Fuck

Diesen Text hätte ich am liebsten einfach ignoriert. Doch das geht leider nicht. Er wird munter auf Facebook geteilt und erhält einfach zu viel Zustimmung, um ihn unwidersprochen durch das Netz geistern zu lassen. Unter der, sagen wir mal, saloppen Überschrift „Fuck you, Silicon Valley!“ schreit sich Alard von Kittlitz seinen Hass über die „IT-Bosse aus Kalifornien“ von der Seele. Seine Tirade lässt uns das Valley nicht besser verstehen, sie lässt uns allerdings tief in die Seele des Autors blicken. Und es ist nicht sehr schön, was dort zum Vorschein kommt.

Eine ARD-Reportage brachte den Gefühlshaushalt des Journalisten endgültig ins Wanken und regte ihn zum Schreiben an. „Go West, ihr Genies“ hieß die Sendung, deren Inhalt und Ton offenbar zu viel für den Zeit-Online-Autor waren. Die Rede war unter anderem vom „Tal der Zukunft“, von „Talenten, Erfindern und Propheten“, der Sound laut Kittlitz „anhimmelnd“. Menschen aus dem Valley seien in Wirklich jedoch einfach nur unheimlich selbstvernarrt, schreibt Kittlitz. Sie würde nur „banale Probleme“ auffinden und bearbeiten. Wirkliche Probleme wie „soziale Ungerechtigkeit“ oder „die Erwärmung des Humboldt-Stroms“ würden hier nicht gelöst.

Sind Deliveroo-Fahrer Sklaven?

Im Valley, so Kittlitz, seien lediglich aufgeblasene Angeber unterwegs, die von devoten Fans angehimmelt würden. Hier etwas verkürzt ein paar weiteren Thesen aus dem Text: Amazon tötet den Einzelhandel, Uber tötet die Taxis, Airbnb tötet den Wohnungsmarkt der Innenstädte, Deliveroo-Fahrer sind Sklaven.

Zum Thema Digitalisierung seien nur Fanboys und blauäugige Journalisten unterwegs und das Valley sei nicht besser als die Wall Street. Und wer habe eigentlich gesagt, fragt der Autor, dass wir uns mit der Digitalisierung anfreunden müssten, wenn sie doch so viele Jobs kosten wird? Selbstverständlich folgen dann noch ein paar Schlenker gegen Google und Algorithmen. Und der Name Peter Thiel wird benutzt, um das Valley in Gänze in die Nähe von Trump zu rücken.

Doch bereits die Grundthese des Textes ist falsch. Es gibt in den deutschen Medien niemand, der das Silicon Valley anhimmelt. Im Gegenteil. Zu Zeiten eines Frank Schirrmacher bestand das komplette Feuilleton der FAZ aus einer einzigen Digitalisierungs-Valley-Smartphone-Big-Data-Kritik. Die Titelgeschichten über böse Roboter, böse Datensammler, böses Facebook und die angestrebte Schreckensherrschaft von Google in Spiegel, Zeit und Stern sind Legion. Die schlechten Arbeitsbedingungen bei der Produktion von Apples iPhone in China sind sprichwörtlich und felsenfest im Bewusstsein des aufrechten, irgendwie linken Konsumkritikers verankert. Dass Smartphones unsere Kinder dumm machen, darf man allen Ernstes in viel gelesenen Büchern und bei Podiumsdiskussionen behaupten.

Die tiefe deutsche Seele

Wie kommt man auf die Idee, dass das Valley in deutschen Medien angehimmelt wird? Noch in der blauäugigsten TV-Reportage wird mit ernster Miene betont, dass die amerikanische Mentalität ja ganz anders sei. Was im Klartext bedeuten soll, dass die Amerikaner oberflächlich, kindlich optimistisch und verspielt sind und nur die tiefe deutsche Seele die negativen Seiten der Digitalisierung erkennen könne. So wie Alard von Kittlitz, der das wahrscheinlich auch von sich denkt.

In Wirklichkeit arbeiten zum Beispiel bei Google die besten Wissenschaftler der Welt an Hunderten von Projekten, die mit der Entwicklung von Apps, mit Essenslieferungen oder dem Versand von Schuhen nichts zu tun haben. Ja, auch zur Vision vom ewigen Leben wird geforscht. Aber dieses Projekt wird von Kittlitz im Vorbeigehen als naive Leidenschaft von Google-Gründer Larry Page diskreditiert.

An der Stanford-Universität sitzen Startups, die heute zum Beispiel die Medizintechnik von morgen entwickeln. In jedem vorstellbaren Bereich wird intensiv geforscht. Von jungen, intelligenten Menschen, die sich vorgenommen haben, nicht nur Essen über das Internet zu verkaufen, sondern richtig große Probleme mit den technischen Möglichkeiten unserer Zeit zu lösen.

Weltverbesserer wollen nur Geld verdienen

Verwunderlich ist, dass ausgerechnet ein Intellektueller wie Kittlitz offenbar nicht in der Lage ist, sich eine Welt ohne Taxis und Gewerkschaften vorzustellen. Ja, alles soll natürlich irgendwie besser, gleicher und gerechter werden. Aber es soll gleichzeitig auch alles so bleiben wie es ist. Offenbar geht es dem Autor in unserer Welt, so wie sie ist, ganz gut. Die Weltverbesserer wollten am Ende ja nur Geld verdienen. Wirklich? Schlichter geht es nicht in der Argumentation.

Es ist schon peinlich zu lesen, wie sich ein junger deutscher Journalist von seinem Schreibtisch aus als selbstgerechter Fundamentalkritiker der Menschen im Silicon Valley aufspielt. Und es schmerzt, dass er damit offenbar vielen Leuten aus der Seele spricht, wenn man sich die Kommentare zu der Geschichte auf Facebook anschaut. Es scheint so, als ob viele Leser aufatmen, weil mit diesem Artikel endlich eine Stimme gefunden haben, die ihrer Frustration über die rasanten Veränderungen, ihr Unverständnis über das, was da im Silicon Valley passiert, herausschreit.

Erkenntnis über die eigene Mittelmäßigkeit

Über viele Entwicklungen lässt sich diskutieren. Es muss und soll debattiert werden. Auch über Entwicklungen, die Airbnb ausgelöst hat. Aber man könnte auch erwähnen, dass viele junge Leute mit Hilfe von Airbnb die ganze Welt bereisen und in fremden Städten die Kultur viel natürlicher aufnehmen als das früher möglich war. Dem Journalisten, der schon sehr früh in aller Welt herumgekommen ist, ist das offenbar entgangen.

Studenten, die sich als Essensausfahrer ein bisschen Geld hinzuverdienen, werden von ihm pauschal als hechelnde Sklaven diskreditiert. Ich spare es mir, an dieser Stelle aufzuschreiben, auf welche Art und Weise sich Studenten in den Zeiten vor Deliveroo ihr Geld verdienen mussten. Es sei denn, die Eltern hatten genug Geld.

Statt auf die Wut-Tiraden eines Journalisten setze ich lieber weiter auf die Erfindungskraft und Leidenschaft von grandiosen Forschern, verrückten Utopisten und seltsamen Genies. Davon gibt es im Silicon Valley eine ganze Menge. Leute dieser Art wurden übrigens zu allen Zeiten sehr gerne diskreditiert. Meistens von Menschen, die noch nicht einmal im Ansatz irgendetwas für die Menschheit leisten wollen, sondern sich stattdessen lieber die schmerzhafte Erkenntnis über ihre eigene Mittelmäßigkeit von der Seele schreien.

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