Okay, so alt ist StudiVZ jetzt auch noch nicht. Aber zehn Jahre, das kann in der digitalen Welt schon eine Reise in die Steinzeit bedeuten.

Runder Geburtstag: StudiVZ, das erste massenwirksame Social Network Deutschlands, wird heute zehn Jahre alt. Am 11. November 2005 war die Seite zum ersten Mal für die Öffentlichkeit zugänglich. Gründerszene würdigt das Jubiläum mit einer Artikelreihe: einem Report über die Anfangstage der Gründer Ehssan Dariani und Dennis Bemmann; einem Ortstermin im StudiVZ von heute; und mit einem Interview mit der heutigen Geschäftsführung.

Zum Start dokumentieren wir hier einen Beitrag aus dem Sommer 2007: Wie eine Welt-Online-Reporterin ihren Alltag im „Studentenverzeichnis“ für ein offensichtlich nicht so netzaffines Publikum erklärte. Überschrift: „Was Studenten beim StudiVZ treiben“.

Ich komme schon wieder zu spät! Dabei wollte ich doch nur kurz einen Blick ins StudiVZ werfen. Leider bin ich dort mal wieder hängen geblieben. Aber dafür weiß ich jetzt, dass wir uns am Samstag zum Grillen bei Matthias treffen. Das verrät mir ein Eintrag in der Gruppe „Westend“ im StudiVZ. Solche Verabredungen werden schon lange nicht mehr übers Telefon oder per Mail getroffen. „Westend“ hat mittlerweile 31 Mitglieder. Alle studentischen Aushilfskräfte der „Westend-Druckerei-Betriebe“ in Essen, also auch ich, haben sich in einer Gruppe zusammengeschlossen um Termine abzusprechen oder einfach so zu schreiben.

StudiVZ – das ist eine Internet-Plattform für Studierende. Jeder Nutzer legt sich ein persönliches Profil an, mit Namen, Adresse, Interessen. Je nach Wunsch kann man Gruppen beitreten und seine Lehrveranstaltungen eintragen. Kennt man jemanden vom Sehen aus der Vorlesung, lässt sich im StudiVZ Kontakt knüpfen. Vielleicht entwickelt sich eine Freundschaft oder mehr daraus. 1,86 Millionen Kontaktfreudige sind mittlerweile im StudiVZ angemeldet.

Ich habe meinen jetzigen Freund über das StudiVZ kennengelernt. Gesehen haben wir uns zwar schon früher. Doch richtigen Kontakt hatten wir erst im StudiVZ. An meinem Geburtstag wartete eine Glückwunschnachricht auf meiner virtuellen Pinnwand auf mich. Seitdem haben wir uns Nachrichten geschrieben und uns schließlich auch im „richtigen Leben“ verabredet.

Dunkle Wolken über dem „StudiVZ-Land“

Nicht immer funktionierte das StudiVZ einwandfrei. Am Anfang gab es oft Wartungsarbeiten. Solche Außerbetriebnahmen der Studentenplattform wurden durch den Schriftzug „Käffchen!? Wir sind gleich wieder für euch da“ kenntlich gemacht. Kurz darauf gründete ein Mitglied eine Gruppe namens „Käffchen!?“, in der die Nutzer ihren Unmut zeigen konnten. Einmal wurde das StudiVZ für sechs Tage am Stück vom Netz genommen.

Auch Sicherheitslücken gab es. Mehrmals wurden Daten von Mitgliedern eingesehen oder gar zweckentfremdet. Studentenorganisationen hatten davor gewarnt, das StudiVZ zu benutzen. Außerdem haben Blogger den Betreibern und teilweise auch Mitgliedern des StudiVZ Sexismus, Nationalismus und Arroganz vorgeworfen.

Das StudiVZ ist trotz allem nicht mehr wegzudenken

Für mich kam ein Austritt aus dem StudiVZ allerdings nicht in Frage. Es ist die tägliche Neugier, die mich zum StudiVZ zieht. Wir tauschen Internetverweise („Links“), schreiben uns Nachrichten auf die Pinnwand, suchen kuriose Gruppen.

Gestern habe ich diese neue Gruppe entdeckt: „Wenn eine Sache gar nicht geht, dann ist es die Farbe rosa!!“ Da muss ich rein. Ich klicke auf den entsprechenden Knopf – „der Gruppe beitreten“. Aber was ist das? „Du bist schon in soo vielen Gruppen, das muss reichen“ lautet die Antwort. 100 Gruppen sind offenbar die Grenze. Dann muss ich erst mal eine entfernen, um meiner Antipathie der Farbe rosa gegenüber offiziell Ausdruck verleihen zu können. Aber welche? Die sind doch alle so wichtig. Wie wär’s mit „Hinten im Stau ist scheiße, vorne geht“? Oder „Wer ist eigentlich dieser LAN und warum macht der so viele Partys?“ Nein, diese hier: „Abspülen on demand – eine neue Spezies entsteht“. Da wir jetzt stolze Besitzer einer Spülmaschine sind, trifft das nicht mehr zu. Sehr gut. Gesagt, getan.

