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Ernst & Young-Studie: London und Berlin sind am coolsten

„Arm, aber sexy.“ Dieser Spruch von Klaus Wowereit hat das Image Berlins für Jahre geprägt. Die Hauptstadt galt als cool und hip, aber wirtschaftlich als eher hoffnungsloser Fall.

Doch über kurz oder lang könnte Berlin deutlich weniger arm sein – und zwar genau wegen des zweiten Attributs, das der ehemalige Regierende Bürgermeister der Stadt zuschrieb: Deutschlands einzige wirkliche Metropole zieht so viele junge, kreative Köpfe an, dass sich dort eine prosperierende Szene von Tech-Unternehmen entwickelt.

Das Resultat ist bereits sichtbar: Blickt man auf die investierten Summen, dann ist Berlin bereits Europas Standort Nummer zwei für junge Firmen der Informationstechnologie. Besser schneidet nur noch London ab. Das geht aus einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (früher Ernst & Young) hervor, die der Welt vorliegt.

EY hat untersucht, wohin zwischen Anfang 2013 und September 2014 das meiste Geld von Startup-Finanzierern in dieser Branche geflossen ist. In diesem Zeitraum erhielten 187 Firmen aus London Risikokapital, im Finanzjargon Venture Capital genannt. Auf Rang zwei folgt Berlin mit 145 Unternehmen.

Drei deutsche Städte unter Europas Top-Tech-Standorten

Die übrigen Standorte sind deutlich abgeschlagen. In Paris investierten Venture Capitalists in 66 Unternehmen, in Barcelona waren es 39. Mit München (32) und Hamburg (20) können sich immerhin zwei weitere deutsche Städte in den Top 15 platzieren. Beim insgesamt investierten Volumen zeigt sich ein ähnliches Bild: Auch in dieser Rangliste liegen London und Berlin vorne.

Risikokapitalinvestitionen in Startups der Bereiche Technologie und digitale Medien erleben in Deutschland derzeit einen Boom. Die Zahl der Venture-Capital-Transaktionen ist von 111 im Jahr 2010 auf 201 im vorvergangenen Jahr gestiegen. 2014 dürfte nach Schätzungen von EY mindestens das Vorjahresniveau erreicht werden.

Die Popularität unter IT-Gründern verdankt Berlin nach Ansicht der Experten freilich keiner besonders klugen Standort- oder Ansiedelungspolitik. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für solche Unternehmen sind nicht unbedingt besser als anderswo in Deutschland oder Europa. Entscheidend scheint vielmehr die Attraktivität der Stadt als Lebensmittelpunkt zu sein.

„London und Berlin sind die mit Abstand wichtigsten Startup-Zentren in Europa“, sagt Thomas Prüver von der Transaktionsberatung bei EY. „Beide Städte ziehen viele kreative Talente an und profitieren von ihrer Internationalität“, glaubt er. In manchen Startups arbeiteten schließlich Menschen mit 20 verschiedenen Nationalitäten zusammen.

London ist vielen Investoren und „Techies“ schlicht zu teuer

London genießt diesen Ruf als Schmelztiegel für Talente aus aller Herren Länder schon länger – und liegt folgerichtig noch ein gutes Stück in Führung, was IT-Startups angeht.

„London ist sicher noch ein Stück internationaler und etablierter. Aber es ist bemerkenswert, wie sehr Berlin in den vergangenen Jahren aufgeholt hat“, sagt Prüver. Für Berlin sprächen zudem die immer noch vergleichsweise günstigen Lebenshaltungskosten, die deutlich unter dem Niveau anderer europäischer Metropolen lägen.

Ein Faktor, den auch schon etablierte Unternehmen für sich entdeckt haben. So hat etwa die Deutsche Bank in den vergangenen Jahren neue Abteilungen in Berlin eröffnet oder Jobs aus klassischen Finanzzentren wie Frankfurt oder eben London dorthin verlagert. Begründung: Gerade jüngere Leute wollen gerne in Berlin leben und nehmen dafür auch geringere Gehälter in Kauf als etwa in Frankfurt. Oder brauchen schlicht nicht so viel Geld zum Leben wie im extrem teuren London.

So verwundert es nicht, dass Berlin in Sachen Tech-Startups auch alle anderen, zum Teil viel größere Bundesländer abhängt. Hier hat EY die Jahre seit 2010 untersucht und in Berlin 298 Venture-Capital-Investitionen in diesem Bereich registriert. In Bayern sind es mit 142 nicht einmal halb so viele, Nordrhein-Westfalen kommt als Nummer drei schon nur noch auf 71 Transaktionen.

Risikokapital-Rekord für Delivery Hero

Die Rekordinvestitionssumme verbuchte passenderweise ebenfalls ein Berliner Unternehmen: 657 Millionen Dollar flossen in die Online-Lieferplattform Delivery Hero. An zweiter Stelle steht Bigpoint, ein in Hamburg ansässiger Anbieter von Browser- und Online-Spielen mit insgesamt 461 Millionen Dollar an Risikokapital. Die dritthöchste Summe konnte der Aschheimer Shoppingklub Best Secret einwerben.

Das investierte Geld kommt in den meisten Fällen aus dem Inland. Allerdings stieg der Marktanteil ausländischer Investoren gemessen an der Anzahl der Transaktionen nach EY-Angaben im ersten Halbjahr 2014 von 22 auf 29 Prozent. Und: Je größer die investierte Summe, desto bedeutender die Rolle ausländischer Investoren. Der Finanzstrom dürfte jedenfalls so bald nicht abreißen: Zahlreiche neue Fonds suchen nach Investitionszielen im digitalen Markt.

Venture-Capital-Geber arbeiten allerdings ähnlich wie andere Finanzinvestoren: Nach ein paar Jahren möchten sie ihr Geld wiederhaben. Den Weg dorthin ebnet in der überwiegenden Zahl von Fällen ein Verkauf an ein bereits etabliertes Unternehmen aus der Tech-Branche, das die neue Idee für sich nutzen möchte.

Keine Angst vor einer neuen IT-Blase

Aber auch große Finanzinvestoren interessierten sich zunehmend für dieses Segment, sagt EY-Experte Prüver. „Börsengänge wie im Falle von Zalando oder Rocket Internet finden zwar große öffentliche Beachtung, sind aber noch vergleichsweise selten.“

Der Boom der IT-Firmen lässt freilich auch ungute Erinnerungen wach werden. Vor 15 Jahren wurden schon einmal Internetunternehmen, die teilweise nie Gewinn gemacht hatten, zu schwindelerregenden Preisen verkauft oder an die Börse gebracht – bis der Höhenflug mit dem Zusammenbruch des sogenannten Neuen Marktes an der Börse ein jähes Ende fand.

Diese Gefahr sieht Prüver derzeit nicht. „Wir halten den derzeitigen Boom in diesem Segment für nachhaltiger als die IT-Blase um die Jahrtausendwende“, sagt er. In den Unternehmen sei deutlich mehr Substanz vorhanden. Sie punkten nicht nur mit schnell wachsenden Umsätzen, sondern auch mit profitablen Geschäftsmodellen. „Da sah das Bild vor 15 Jahren doch etwas anders aus.“

Bild: © panthermedia.net / Michał Barański