Social-PM-Scheitern-Erfahrungsbericht
Social-PM-Scheitern-Erfahrungsbericht Die Esentri-Gründer Frank Szilinski, Marcus Eberts, Mario Herb und Robert Szilinski (v.l.)

Ein Erfahrungsbericht von Robert Szilinski, Vorstandsvorsitzender der Esentri AG, welche bis Anfang 2015 die Kollaborationssoftware Social PM betrieb.

Yes, failure is an option!

Etwas wehmütig wurde uns schon zumute, als wir uns 2015 entschlossen haben, unser Baby Social PM einzustellen. Vier Jahre haben wir mit vereinten Kräften versucht, unsere Idee der Zusammenarbeit in Unternehmen zum Fliegen zu bringen und als zweites Standbein neben unserem Beratergeschäft auszubauen. Leider hat es am Ende zum durchschlagenden Erfolg unserer Enterprise-Social-Networking-Software nicht gereicht. Gelernt haben wir trotzdem unheimlich viel und bekanntlich ist ja keine Erfahrung umsonst.

Anstatt aber nun Social PM still und leise in der Versenkung verschwinden zu lassen, möchten wir mit Euch unsere zehn wichtigsten Erfahrungswerte teilen. Wir zeigen Euch hier auf, warum es bei uns am Ende NICHT mit dem Millionenumsatz geklappt hat und was wir heute ganz anders machen würden.

#1 Eine gute Idee ist noch lange kein Markt

Was waren wir euphorisch! Endlich ein Enterprise Social Network bauen, dass die Produktivität in den Vordergrund stellt. Eine gelungene Mischung aus Facebook und Projektmanagement. Das braucht die Welt! Und in der Tat – das Schreiben von E-Mails, das Chaos in den Projekten und die mangelnde Transparenz kostet Unternehmen weltweit wahrscheinlich Milliarden. Das ist unser Markt, da werden wir groß!

Wenn das nur so einfach wäre… Eine gute Produktidee ist wichtig und die Basis für alles Weitere. Aber die langfristige Umsetzung und Vermarktung eines Produkts hatten wir uns einfacher vorgestellt. So wahnsinnig schwer kann das mit den Märkten und Marktsegmenten doch eigentlich nicht sein. Schließlich hatten wir den Klassiker „Crossing the Chasm“ gelesen und aufgesaugt, also los geht’s!

Leider war es aber doch nicht so einfach. Bei genauerem Analysieren haben wir schnell festgestellt, dass unsere Zielgruppen immer noch viel zu unscharf waren und die Kundenansprache dadurch schwierig wird. Welche Unternehmen mit welcher Größe in welcher Branche sollte doch gleich unser Fokuskunde sein?

Auszug aus unserem Strategiepaper… puh, ganz schön viel Arbeit.

Lesson learned: Analysiert frühzeitig und detailliert das Marktpotenzial. Noch lange vor dem Launch solltet Ihr durch eine frühe Ansprache feststellen, welche Zielgruppen als erste Kunden wirklich in Frage kommen (und was es Euch kostet, sie anzusprechen!).

#2 Release often and early (oder der Kunde ist König)

Kaum ein Wochenende ist in den intensivsten Monaten vergangen, an dem wir nicht gearbeitet haben. Kaum eine Nachtschicht haben wir ausgelassen. Planmäßig haben wir Modul für Modul mit glühenden Tasten programmiert, um dann festzustellen: Viele der von uns als nützlich und notwendig erachteten Funktionen gehen schlichtweg am Bedarf vorbei. Wir dachten, wir wissen, was wir selbst und unsere Kunden brauchen.

Zum Durchbruch verhalf uns an dieser Stelle ein sehr proaktiver Kunde. Gemeinsam haben wir schnell herausgefunden, welche Features wirklich wichtig sind, welche Funktionen noch fehlen oder auch welche überflüssig sind und die Komplexität unnötig erhöhen. In dieser Zeit haben wir die größten Fortschritte gemacht und waren super motiviert. Regelmäßig haben wir Updates veröffentlich und Feedback bekommen, das war fantastisch!

Lesson learned: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler! Geht modulweise vor und holt Euch mit jedem Schritt direktes Feedback von ausgewählten Kunden, die den Entwicklungsprozess begleiten.

