Ein Gespenst ist das Logo von Snapchat.

Ein Beitrag von Martin Gardt, Redakteur bei OnlineMarketingRockstars.de.

In einer jüngst „gele­ak­ten“ Prä­sen­ta­tion zeigt Snap­chat, wie Brands und Mar­ke­ter die Platt­form nut­zen kön­nen, um maxi­male Reich­wei­ten und Wer­beer­folge zu erzie­len. Die Zah­len in der Prä­sen­ta­tion sind natür­lich schon sehens­wert. Ein klei­ner Aus­zug: Nach eige­nen Anga­ben wur­den schon Mitte 2014 täg­lich 700 Mil­lio­nen Nach­rich­ten (Snaps) pro Tag ange­se­hen.

Unter den 100 Mil­lio­nen akti­ven Nut­zern tum­meln sich vor allem Mil­le­ni­als und Teen­ager – 71 Pro­zent sind jün­ger als 25 Jahre und 65 Pro­zent pro­du­zie­ren jeden Tag Con­tent. Inter­es­sant auch, dass Evan Spie­gel seit Neu­es­tem nicht mehr von MAU (monthly active users) oder DAU (daily active users) spricht, wie viele andere in der Szene, son­dern als neue „interne“ Metrik HAU (hourly active users) ein­führt.

Sto­ries sind der zen­trale Punkt und der große Vor­teil gegen­über WhatsApp

Den­noch zeigt die Prä­sen­ta­tion zu Anfang erst­mal auch, dass Snap­chat sel­ber davon aus­geht, der Ü25-Generation vorab erklä­ren zu müs­sen, wie die App über­haupt funk­tio­niert. Kamera in der Mitte, links davon die pri­va­ten Nach­rich­ten und rechts der für Snap­chats Busi­ness­mo­dell ent­schei­dende Bereich: die Sto­ries. 2013 wur­den diese Bil­der­ge­schich­ten ein­ge­führt, seit 2014 setzt Snap­chat eigene The­men in „Our Story“. Hier­für wählt die App Bil­der der Nut­zer wäh­rend spe­zi­el­ler Groß­er­eig­nisse aus – und ver­schafft eini­gen unglaub­li­che Reich­wei­ten. Anders als pri­vate Snaps löschen sich Sto­ries nicht nach weni­gen Sekun­den, son­dern sind bis zu 24 Stun­den online.

Die grundlegenden Funktionen von Snapchat.
Die grundlegenden Funktionen von Snapchat. Die grund­le­gen­den Funk­tio­nen von Snapchat.

Beson­ders bei Groß­er­eig­nis­sen wie der Fuß­ball-Welt­meis­ter­schaft 2014 funk­tio­nie­ren Sto­ries per­fekt. Ins­ge­samt lie­fer­ten die Nut­zer 45 Stun­den Mate­rial aus Fotos und Videos, am Ende schnitt Snap­chat dar­aus eine Fünf-Minuten-Geschichte. Nur wer sich im Final­spiel­ort Rio auf­hielt, konnte zur Story bei­tra­gen, gepusht wurde das Ereig­nis zu allen Snapchat-Nutzern. Diese Live-Begleitung von Events kopiert ein wenig Twit­ters Feed – mit dem Unter­schied, dass Snap­chat die Bil­der aus­wählt und nicht wie bei Twit­ter der Nut­zer über das bestimmt, was er zu sehen bekommt. Außer­dem ist so eine Story viel bild­las­ti­ger, als das text­ba­sierte Twitter-Modell. Natür­lich waren nicht alle Nut­zer glück­lich über die auto­ma­ti­sche Bil­der­flut, aber Brands soll­ten mit der Aktion wohl neu­gie­rig gemacht wer­den. 100 Mil­lio­nen Nut­zer könn­ten auf einen Schlag erreicht wer­den.

Bilder aus der Rio-Story zur Fußball-WM 2014.
Bilder aus der Rio-Story zur Fußball-WM 2014. Bilder aus der Rio-Story zur Fußball-WM 2014.

