Manouchehr Shamsrizi Retrobrain
Manouchehr Shamsrizi Retrobrain Manouchehr Shamsrizi setzt bei der Demenz-Therapie auf Gamification

Der Welt-Alzheimertag am 21. September erinnerte zuletzt an 46 Millionen Menschen, die unter Demenz leiden. Mit neuen Therapien lässt sich die Krankheit verlangsamen. An einem modernen Präventions-Ansatz arbeitet Manouchehr „Manou“ Shamsrizi. Er hat das Startup RetroBrain gegründet und entwickelt Videospiele – auf wissenschaftlicher Grundlage. Die Spiele werden über Bewegung gesteuert, dazu setzt RetroBrain auf die Technik von Microsoft Kinect. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch das E-Health-Startup AmbiGate mit dem Produkt E-Reha für die Rückenschmerz-Therapie.

Shamsrizi, Jahrgang 1988, gründete RetroBrain Ende 2014 aus einem Studienprojekt der Yale University heraus. Das erste Produkt ist die Spielesammlung Memore. Das Team wird von Experten der Humboldt-Universität, des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, eines Max-Planck-Instituts und Microsoft unterstützt und durch das InnoRampUp-Programm der Stadt Hamburg gefördert. Mehrere Hamburger Altenheime und Pflegeeinrichtungen testen die frühe Version der Spielesammlung derzeit.

Shamsrizi ist der jüngste „Global Justice Fellow“ der Yale University und Alumni und Exist-Stipendiat der Humboldt Universität und der Zeppelin Universität. Gemeinsam mit Xing-Gründer Lars Hinrichs verfasste er den Beitrag „Das Land der Denker und Gründer“ für das Buch „Das Deutschland-Prinzip“. Der RetroBrain-Gründer im Kurzinterview mit Gründerszene.

Manou, wieso hast Du ein Startup zur Prävention von Demenz gegründet?

Die WHO nennt Demenz die „Geißel der Menschheit im 21. Jahrhundert“. Wir haben tolle Technologien und ein wachsendes Verständnis vieler Volkskrankheiten, danach sieht die Lebensrealität vieler Betroffener, ihrer Angehörigen, Pfleger und Therapeuten aber nicht aus. Als junge Menschen kennen wir die aktivierende und stimulierende Wirkung guter Spiele, gleichzeitig sind wir in Deutschland in die Spitzenforschung eingebunden. Daraus ergibt sich in meinen Augen auch eine moralische Verantwortung, Sinnvolles mit seiner Zeit und unternehmerischen Energie anzufangen.

Andere Startups setzen bei der Problemlösung rein auf Apps, ihr zusätzlich auf Bewegung – beispielsweise für die Steuerung eures Rennspiels. Warum?

Die Stanford University und das Max Planck Institute for Human Development warnen vor den Versprechungen reiner Apps. Es existiert eine Vielzahl an Studien, die die Wirksamkeit etablierter nicht-medikamentöser Therapiemaßnahmen auf das neurokognitive Leistungsvermögen bei Demenz belegen. Hierzu zählen insbesondere Musiktherapie, Ergo- und Physiotherapie, aber auch personalisierte Erinnerungstherapie. Davon abgesehen gilt: Bewegung bringt Spaß, und es existieren starke Hinweise, dass Spielspaß über eine vermehrte Ausschüttung von Dopamin im Gehirn einen positiven Einfluss auf die Betroffenen ausübt.

Das Video zeigt eine frühe Version von Memore und die Kinect-Steuerung in Aktion.

Wieso verwendet Memore die bestehende Microsoft-Lösung Kinect?

Zum einen kann der Kinect-V2-Sensor selbst kurze Handbewegungen auf vier Meter Entfernung präzise erfassen, was die Durchführung vielfältiger medizinisch wirksamer Maßnahmen erst ermöglicht. Die Gestensteuerung fördert aber nicht nur körperliche Bewegungen, sondern ermöglicht uns mit seinem Preis-Leistungs-Verhältnis ein skalierbares Angebot für Alten- und Pflegeeinrichtungen zu machen. Der Kinect-Sensor lässt sich übrigens auch wunderbar nutzen, um die Bewegungen des Spielers in eine 3D-Umgebung zu übertragen. Benutzungs- und Verlaufsdaten können gesammelt und medizinisch ausgewertet werden.