#3 Usability matters – keep it simple

Und dann die Technik erst. Technisch haben wir das Beste vom Besten verbaut. Wirklich! Damals waren wir mit Adobe Flex in der Lage, Oberflächen zu realisieren, die man aus der HTML/JavaScript-Welt nicht mal im Entferntesten kannte. Realtime versteht sich. Nichts nachladen, Push überall und wenn Teams zusammenarbeiten, sollen alle sofort sehen, was sich ändert. Mehr noch, alle sollten gleichzeitig an den gleichen Aufgaben arbeiten können. Die App für iPhone und iPad inklusive. Haben wir alles geschafft! Sogar einen professionellen Screen-Designer haben wir angeheuert. Wir waren die Könige – dachten wir.

Heute können wir sagen, dass wir einen entscheidenden Aspekt ein bisschen vernachlässigt hatten. Den genial einfachen Einstieg. Die Usability von Social PM war überragend, wenn der User es mal verstanden hatte. Aber wie zum Teufel richte ich als Kunde eigentlich ein Projekt ein, wie weise ich Mitarbeiter zu? Hmmm… so schwer kann das doch nicht sein, oder?

War es leider doch: Das Feedback der Kunden war eindeutig. Es ist immer noch viel zu kompliziert. Verglichen mit vielen anderen Lösungen waren wir weit vorn, aber es war einfach noch nicht gut genug. Als Techniker mussten wir feststellen, dass wir zu kompliziert denken. Hier hat uns das Feedback der Kunden enorm geholfen, mit jedem Release besser zu werden. Kleiner Nebeneffekt: wenn die Software wirklich einfach ist, reduzierst Du damit auch Aufwand und Kosten für Hilfe und Support der Anwender. Beides sollte man nicht unterschätzen.

Lesson learned: Software muss selbsterklärend sein. Einfach! Einfacher! Nein, noch einfacher! Genial einfach! Der Anwender muss sofort ohne Schulung mit der Software loslegen können. Immer!

Hier ein Versuch, das Komplexitätsproblem mit einem Video zu lösen 😉

#4 Vertriebsstrategie frühzeitig festlegen

Kurz überlegt: Wir haben ein geniales Produkt. Die Welt braucht unser Produkt. Jetzt noch schnell eine Webseite gebaut und dann können wir schon mal anfangen, den Geldspeicher zu mauern… Määäääg.

Lesson learned: Im Internet verkauft sich nichts, aber auch gar nichts alleine. Eine durchdachte Vertriebs-Strategie ist das A und O! Auch Freemium ist kein Allheilmittel!

Zurück zum Problem. Wie verdammt nochmal finden wir noch mehr Kunden? Einfach ein bisschen Adwords machen? Bei einem erklärungsbedürftigen Produkt? Hmmm…schwierig! Bleibt also der Vertrieb. Jemand muss es verkaufen.

Bingo! Wir hatten gute Verkäufer, die sollen das machen. Aber wen ansprechen und wie? Kampagnen müssen her, wir beschäftigen erstmal die Call Center. Gesagt getan. Vorqualifizierung läuft, die Leads sprudeln. Und nun? Anruf? Vor-Ort-Termin? Wer fährt da hin? Kann man das nicht online zeigen? Wie qualifizieren wir die Leads? Wie machen das eigentlich die anderen?

Schnell war uns klar, das wir da nochmal ran müssen. Jeder Kundenkontakt kostet. Zeit, Geld, Aufwand. Der muss am Ende auch bezahlt werden. Genauso wie die Marketingkampagnen und Vertriebsaktivitäten. Zu teuer? Na gut, dann machen wir das über Partner. Wir waren damals die erste verkaufte App im 1&1 App Store! 🙂 Yeah, das funktioniert! Hmmm…leider nicht regelmäßig genug. Wir müssen bei niedrigen Kosten mehr verkaufen. Wie machen wir das? Klarer Fall: Freemium!

