Der Dotcom-Crash kommt zurück nach Deutschland – und den hiesigen Internet-Aktien geht es an den Kragen. Auf diese Fährte könnte man geraten, wenn man sich die jüngste Berichterstattung zu den Kursverlusten deutscher Internet-Aktien ansieht. Nur ist das auch wirklich so? Dass der Deutsche Aktienindex Dax und mit ihm auch fast alle Tech-Papiere in den vergangenen Tagen einen Rutsch nach unten erleben mussten, ist unstrittig. Und wenn man sich die mitunter prozentual zweistelligen Kursverluste seit Jahresbeginn ansieht, ergibt sich auf den ersten Blick ein bedrückendes Bild.

Aber: Dass die Kurse der Internetpapiere – und mit ihnen die Bewertungen nicht börsennotierter Unternehmen – zuletzt etwas überbewertet waren, ist lange bekannt. Die vorhergegangenen Bewertungskorrekturen bei US-Unternehmen wie Snapchat, Dropbox oder selbst Konzernen wie Apple und anderen sprechen eine deutliche Sprache. Index-Investor Timm Schipporeit sagte erst vor wenigen Tagen gegenüber Gründerszene: „Der Markt ist tatsächlich etwas überhitzt.“ Für Europa gab er zwar im Wesentlichen Entwarnung. Eine Bereinigung stehe aber dennoch bevor. Vorhersagbar war auch, dass Internet-Papiere bei generellen Marktunsicherheiten als erstes leiden müssen.

Man macht es sich entschieden zu einfach, die Aktienverluste der vergangenen Tage in eine Tabelle zu schreiben, einen Strich darunter zu ziehen und einen Crash zu deklarieren. Denn bereits beim zweiten Blick wird deutlich, dass viele der Unternehmen auf Jahresfrist noch immer Kursgewinne zu verzeichnen haben: Das Zalando-Papier etwa liegt mit 25,50 Euro noch erkennbar über dem tiefsten Stand von 21,13 Euro, Xing notiert mit 149,05 Euro sogar deutlich über dem Ein-Jahres-Tief von 105,90 Euro. Und selbst die überaus diskussionswürdige Rocket-Aktie hat ihren „Boden“ von 17,93 Euro noch nicht erreicht.

So hat sich die Xing-Aktie im letzten Jahr entwickelt:

Wenn man also entspannt bleibt, hat die Entwicklung der letzten Tage sogar ihr Gutes. Denn 2016 wird ein wichtiges Jahr für die Tech-Szene – weltweit aber insbesondere auch in Deutschland: Viele in den vergangenen Jahren gegründete Unternehmen stehen vor entscheidenden Wachstumsphasen. Sie benötigen für die internationale Positionierung Geld und peilen IPOs an. Delivery Hero zum Beispiel, Mister Spex oder auch HelloFresh. Eine frühe Bereinigung dürfte für ein deutlich besseres Börsenklima nach dem Sommer sorgen. Und für insgesamt solidere, nachhaltigere Bewertungen bei möglichen Börsengängen.

Das gilt übrigens auch abseits des berühmten Parkettbodens. Namhafte Investoren wie Avid Duggan von Google Ventures, Tom Stafford von DST Global oder Christoph Braun von Acton Capital Partners sahen zuletzt auf der DLD-Konferenz in München ebenfalls leichten Anpassungsbedarf. Index-Mann Schipporeit zeigte sich gegenüber Gründerszene sicher: Investoren werden bei möglichen Engagements sehr genau auf die Preisschilder schauen und eventuell könnten Finanzierungsrunden wieder etwas kleiner ausfallen.

Zusammen mit den Kursverlusten an den Börsen wäre das der alles entscheidende Unterschied im Vergleich mit den Zeiten des Neuen Markts, in denen alles immer nur bergauf ging. Und es ist ein Grund, die Korrekturen der vergangenen Wochen und Tage trotz aller „vernichteter Börsenmilliarden“ als positive Entwicklung zu verstehen.

Bild: Ernesto Víctor Saúl Herrera Hernández / Getty Images