Anfang September ihren ersten Store eröffnet. Dem ersten Haus in Boston sollen in einer ersten Expansionsphase mindestens sieben weitere folgen. Mit dem größeren Filialnetz geht eine Ausdehnung des Liefernetzes einher. So erweiterte Primark sein deutsches Lager im rheinischen Mönchengladbach kürzlich um 60 Prozent.

In den USA, Tschechien und den Niederlanden wurden weitere Läger eröffnet oder stehen kurz vor der Fertigstellung. Alles in allem entfiel im vergangenen Jahr mehr als die Hälfte der Konzerninvestitionen in Höhe von 613 Millionen Pfund auf Primark.

Ohne die Millionen aus Dublin für die Expansion hätte sich das schöne Umsatzwachstum nahezu in Luft aufgelöst: Auf vergleichbarer Verkaufsfläche erreichte Primark zuletzt gerade ein Umsatzplus von einem Prozent.

Warum die textile Tochter trotz nebulöser Synergieeffekte zu einem Mischkonzern gehören sollte, dessen Kunden ansonsten vor allem Bauern, Geschäftsleute und die Einkäufer der Lebensmittel- und Pharmaindustrie sind, erklärte Lister so: „Das Primark-Management kann sich ganz auf seine Expertise konzentrieren: den Handel mit Bekleidung in den Innenstädten. Es braucht sich weder um die Präsentation von Geschäftszahlen noch um die Kapitalbeschaffung oder die Steuern zu kümmern.“

Dieser Artikel erschien zuerst in der Welt.

Bild: Namensnennung Bestimmte Rechte vorbehalten von Matt-Jackson