Also haben wir unser Geschäftsmodell verändert. Es gab drei Varianten von Social PM: „entry“, „pro“ und „enterprise“. Auch „entry“ hat am Anfang gekostet. Wir wollten mehr Kunden. Also haben wir uns irgendwann auch für ein Freemium-Modell entschieden. Jeder macht das doch so, oder? Dann wird das viral und jeder will es haben, genau – so machen wir das! Tja, hat leider nicht funktioniert. Auch wenn sich die Erfolge zwischendurch sehen lassen konnten. Zu Spitzenzeiten 50 Anmeldungen pro Woche, weit über 1.000 aktive Organisationen angemeldet. Da ging was. Aber am Ende wollten zu wenig Kunden wirklich zahlen. Die Last auf den Servern war da, die Kosten aber leider auch.

Bitte wenden – hier geht’s zu den nächsten Lehren: #5 bis #7.

Bild: Esentri

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Social-PM-Scheitern-Erfahrungsbericht Die Esentri-Gründer Frank Szilinski, Marcus Eberts, Mario Herb und Robert Szilinski (v.l.)

#5 Speed is King – die Konkurrenz schläft nicht

Wir waren schnell! Ach was. Sauschnell! Was wir mit unseren Mitteln erreicht haben, war wirklich Wahnsinn! Der Vertriebsleiter eines großen Konkurrenten sprach uns auf einer Messe an. Mit wie vielen Entwicklern wir an der Software arbeiten würden? Mit drei Leuten! Da ist er echt blass geworden. Sein Laden hatte über 30 Entwickler und viele Jahre Vorsprung und bis auf einige Features waren wir nah dran. Das spricht für unseren Einsatz – aber leider hat es auch hier nicht gereicht. Vielleicht hätten wir zehn oder 20 Entwickler dieses Formats gebraucht, um der Konkurrenz Paroli zu bieten, denn wir waren trotzdem zu langsam.

Bis zu unserem Go-Live im Jahr 2012 war der Markt schon längst mit einer Vielzahl ähnlicher Tools „überspült“, darunter Startups mit kapitalschweren Geldgebern wie Asana oder Unternehmen mit einer gewaltigen Verkaufsmaschinerie wie Projectplace. Bis wir soweit waren, dass wir unsere Vertriebsprozesse und ein stabiles Produkt aufgesetzt hatten, war es schon zu spät.

Auch der Punkt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, ist ein wichtiger Faktor, den wir unterschätzt hatten. Wir waren mit der Umsetzung von Social PM viel zu spät dran. Wir waren nie wirklich im „Stealth Mode“ und haben Social PM früh auf Messen und in Meetings vorgestellt. Dennoch: Außerhalb unseres Dunstkreises (wir waren unter anderem im CyberChampion-Finale 2010) kannte keiner unser Produkt, und was niemand kennt, wird nicht gehypt, und was nicht gehypt wird, wird nicht gekauft.

Lesson Learned: Unterschätze nie die Konkurrenz, gerade wenn sie schon bekannt und kapitalstark ist. Wartet nicht mit der Umsetzung Eurer Ideen, sondern legt los, damit Ihr nicht zu spät seid! Man muss nicht der Erste im Markt sein, aber am besten die Nummer zwei!

#6 Technology matters! Ist aber nicht alles!

Zu unserer Kerndomäne. Die Technologie. Was haben wir anfangs diskutiert, Prototypen gebaut und Trends analysiert. Am Ende haben wir Social PM auf Basis von Java und der Oracle-Datenbank (unsere Welt!) sowie damals noch Adobe Flex gebaut. Wir haben Software gebaut, wie wir es gewohnt waren – deutsche Ingenieurskunst. Saubere Schichtentrennung, Wiederverwendbarkeit, automatische Tests. Auch hier: Wir waren wirklich sehr gut, bis heute braucht man den Quellcode nicht verstecken und wir haben gefühlt alles reingepackt, was man damals als „chic“ bezeichnet hätte.

Leider gab es aber auch hier ein paar Themen, die wir besser hätten durchdenken müssen. Die Architektur war zwar gut, aber außer unseren Gurus haben Werkstudenten und Praktikanten extrem lange gebraucht, um selbst produktiv sein zu können. Das hat – genau – die Kosten nach oben getrieben. Die Einarbeitungszeit war zu lange. Es war einfach sauviel, was es zu lernen gab und mit unseren Echtzeitmechanismen zu berücksichtigen galt.

Zum letzten Release hat Social PM aus 1,4 Millionen Zeilen Quellcode und Konfigurationsdateien bestanden. Wow! Da darf man auch zurecht ein bisschen verliebt in die eigene Anwendung sein.