So nut­zen Mar­ke­ter Snap­chat bereits

In der Prä­sen­ta­tion gibt das Startup einen Blue­print, wie Mar­ke­ter Snap­chat nut­zen kön­nen. Sie sol­len vor allem expe­ri­men­tie­ren und die neue Art des Sto­ry­tel­lings ken­nen ler­nen. Schließ­lich gebe es dank Snap­chat die Mög­lich­keit, seine Fans und Fol­lo­wer auf einer ganz indi­vi­du­el­len und per­sön­li­chen Ebene anzu­spre­chen. Snap­chat selbst bringt ein paar Bei­spiele und stellt die wich­tigs­ten Tipps zusam­men: Die Snaps soll­ten per­sön­lich, exklu­siv und mit­ten­drin sein. Sehr gut für Brands sol­len „Cele­brity Take Overs“ (ein Promi über­nimmt den Account für ein paar Stun­den), Promo Codes und Tea­ser funk­tio­nie­ren. Der große Vor­teil der App ist, dass Videos und Fotos, die als ange­se­hen ange­zeigt wer­den, ech­tes Enga­ge­ment abbil­den, schließ­lich muss der Nut­zer einen Fin­ger auf das Dis­play hal­ten, um das Video oder Bild anzu­zei­gen. CEO Evan Spie­gel hat hier nur eine Sorge: „Das hält uns von län­ge­ren Content-Stücken weg, weil es nach einer Weile ein­fach nervt den Fin­ger auf das Dis­play zu hal­ten.“ Eine Alter­na­tive kann er aber auch noch nicht auf­zei­gen.

So setzen andere Snapchat ein. Die Band ASP mit Surfer Nat Young, Karmaloop mit Promo Codes und McDonalds mit einem Teaser (von links).
So setzen andere Snapchat ein. Die Band ASP mit Surfer Nat Young, Karmaloop mit Promo Codes und McDonalds mit einem Teaser (von links). So setzen andere Snapchat ein. Die Band ASP mit Surfer Nat Young, Karmaloop mit Promo Codes und McDonalds mit einem Teaser (von links).

Einige Early Adop­ters, die Snap­chat in der Prä­sen­ta­tion nennt, sind auch auf den ande­ren Platt­for­men ganz vorn mit dabei. McDo­nalds, Red Bull, Mas­hable: Diese Mar­ken ste­hen für Expe­ri­mente und die schei­nen auf Snap­chat her­vor­ra­gend zu funk­tio­nie­ren. Die Lieferservice-App Grub­Hub (ver­gleich­bar mit Pizza.de und Lie­fer­held in Deutsch­land) machte eine mehr­tei­lige Bil­der­ge­schichte zu einem Promo Code. Das Bei­spiel zeigt per­fekt, wie man Nutzer-Interesse bei Snap­chat gewin­nen und hal­ten kann, schließ­lich musste sich jeder Hung­rige das 50-Sekunden-Video bis zum Ende anschauen. Sehr beliebt sind natür­lich auch Stars und Stern­chen, daher ist es kein Wun­der, dass das zweite Snapchat-Beispiel von der Pre­miere der HBO-Serie Girls ist. Die vom roten Tep­pich erstellte Story war am Ende 220 Sekun­den lang und brachte den Fans exklu­sive Ein­bli­cke hin­ter die Kulis­sen.

Der Lieferdienst GrubHub setzte Stories für eine clevere Promo-Aktion ein.
Der Lieferdienst GrubHub setzte Stories für eine clevere Promo-Aktion ein. Der Lieferdienst GrubHub setzte Stories für eine clevere Promo-Aktion ein.

Das Pro­blem der Sicht­bar­keit und die Discover-Funktion

Ein Pro­blem, dass Snap­chat bis­her nicht lösen konnte, ist die schlechte Sicht­bar­keit der Accounts. Nut­zer müs­sen – wie auch bei WeChat – den genauen Account­-Na­men ein­ge­ben, um Freunde hin­zu­zu­fü­gen. Kein Wun­der, dass Snap­chat den Brands in der Prä­sen­ta­tion des­halb einige Nut­zer­na­men beson­ders akti­ver Unter­neh­men, Sport­mann­schaf­ten und Pro­mis vor­gibt. Mit dabei sind neben den schon beschrie­be­nen Bei­spie­len auch die Spie­le­ab­tei­lung EA Sports, die Dal­las Mavericks und Influ­en­cer Jerome Jarre.

