Recruiting regeln

„It’s all about the team“ ist einer jener Leitsätze, der wohl nahezu jedem Akteur der Digitalwirtschaft geläufig sein dürfte – egal ob Gründer, Investor, Inkubator oder Accelerator. Immer wieder ist von der zentralen Rolle guter Teams mit starker Kultur die Rede, wenn es um das Ermöglichen von Erfolg geht. Im Rahmen meiner Indivijoel-Kolumne habe ich deshalb einen Dreiteiler konzipiert, der sich jenen Team-Aspekten widmet, die mir besonders relevant erscheinen und bei denen ich durch meine Tätigkeit viele Einblicke erhalten habe. Trotzdem erhebe ich natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und freue mich über weitere Anregungen in den Kommentaren.

Als erstes werde ich auf das Thema Recruiting eingehen und dabei beleuchten, wie sich gute Teams eigentlich zusammenstellen lassen und was dabei zu beachten ist. Im zweiten Teil folgt ein Blick auf das Thema Incentivierung und Bezahlung, schließlich steht und fällt mit der Motivation eines Teams auch dessen Leistungsfähigkeit. Last but not least möchte ich auf das Thema Führung und Unternehmenskultur eingehen, das an den vorherigen Punkt anknüpft und einen wichtigen Baustein bildet.

Anhand einzelner Lehren möchte ich Anregungen geben, welche Schritte auf dem Weg zu einem guten Team und einer funktionierenden Kultur helfen können. Neben meinen eigenen Erfahrungen aus zahlreichen Gesprächen mit Gründern und Investoren sowie dem Aufbau unseres Unternehmens lasse ich dabei auch viele Tipps aus einigen empfehlenswerten Büchern einfließen, die ich interessierten Gründern ans Herz legen möchte:

Die Liste guter Bücher zu diesem Thema lässt sich natürlich noch erweitern, darum schlagt ihr doch gerne auch empfehlenswerte Bücher in den Kommentaren vor!

1. Erst das Wer, dann das Was

Egal, welcher Mission ein Startup folgt: Jede Gründung tut gut daran, zunächst die richtigen Personen zu versammeln, um dann gemeinsam die Marschroute zu definieren. Jim Collins macht diese Denke an einem sehr plastischen Bild deutlich: Wenn Menschen in einen Bus steigen, weil sie an der Fahrt Spaß haben, lässt sich die Richtung für den Bus leichter ändern, als wenn jeder Fahrgast einsteigt, um an einen bestimmten Ort zu gelangen.

Startups ist die Eigenschaft inhärent, ihren Fokus und ihre Ziele sehr häufig und in sehr kurzen Abständen zu ändern. Mit sehr guten Mitarbeitern, die anpacken, weil sie an der Sache selbst Spaß haben, stellt dies dennoch kein Problem dar.

2. Charaktereigenschaften vor Fachlichem

Wenn wir bei Gründerszene einen Mitarbeiter rekrutierten, hatten wir eine Art 60-40-Verteilung im Kopf, nach der wir entschieden haben. Zu 60 Prozent bestimmte das Charakterbild einer Person darüber, ob wir sie einstellten, zu 40 Prozent die fachlichen Fähigkeiten. Dem lag die simple Überlegung zugrunde, dass sich fachliche Dinge stets verhältnismäßig leicht vermitteln lassen, Charakterzüge aber praktisch nie verändert werden können – allenfalls in Nuancen.

Gleichzeitig gibt es auch auf der fachlichen Seite bestimmte Elemente, die vorhanden sein sollten. Ich unterscheide dazu immer gerne zwischen Inhalten und Prozessen – Inhalte (zum Beispiel: was sind relevante Startupthemen) lassen sich leicht vermitteln, Prozesse (zum Beispiel: wie verfasse ich einen Artikel mit Spannungsaufbau) hingegen nicht.