Es gab aber zwei weitere Themen, bei denen wir rückblickend betrachtet vielleicht noch hätten anders vorgehen müssen. Zum Einen haben wir auf Adobe Flex gesetzt, das den Flash Player im Browser benötigt. Idee war damals, dass wir auch Offline-Funktionen über Adobe Air anbieten wollten und Social PM sowohl für Desktop als auch für Tablets und Smartphones auf einer Codebasis und möglichst als App laufen sollte. Leider hat das nicht so funktioniert wie gedacht.

Schlimmer noch. Steven Jobs, unser großes Vorbild, hat vor unserem Go-Live den Flash Player begraben, klar aus Angst, dass die Flash-Anwendungen den Apps im eigenen Store Konkurrenz machen. Aber er hatte mehr recht, als wir damals wahr haben wollten. Viele haben uns auf den Punkt hingewiesen und auch heute ist das Thema noch aktuell. Adobe hat ein massives Sicherheitsproblem mit dem Flash Player, das sie einfach nicht in den Griff kriegen. Zwar haben sie die Flex-Bibliotheken der Apache Foundation gespendet, jedoch die Runtime in eigener Hand behalten.

Das wurde zum Problem. Für uns und den Rest dieser Welt, der auf Adobe setzte. Schade! Die Vorzeichen vielleicht ein bisschen überhört und am Ende wahrscheinlich auch ein bisschen Pech gehabt, aber so ist das Leben.

Das zweite Problem war hausgemacht. Unsere Software ist wirklich super-modularisiert und nach Komponenten aufgebaut. Wir wussten auch, dass wir Services für die Außenwelt und zur Integration anbieten mussten. Durch die Echtzeitmechanismen waren unsere Services (schon immer auf REST-Basis) aber so kompliziert, dass die API einfach nicht mal schnell genommen werden konnte, um neue Plugins oder die Integration in bestehende Anwendungen zu realisieren. Dabei wussten wir, dass dies ein extrem wichtiger Punkt und Erfolgsfaktor sein würde.

Diesen Punkt haben wir bis Ende nicht wirklich beheben können, jedoch haben wir enorm viel gelernt. Diese Erfahrung hilft uns heute, in den Beratungsprojekten frühzeitig diese Gefahren zu erkennen und zu identifizieren.

Lesson Learned: Eine gute technische Basis ist wichtig. Kein Overengineering. Man muss nicht die neuesten Technologietrends nutzen, um erfolgreich zu sein. Wer es trotzdem tut, läuft Gefahr, dass die Entwicklung sich verteuert. Daher: Bewährte Technologien auswählen und den Fokus auf Geschwindigkeit setzen!

#7 Die Cloud – Fluch und Segen zugleich

Uns war schon vor der ersten Zeile Code klar: Social PM muss in die Cloud. Komplett. Esentri betreibt von Beginn an alle Anwendungen ausnahmslos in der Cloud. Keine Unternehmenssoftware, die wir lokal installieren und betreiben. Können wir nicht, wollen wir nicht. Die Cloud hatte viele Vorteile für uns. Schnell und nach Belieben konnten wir skalieren, neue Testinstanzen aufsetzen, ja – für ein paar Kunden hatten wir mit unserer Enterprise Edition sogar richtige „private Clouds“ aufgesetzt. Das war so smooth, so klasse!

Dann kam der Crash! Ups… Blitzeinschlag bei Amazon. Daten weg. Was? Nicht wiederherzustellen? Instanzen korrupt – bitte? So hat es uns getroffen. Die Hauptinstanzen unserer SaaS-Lösung waren korrupt und Amazon nicht in der Lage, alles per Backup wiederherzustellen. Da hatten wir den Salat! Hat uns das Nerven gekostet! Ein paar Tage Krisenmanagement – zu dem Zeitpunkt immerhin 300 Kunden auf unserer Cloud, die ihre Projekte durchführen wollten. Gottseidank hatten wir vorausschauend eigene Backups gemacht und konnten unsere Kunden „retten“.

