Warum uns diese Startup-Werbung auf die Nerven geht

Man kommt einfach nicht drumherum. Zumindest in Berlin. In vielen Ecken der Stadt hängen Werbeplakate von Startups und fordern unsere Aufmerksamkeit. Plakate müssen laut sein. Sie müssen verknappen und ihre Botschaft soll in Sekundenbruchteilen dechiffrierbar und möglichst unvergesslich sein. Das ist ihr Job. Aber unterschwellig senden sie andere Botschaften aus: Plakate erzählen immer auch von der Lebenswelt ihrer Absender und ihrer Adressaten.

Und diese Welt scheint ziemlich bieder und altbacken zu sein, wenn man sich die Motive anschaut. Da wird geputzt, gefeudelt, Pizza und Hamburger gegessen. Und als Belohnung für den Blumenstrauß aus dem Internet winkt dem aufmerksamen Männchen eine Extrarunde im Bett. Oder wie soll man die Reklame von Bloomy Days sonst verstehen? Auch schön der Slogan von My Postcard: „Schreib mal wieder.“ In herzallerliebster 70er-Jahre-Pelikan-Handschrift. Optisch befinden wir uns in der Vorhölle. Das Plakat von Drivy treibt jedem Menschen mit einer Spur Gefühl für Gestaltung Tränen in die Augen. Waren wir da nicht mal weiter?

Die wunderbare Werbewelt der Startups

Das sei alles ganz normal, sagt Elizabeth Osterloh von der Agentur D.C. Media Networks (DCMN): „Bei jungen Unternehmen, die auf schnelles Wachstum setzen, ist es doch klar, dass Werbung in erster Linie eine klare Handlungsaufforderung ist.“ Das Geld ist knapp und man will jeden investierten Euro zurück verdienen. „Return on investment“ nennt man das wohl. Ihre Kollegin Hannah Bellman sieht trotzdem dringenden Nachholbedarf: „Die Startups müssen in Sachen Werbung viel mutiger werden. Man sieht am fehlenden Mut, dass Werbung oft von den Firmen selber gemacht wird.“

Vielleicht trifft die Werbung aber auch einfach nur in das Herz der Zielgruppe. Vielleicht ist diese heute biederer und traditioneller als wir es – gerade hier in Berlin – wahrhaben wollen. Die schicke Wohnung soll blitzen wie in allerbesten Meister-Proper-Zeiten, die Nahrung soll satt machen. Schnell. Mit Pizza, Hamburger oder Sushi liegt man also immer richtig. Bloß keine Experimente. Und am Sonntag heißt es dann: „Schreib mal wieder.“ Die Familie in der Provinz wartet auf ein paar persönliche Zeilen aus der Hauptstadt. Fast wie eine echte Postkarte. Ach, wie schön ist das neue Biedermeier. Sind wir das wirklich?

Ja, auch auf Instagram und in sozialen Netzwerken wird heute natürlich Werbung gemacht. Aber TV und Citylight-Poster sind nach wie vor sehr wichtig und haben sichtbare und vor allem messbare Effekte. Die beiden Expertinnen von der Agentur sind sich allerdings sicher, dass sich die Werbung bald verbessern wird. Hannah Bellmann: „Es braucht einfach ein großes Vorbild, das mit originell-ungesehener Werbung den Durchbruch schafft. Dann kommen auch die anderen.“ Dabei existiert mit Zalando sogar ein solches Vorbild, dem Modeversender hatte die „Schrei vor Glück“-Kampagne aus dem Hause Jung von Matt zum Durchbruch verholfen. Und Elizabeth Osterloh sagt: „Werbung kann beides vereinen. Call to Action und Sexyness. Wer hier genau ins Schwarze trifft, landet den ganz großen Hit.“ Hoffen wir, dass es ein paar Startups wenigstens mal versuchen.

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