Die Startseite im Frühjahr 2007

Noch „mal schnell“ nach meinen Nachrichten schauen kann ich vergessen. Dieses „mal schnell“ zieht sich bei mir oft genug etwas länger hin. Wieder warten drei neue Einträge auf meiner Pinnwand. Aus Versehen schreibe ich die Antwort an Lena wieder mal auf meine eigene Pinnwand anstatt auf ihre. Der „etwas schreiben“- Knopf direkt über Lenas Eintrag verleitet einfach dazu, direkt nachdem die Nachricht gelesen ist, drauf zu klicken, wenn man nun mal „etwas schreiben“ möchte.

StudiVZ als Kommunikationsmittel Nummer eins

Vieles könnte man auch per Telefon oder Mail besprechen. Doch StudiVZ geht schneller, und ich kann mit wenigen Klicks viele Freunde auf einmal kontaktieren.

Im Zeitalter der Flatrates kostet das StudiVZ im Gegensatz zu SMS nichts. Anfangs wollte ich gar nicht ins StudiVZ, mich nicht schon wieder in irgendeinem Internetforum anmelden. Doch ich merkte, dass es nicht mehr ohne geht. Immer und immer wieder war das StudiVZ in meinem Bekanntenkreis Gesprächsthema.

Im StudiVZ finde ich fast jeden. Und ich werde gefunden. Vor ein paar Tagen erst hat mich meine Kindergartenfreundin Sandra angeschrieben. Auch Bekannte, von denen ich vielleicht gar nicht gefunden werden möchte, schicken mir plötzlich Nachrichten. Manche „Freundschaften“ beim StudiVZ gehen nicht über das übliche „Wie geht’s dir? Was machst du so? Lange nichts gehört“ hinaus. Für solche Fälle gibt es auch eine Gruppe: „Nur weil wir im StudiVZ befreundet sind, heißt das noch lange nicht…“ Na was wohl? Dass wir es im echten Leben auch sind.

Oft stelle ich mir die Frage: „Wie definiert man eigentlich Freundschaft?“ Muss ich mich, um mit jemandem befreundet zu sein, so und so viele Male in der Woche mit ihm oder mit ihr treffen? Müssen wir täglich telefonieren? Muss ich also im StudiVZ zweimal täglich auf die Pinnwand schreiben? Ich habe mittlerweile 137 Freunde im StudiVZ, davon 41 an meiner Uni. Kurz geschrieben habe ich mit allen früher oder später. Regelmäßigen Kontakt habe ich mit ungefähr einem Drittel aller, die auf meiner Freundesliste stehen.

Fotos geben dem Ganzen erst den letzten Schliff

Um meine Erlebnisse mit vielen Freunden zu teilen, habe ich auch ein Fotoalben erstellt. Hier kann sich jeder die Höhepunkte meiner Mittelamerika-Reise im vergangenen Jahr ansehen oder Bilder meines Praktikums im Bundestag.

Manchmal werde ich auch von anderen fotografiert und lande so beim StudiVZ. Gerade bin ich auf vier Fotos verlinkt worden, dass heißt, mein Name wurde dem Bild hinzugefügt. Ich klicke drauf und sehe mich in der Live Music Hall in Köln. Stimmt, Julia hatte letztes Wochenende ihre Kamera mit. Prompt hat sie die Bilder hoch geladen und alle bekannten Personen markiert. Schöne Erinnerungen.

Ich kann sehen, wer zuletzt auf meiner Seite war. Viele davon kenne ich nicht. Erst gestern habe ich gesehen, dass sich ein Murat durch meine virtuelle, kleine Welt geklickt hat. Er ist ein Mitarbeiter der Filmproduktion „Desire-Media“, mit dem ich in den nächsten Tagen einen Termin zwecks eines Interviews habe. Er wollte wohl vorher sehen, mit wem er es zu tun hat. Genau das will ich jetzt auch. Ich sehe mir seine Seite an, seine Fotos und das, was er über sich schreibt. Schon seltsam, meinen zukünftigen Interviewpartner hier zu treffen.

Wie war das doch gleich mit dem Zeit vergessen?

Ach ja, die Nachrichten. „Schnell“ antworte ich noch, gucke nach, wer mich „gegruschelt“ hat und „gruschele“ zurück. Dieses „Gruscheln“ ist ein Wortspiel, das sich aus „Grüßen“ und „Kuscheln“ zusammensetzt. Zwischen drei meiner Freunde und mir hat es sich so eingespielt, uns immer wenn wir online sind zu gruscheln. Dazu gibt es auch schon neue Wortschöpfungen wie etwa „Truscheln“ (Turbo-Gruscheln) oder einfach „Ruscheln“ (Rekord-Gruscheln). Schön, dass man sich trotzdem noch im wirklichen Leben in den Arm nehmen kann.

Der Beitrag erschien zuerst auf Welt Online.

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