Wir sind keine Spezialisten für den Betrieb. In der Folge haben wir uns aber nochmals tiefer mit der Cloud beschäftigt und können durch unsere Erfahrungen mit der Cloud auch unsere Kunden beraten, worauf zu achten ist. Wir haben alles geskriptet und optimiert. Vollautomatische Deployments, selbstskalierende Cluster, alles. Das war schon richtig gut und ohne hätten wir es mit der kleinen Mannschaft nicht geschafft. Geschweige denn die Kosten: Kein Startup kann sich große und teure Server leisten. Die Cloud hat es möglich gemacht und wir waren als echte Pioniere vorn dabei.

Lesson Learned: Die Cloud hat gehalten, was sie verspricht, und wird unsere Zukunft weiter prägen. Gut, günstig und flexibel. Aber: Man darf sich nicht blind verlassen und muss sich auch mit dem Extremfall beschäftigen, um am Ende den Kunden guten Service zu bieten. Nichts ist schwieriger wiederzuerlangen als Vertrauen!

Bitte wenden – hier geht’s zu den nächsten Lehren: #8 bis #10.

Bild: Esentri

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#8 Umfeld und Fokussierung sind entscheidend

Wie finanziert man ein Startup? Also typischerweise? Genau: erstmal selbst. Wir haben das so gemacht, dass wir uns selbst kleine Gehälter gezahlt haben und die Softwareentwicklung durch parallele Beratungsprojekte finanziert wird. Soweit so, gut. Das hat auch prima funktioniert. Nur: Wir haben dadurch natürlich an Geschwindigkeit verloren. Mit einem parallelen Consulting-Geschäft bestand immer die Gefahr der „Projekteritis“ und wir haben uns (betriebswirtschaftlich sinnvoll) oft auch für das Kundenprojekt und gegen die Entwicklung von Software entscheiden müssen. Das tat weh!

Im Nachhinein muss man sagen, dass wir immer, wenn wir fokussiert an der Software gearbeitet haben, extrem große Fortschritte gemacht haben. Das gilt natürlich für die Softwareentwicklung, aber genauso für die Themen Marketing und Vertrieb. Man muss dazu sagen, dass unsere Kundenstruktur im Beratungsgeschäft und unsere Zielkunden für Social PM nicht wirklich deckungsgleich waren. Das hatte zur Folge, dass man in der Ansprache, im Marketing und im Vertriebs-Prozess anders vorgehen musste.

Wie wir relativ schnell herausgefunden haben, ist es hilfreich, wenn man diesbezüglich die passenden Mitarbeiter einsetzt. Produktgeschäft funktioniert anders als Beratungsgeschäft. Man muss außerdem ganz andere Netzwerke pflegen (zum Beispiel zu Investoren, die sich auf SaaS spezialisiert haben) und man benötigt sogar an machen Stellen andere Mitarbeiter, die für ihr Spezialgebiet anders und fokussiert vorgehen.

Lesson Learned: Fokussiert Euch auf das Wesentliche! Produkte am besten immer in eigene Firmen ausgliedern und von Anfang an die dort gesteckten Ziele verfolgen. Ohne Wenn und Aber!

#9 Eine gute Finanzplanung ist elementar, passt der Preis?

Wir haben ein geniales Produkt (Angebot). Der Markt ist da (Nachfrage). Warum kaufen aber nur wenige Firmen die kostenpflichtige Pro-Variante? Lag es am Preis? Es klingt alles so schön in den Planungen, wenn man SaaS-Lösungen vertreibt. Jährlich wiederkehrende Einnahmen, sichere Kalkulation – und in der Tat: Das ist das Modell der Zukunft. Als Firma nutzen wir ausschließlich SaaS-Produkte, um unsere Geschäftsprozesse abzubilden. Also liegt es am Preis? Nein, nicht nur. Es ist komplizierter.

Zunächst einmal haben wir festgestellt, dass unsere Wachstumsprognosen und damit die Umsätze zu optimistisch kalkuliert waren. Erfahrene Business Angels und Mentoren haben uns das auch schnell dargelegt. Also alles eine Frage der Erfahrung? Jein, hätte ich gesagt. Wir haben mit wirklich sehr vielen Leuten gesprochen und es war aus unserer Sicht niemand dabei, der die Lösung für ALLE Probleme hatte. Dennoch sind konstruktiv kritische Ratschläge und Nachfragen ein guter Indikator. Wir haben Marktanalysen gewälzt, Zahlen interpretiert und heftig diskutiert, welche Strategien, welche Preise uns zum Erfolg führen.