Ohne diese Tipps bleibt es für Snapchat-Nutzer schwer, Brands zu ent­de­cken. Da hilft auch der nette Hin­weis von Snap­chat selbst nichts, den Account über andere Platt­for­men wie Ins­ta­gram zu pro­mo­ten. Eine Mög­lich­keit könnte die Discover-Funktion sein. Die erst im Januar 2015 ein­ge­führte Funk­tion hilft zumin­dest Publis­hern, ihre Inhalte leich­ter auf­find­bar zu machen. Erste Part­ner sind Vice, Cosmo­po­li­tan, CNN, MTV und andere. Trotz­dem bleibt die Such­funk­tion eine der größ­ten Her­aus­for­de­run­gen für die App – zumin­dest aus Sicht von Mar­ke­tern und der Ü25-Generation.

Kann Snap­chat nur mit Wer­bung genug Geld verdienen?

Snap­chat wird nach einer Inves­ti­tion von Ali­baba über 200 Mil­lio­nen US-Dollar schon mit 15 Mil­li­ar­den Dol­lar bewer­tet. Doch CEO Evan Spie­gel, der ja ein Drei-Milliarden-Dollar-Angebot von Face­book abge­lehnt hatte, will den nächs­ten Schritt machen. Er erklärte in einem Inter­view mit Recode, dass der Weg für Snap­chat wei­ter Rich­tung Con­tent zeigt. Dazu will er ein eige­nes Team auf­stel­len, dass die vie­len Per­spek­ti­ven der Nut­zer wäh­rend der Live-Events ein­ord­net. Gleich­zei­tig setzt Snap­chat wie die asia­ti­schen Kon­kur­ren­ten Line und WeChat auf Zusatz­funk­tio­nen wie die nur in den USA ver­füg­bare Zahl­funk­tion Snap­cash.

Viel­leicht könn­ten nach dem Vor­bild aus Fern­ost bald auch direkte Sho­p­in­te­gra­tion und andere Mar­ke­ting­he­bel bei Snap­chat lan­den, damit die Ziel­gruppe die App gar nicht mehr ver­las­sen muss. Aller­dings ließ Spie­gel im Inter­view immer wie­der durch­schei­nen, dass die drei Grund­pfei­ler Kamera, Chat und Sto­ries der­zeit das Wich­tigste seien. Auch die Suche wolle er erst ein­mal nicht ver­bes­sern. „Wir glau­ben, dass Men­schen und Brands unter­schied­lich sind und manch­mal fin­den wir es frus­trie­rend wenn Brands in unse­rem Ser­vice ver­su­chen, sich wie eine Per­son auf­zu­füh­ren.“ Seine Marketing-Abteilung sieht das, wie in der Prä­sen­ta­tion erkennt­lich, etwas anders. Spie­gel will lie­ber Brands dabei hel­fen, wie Brands zu agie­ren – mit ganz nor­ma­ler Wer­bung.

Das könnte für Wer­be­trei­bende aber rich­tig teuer wer­den. Anschei­nend for­dert Snap­chat 750.000 US-Dollar pro Tag für Wer­bung im Con­tent Stream der Nut­zer. In Gesprä­che mit Part­nern sei das Start-up sehr selbst­be­wusst gegan­gen. Man sei auf einer Stufe mit TV-Werbung mit Mil­lio­nen Zuschau­ern am Tag. Wer­be­spots setzt Snap­chat aber der­zeit auch nur mit füh­ren­den Unter­neh­men wie McDo­nalds, Elec­tro­nic Arts und Samsung. Ent­täuscht waren viele Mar­ke­ter nach ers­ten Ver­su­chen mit der limi­tier­ten Daten­aus­wer­tung. Offen­sicht­lich wurde nicht zwi­schen männ­li­chen und weib­li­chen Zuschau­ern unter­schie­den und keine Alters­ka­te­go­rien ange­zeigt. Zuletzt ruderte das Start-up offen­bar etwas zurück. 1.000 Views sol­len jetzt nicht mehr 100 US-Dollar, son­dern nur noch 20 Dol­lar kosten.

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Dieser Beitrag erschien zuerst auf OMR.com

Bild: Snapchat