Für die Teamstimmung ist es ungemein wichtig, dass eine Person von seinem Auftreten ins Bild passt und das Gefüge nicht stört. Zwar ist es ebenso relevant, komplementäre Eigenschaften zu versammeln, doch im Zweifel gilt nicht, dass Gegensätze sich anziehen, sondern dass Gleich und Gleich sich gern gesellt. Letztlich wird die Teamstimmung vor allem durch die Kultur und jenes Verhalten, das vom Management vorgelebt wird, gesteuert. Doch eine Persönlichkeit muss immer auch zur Kultur passen. Passt eine Person nicht, wird eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt, die das gesamte Unternehmen herunter zieht.

3. Niemals Abstriche bei der Mitarbeiterqualität machen

Einer der größten Fehler, den Gründer beim Recruiting von Mitarbeitern machen können, ist das Akzeptieren von Abstrichen bei der Mitarbeiterqualität. Selbst wenn eine Position noch so dringend besetzt werden soll und schon lange gesucht wird – was gerade bei VC-finanzierten Startups hohen Druck verursachen kann – sollte von dieser Regel nicht abgelassen werden. Ein ungeeigneter Mitarbeiter tritt ebenfalls eine Abwärtsspirale los, die sich auf das gesamte Team auswirkt und die Gesamtleistung senkt oder die Teamstimmung verschlechtert. Jede Kette ist ja bekanntlich nur so stark wie ihr schwächstes Glied.

Das Tempo, welches an dieser Stelle durch Abstriche gewonnen wird, verliert ein Gründer im Nachgang doppelt und dreifach, wenn er die Architektur des Teams anschließend umfangreich reparieren muss. Dies kostet nicht nur Zeit, sondern schafft auch Unsicherheiten und schlechte Stimmung. Vor allem die ersten Mitarbeiter prägen die Kultur eines Unternehmens und ist diese zu Beginn defizitär, fällt eine nachträgliche Reparatur sehr schwer [siehe dazu auch die Liste typischer Startup-Fehler].

4. Die Hausaufgaben: Onboarding und Personalplanung

Es liegt auf der Hand, dass ein Mitarbeiter nur so effektiv sein kann, wie die ihm zur Verfügung stehenden Informationen dies erlauben. Doppelte Arbeit, fehlendes Wissen und umfangreiche Nachfragen sind Gift für die Effektivität (und die Moral) jedes Unternehmens. Jene Zeit, die im Vorfeld auf Onboarding und Personalplanung verwendet wird, fällt daher zumeist deutlich geringer aus als jene, die sonst auf dem weiteren Weg an unterschiedlichen Stellen verloren geht.

Inhaltlich gilt dabei, stets die besten Leute auf die besten Chancen anzusetzen und nicht auf die größten Probleme. Seine besten Ressourcen sollte ein Startup stets so „verwenden“, dass der Outcome möglichst viel verspricht. Denn wird ein Problem schließlich von der eigenen Agenda gestrichen, kann es sonst sein, dass ein guter Mitarbeiter ungewollt gleich mit gestrichen wird.

5. Personalentscheidungen immer schnell treffen

Es gibt Situationen, in denen eine Personalentscheidung unumgänglich ist, etwa weil sich das Anforderungsprofil verändert hat oder der Arbeitsinhalt nicht mehr zur Person passt. Wenn ein Startup einen Mitarbeiter zu entlassen gedenkt, sollte dies immer schnell geschehen. Eine falsche Person befördert Abwärtsspiralen, bindet Management-Aufmerksamkeit und zieht andere Personen mit herunter. Auch aus Fairness gegenüber der betroffenen Person sollte deshalb schnell reagiert werden.

Passt eine Person nicht mehr in eine bestimmte Rolle, muss aber dennoch nicht gleich zur Kündigung gegriffen werden. Zunächst empfiehlt es sich, offen Feedback zu geben, Fragen zu stellen und Anpassungen vorzunehmen. Fruchtet dies nicht, kann eine Schulung ermöglicht und anschließend eine Verbesserung abgewartet werden. Zeigt dies ebenfalls keinen Erfolg, empfiehlt es sich manchmal, eine neue Position für den Betroffenen auszuprobieren. Die Kündigung sollte nach Möglichkeit erst den letzten Schritt in dieser Eskalationskette bilden.

Bild: Marvin Siefke / pixelio.de

 

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