Am Ende haben wir für uns festgestellt: Es hilft nur eins – probieren! Man muss es testen. Landingpages, zielgruppenspezifische Kampagnen, aktiver Vertrieb. Im Lauf der Zeit hatten wir ein recht gutes Bild vom Markt bekommen und hatten auch Ideen, wie wir noch mehr Anwender begeistern, für unser Produkt zu bezahlen. Es hat auch funktioniert. Nur, dann kam der nächste Haken.

Für mehr Marketing, für mehr Vertrieb braucht man – wenig überraschend – mehr Geld. Wir wollten immer eigenständig sein, keine Großinvestoren im Boot haben oder gar Venture Capital in großem Maße einsetzen. Doch auf einmal hatten wir einen Punkt erreicht, an dem klar war, dass das Geschäftsmodell nur dann skaliert, wenn man investiert. Geld, das wir nicht hatten.

Also haben wir nach geeigneten Finanzpartnern Ausschau gehalten und uns für eine relativ konservative Variante entschieden, mit deren Hilfe wir weitere Tests und Kampagnen finanzieren konnten. Durch das Fremdkapital – Ihr ahnt es – mussten wir aber konsequenterweise ebenfalls neu kalkulieren. Wieviel kostet uns ein zahlender Kunde eigentlich jetzt, wenn man eine Vollkostenrechnung ansetzt, also inklusive dem Kapitaldienst?

Und siehe da: Wir hätten Preise verlangen müssen, die man zumindest nicht kalkulierbar am Markt durchsetzen konnte oder die Rechnung am Ende bezahlen, wenn es funktioniert. Ein Modell, nur „Kunden auf Pump“ zu kaufen, um dann nachher das Produkt mit Kundenbasis teuer zu verkaufen, kam uns nicht wirklich in den Sinn. So sind Preis, Finanzen und keine sehr ausgeprägte Risikobereitschaft sicherlich die Haupttreiber dafür gewesen, Social PM am Ende aus wirtschaftlichen Gründen einzustellen.

Lessons learned: Kosten für Mitarbeiter, Vertrieb und Marketing realistisch einschätzen, Wachstumsprognosen sind unserer Erfahrung nach immer zu optimistisch! Fremdkapital ist mit hoher Wahrscheinlichkeit notwendig, beschäftigt Euch früh damit. Wichtig: Nur wegen eines günstigen Preises allein kauft niemand!

Übrigens: Von Konkurrenten haben wir erfahren, mit welcher Power manche Vertriebsorganisationen ausgestattet waren. Unmengen Mitarbeiter im Sales, alles streng nach Provision und unter höchstem Druck aufs Verkaufen getrimmt. Das hat uns nicht gefallen und wir haben uns bewusst dagegen entschieden, ein solches Modell zu fahren – mal abgesehen vom finanziellen Risiko, das ein solches Invest mit sich bringt.

War’s das? Nein, es fehlt der wichtigste Punkt für uns. Nicht weil er relevant für das Scheitern war, sondern weil er neben all den fachlichen Erkenntnissen und Erfahrungen bis heute unser wichtigster Asset ist.

#10 Leidenschaft und Begeisterung versetzen Berge

Krass, wenn man an die Anfänge zurückdenkt. Eine gute Idee hatte damals ausgereicht, um ein wahnwitziges Vorhaben aus der Taufe zu heben und das Unmögliche mit einer kleinen aber hochmotivierten Mannschaft möglich zu machen. Die positive Verrücktheit, der absolute Glaube, das Richtige zu tun, die Welt verbessern zu wollen und Trends in die Realität umzusetzen, hat bei uns Kräfte freigesetzt, die wirklich kaum zu erklären sind.

Das ist übrigens geblieben: die Erfahrung, die Erkenntnis. Sie treibt uns bis heute. In jedem einzelnen Projekt. Wir wissen, was möglich ist, wenn Menschen gemeinsam an ein Ziel glauben. Jeder Mitarbeiter soll den Spirit fühlen und jeder Einzelne soll seinen Platz im großen Ganzen kennen. Nur dann sind wir erfolgreich!

Dieser Artikel erschien zuerst im Esentri-Blog.
Bild: Esentri