Industrie 4.0 Tipps Startups

Kehrt die Massenarbeitslosigkeit nach Deutschland zurück? Internationale Studien warnen, dass in den Industrieländern im Zuge der Digitalisierung der Wirtschaft fünf Millionen Jobs verschwinden werden.

Deutschland sei von diesem Wandel besonders stark betroffen, hieß es beispielsweise auf dem Weltwirtschaftsforum, das im Januar in Davos stattfand. Selbstfahrende Lastwagen und Züge, Roboter als Krankenpfleger und Buchhalter – fast jeder zweite Arbeitsplatz könnte innerhalb von zwei Jahrzehnten überflüssig werden, prognostizieren IT-Spezialisten und Unternehmensberater.

Hiesige Arbeitsmarktforscher schätzen die Beschäftigungseffekte der voranschreitenden Automatisierung dagegen vollkommen anders ein. „Zwar wird die vierte industrielle Revolution die Arbeitswelt tatsächlich erheblich verändern. Doch die menschliche Arbeitskraft wird dabei nicht überflüssig“, sagt Holger Bonin vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).

Ein schleichender Prozess

Das Institut hat im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums untersucht, wie viele Jobs hierzulande in den nächsten 10 bis 20 Jahren infolge des technologischen Wandels wegfallen könnten. Das Ergebnis der Studie: Nur zwölf Prozent der Arbeitsplätze weisen Tätigkeitsprofile mit einer hohen Automatisierungswahrscheinlichkeit auf. Der Arbeitsmarktexperte weist darauf hin, dass alle Berufe aus vielen unterschiedlichen Tätigkeiten bestehen und im Regelfall nur ein Teil von Computern übernommen werden kann. „Viele Berufe fallen nicht weg, sondern wandeln sich“, sagt Bonin.

Wenn Routineaufgaben automatisiert würden, könnten die Menschen mehr Zeit für die nicht automatisierbaren Tätigkeiten verwenden. Der Prozess der zunehmenden Automatisierung vollziehe sich zudem schleichend und sei somit für die Menschen viel besser zu bewältigen, als dies die technologischen Visionäre prophezeiten. „Außerdem wird nicht alles, was technologisch machbar wäre, auch gemacht“, sagt der Ökonom. Nicht immer rentiere es sich, menschliche Arbeitskraft durch Technik zu ersetzen.

Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit gibt Entwarnung: „In kaum einem Beruf ist der Mensch vollständig ersetzbar“, heißt es in einer Studie zu den Folgen der Digitalisierung für die Arbeitswelt. Zwar habe die Automatisierung mittlerweile Arbeitsbereiche erreicht, von denen man noch vor Kurzem glaubte, sie könnten niemals von Computern übernommen werden.

„Computer sind in der Lage, in Sekundenbruchteilen Handelsgeschäfte an der Börse abzuwickeln, schneller und gezielter als Ärzte die statistisch wirkungsvollsten Therapievorschläge zu unterbreiten oder selbstständig juristische Gutachten oder Vertragstexte zu erstellen“, stellen die IAB-Forscherinnen Katharina Dengler und Britta Matthes fest. Kaum abschätzbar sei zudem, wie sich künftig die neuen Möglichkeiten der Vernetzung auf die Arbeitswelt auswirkten. Doch ein genauer Blick auf den deutschen Arbeitsmarkt zeige, dass bislang nur auf wenigen Berufsfeldern im großen Stil Jobs substituierbar wären.

Erzieherin oder Schauspieler ist nicht ersetzbar

Bei den Fertigungsberufen ist das Risiko, durch Computer ersetzt zu werden, laut IAB am höchsten. Produkte aus Materialien wie Glas und Keramik, Kunststoff oder Papier herzustellen, sei weitgehend ohne menschliche Arbeitskraft möglich. Auch die Produktion von Fahrzeugen, Anlagen oder Maschinen könnten schon heute zum großen Teil vom Kollegen Computer erledigt werden.