Wäre also die Verwendung von Geräten wie der Oculus Rift vorstellbar und damit richtige Virtual-Reality-Anwendungen?

Klar, wir sind große VR-Fans und tauschen uns sehr regelmäßig mit dieser Community aus. Das Eintauchen in die virtuelle Welt, das sich mittels solcher Brillen erreichen lässt, ist natürlich einerseits faszinierend, andererseits eignen sich die aktuell erhältlichen Modelle noch nicht für einen Einsatz in den Pflegeeinrichtungen. Und wir wollen Spiele entwickeln, die funktionieren – im therapeutischen und präventiven Sinne, aber auch im Sinne der tatsächlichen Usability für die Lebensrealität heutiger Alten- und Pflegeheime und der Angehörigen. Wir suchen dafür nach Technologien, die das Leben unserer Zielgruppen erleichtern – und da scheinen die richtigen VR-Anwendungen noch nicht angekommen zu sein. Die verbleibenden Probleme wie die mögliche Übelkeit beim Spielen sind bekannt. Wir hoffen aber auf den Fortschritt, auch um beispielsweise für bettlägerige Patienten neue Angebote entwickeln zu können.

Zurück zu Memore, wann rechnest Du mit dem finalen Produkt?

Wir planen in den nächsten Monaten in den großflächigen Verkauf gehen zu können. Gänzlich final wollen wir nie sein, das ist gleichzeitig eine Eigenschaft moderner Spieleentwicklung – wie auch ein Zugeständnis an die große Geschwindigkeit der Forschung. Unsere Kunden erwarten sowohl bei B2B als auch B2C laufende Neuerungen im Gamedesign und den therapeutischen Inhalten, und sind bereit dafür zu zahlen. Gerade von Endkonsumenten erhalten wir viele Anfragen, die wir aber gegenwärtig aus logistischen Gründen leider noch vertrösten müssen.

Sind bereits weitere Produkte in Planung?

Natürlich, die Schnittstellen von Gamification und Gaming mit Gesundheit sind noch wahnsinnig jung, haben aber ein riesiges Potenzial: therapeutisch für den Betroffenen, entlastend für die Angehörigen und Kostenträger, und präventiv für jeden. Wir sind als Anti-Alzheimer-Projekt gestartet, rein technisch wie therapeutisch steckt dahinter jedoch eine Plattform, die wir in verschiedene Richtungen weiterentwickeln: Aktuell beispielsweise auf Anfrage von Krankenhäusern für die verschiedenen Phasen der Neurorehabilitation. Es gibt aber auch Konzepte für Schmerztherapien, Parkinson, oder Formen der Datenanalyse, die für Pharmaunternehmen spannend sein können.

Wie seid ihr bisher finanziert? Plant ihr eine größere Finanzierungsrunde?

Wir haben die tolle Ausgangslage, dass wir unseren umfangreichen MVP mit öffentlicher Innovationsförderung entwickeln konnten. Zur Zeit führen wir mit verschiedenen Investoren die letzten Gespräche für eine Runde, die uns den zeitnahen Markteintritt in unsere ersten B2B-Märkte ermöglicht, Alten- und Pflegeheime beziehungsweise Krankenhäuser für die Neuroreha. Interessanterweise treffen wir auf sehr verschiedene Akteure mit großem Interesse, nachdem wir ja gleichermaßen als Healthcare- wie als Gamingprojekt verstanden werden können. Das dürfte auf eine ungewöhnliche Konstellation hinauslaufen, für die wir sehr offen sind – und für die wir uns über weitere Partner freuen.

Danke für das Gespräch.

Bild: Manouchehr Shamsrizi