Dagegen gebe es bei den sozialen und kulturellen Dienstleistungsberufen fast gar keine Tätigkeiten, die sich automatisieren lassen. Weder die Erzieherin noch der Theaterschauspieler ist ersetzbar. Sicherheitsberufe, Reinigungsjobs, Gesundheitsberufe, Gaststätten oder der Bau kommen laut IAB auch in Zeiten der Digitalisierung ebenfalls nicht ohne Menschen aus. In allen diesen Bereichen könnte maximal ein Drittel der auszuübenden Tätigkeiten durch Technologie ersetzt werden.

Von den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland arbeiten nach Berechnung des IAB 40 Prozent in Berufen, die nicht vom technologischen Wandel bedroht sind. Das gilt für Expertenberufe wie Lehrer oder Dirigenten ebenso wie für manche manuelle Tätigkeiten wie Schornsteinbauer oder Friseur.

45 Prozent der Beschäftigten haben ein mittleres Risiko, da sie in Berufen arbeiten, in denen ein beträchtlicher Teil der Tätigkeiten von Computern erledigt werden könnte. Dies betrifft Sparten wie Gartenbau, unternehmensbezogene Dienstleistungen, Unternehmensorganisation oder naturwissenschaftliche Dienstleistungen.

Lediglich 15 Prozent der Beschäftigten sind einem hohen Risiko ausgesetzt, im Zuge der Automatisierung ihren Job zu verlieren, da hier ein Großteil der Tätigkeiten von Maschinen erledigt werden könnte.

Akademiker und Fachkräfte profitieren sogar

Die unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ bekannt gewordene Vernetzung der traditionellen Wirtschaft mit der digitalen Welt wird den Strukturwandel hin zu Dienstleistungen beschleunigen. Das IAB prognostiziert, dass bis 2025 im Zuge der Digitalisierung 490.000 Arbeitsplätze vor allem in Industrie verschwinden. Da aber parallel an anderer Stelle neue Jobs besonders für IT-Experten und Lehrkräfte entstünden, gingen unter dem Strich lediglich 60.000 Stellen verloren – eine Größenordnung, die angesichts von mehr als 43 Millionen Beschäftigten von den Arbeitsmarktexperten als „rote Null“ bezeichnet wird.

Die deutschen Firmen gehen ebenfalls davon aus, dass die Digitalisierung keine dramatischen Beschäftigungseffekte haben wird. Eine repräsentative Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) unter den hiesigen Unternehmen zeigt, dass die Personalverantwortlichen auf absehbare Zeit nicht mit einem Stellenabbau im Zuge der Automatisierung rechnen. Gerade die digitalen Vorzeigebetriebe planten vielmehr ihr Personal überdurchschnittlich aufzustocken.

Profitieren würden dabei vor allem Akademiker und Fachkräfte. Das IW schlussfolgert denn auch, dass die Digitalisierung den „Höherqualifizierungstrend vorantreibt, der ohnehin seit Jahren auf dem Arbeitsmarkt zu beobachten ist“.

Anforderungen an Arbeitnehmer steigen

Und auch die Arbeitnehmer sehen die Automatisierung ganz überwiegend nicht als Gefahr. Das ZEW hat Beschäftigte gefragt, wie sie selbst das Risiko einschätzen, infolge des technischen Fortschritts ihren Job zu verlieren. Nur zwölf Prozent der Erwerbstätigen fürchten, zu den Betroffenen zu gehören, ergab die repräsentative Befragung.

Das ZEW stellt in seiner Studie allerdings auch klar, dass mit der Digitalisierung die Anforderungen an die Arbeitskräfte steigen werden. „Die Beschäftigten benötigen Qualifizierung, um komplexere, schwer automatisierbare Aufgaben neu zu übernehmen, aber auch um die Technologien als Arbeitsmittel zu verwenden.“

Die Bedeutung von Weiterbildung, Umschulung oder betrieblicher Fortbildung werde zunehmen. Das bedeute auch lebenslanges Lernen für alle.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Welt Online

Bild: © panthermedia.net / Uyttebroeck Michel