tinder

Swipen, matchen, chatten: Eigentlich wurde die Flirt-App Tinder ja ausschließlich für Singles zwischen 18 und 35 Jahren entwickelt. Die minimalistische Smartphone-Anwendung ermöglicht nämlich im Handumdrehen nach Millionen Traumkandidaten Ausschau zu halten. Wenn zwei Menschen sich attraktiv finden, ergeben sie ein „Match“ und dürfen chatten, flirten, sich treffen, sich verlieben. Im Idealfall.

Denn offenbar besteht die Tinder-Nutzerschaft nur zu 52 Prozent aus Singles. Laut einer Studie der Online-Datenanalyse GlobalWebIndex (GWI) haben 42 Prozent aller Tinder-Nutzer nämlich bereits jemanden zum Verlieben Zuhause. Für die Umfrage wurden 47.000 User befragt, die mit ihren Angaben erstaunliche Ergebnisse ans Tageslicht förderten, wie der englische Guardian berichtet.

Demnach sind von den 42 Prozent vergebener Menschen ganze 30 Prozent sogar verheiratet. Zwölf Prozent der Tinder-User leben in festen Beziehungen. Nur 54 Prozent der App-Benutzer bezeichnen sich als Single. Die übrigen vier Prozent sind verwitwet, geschieden oder haben keine Angaben gemacht. Was bedeutet, dass fast jeder zweite Treffer jemand ist, der gar nicht zu haben ist.

Update vom 11. Mai 2015: Die Macher der Dating-App wollen die Ergebnisse der Umfrage so nicht stehen lassen und geben folgendes Statement ab:

„Die Studie der Online-Datenanalyse GlobalWebIndex (GWI) ist nicht repräsentativ und vermittelt ein falsches Bild. Hier sind die Fakten: Unsere zahlenmäßig größte Zielgruppe, die mehr als die Hälfte unserer Nutzerschaft ausmacht, ist zwischen 18 und 24 Jahre alt. Der Großteil der Nutzer in diesem Alter waren noch nie verheiratet. Ohne irgendwelche persönlichen und privaten Daten unserer Nutzer preiszugeben – alleine aus der Logik dieser Zahlen ergibt sich, wie essentiell falsch die aufgrund der Ergebnisse der Umfrage angestellten Thesen sein müssen. Deren Methodik scheint damit gravierend und grundlegend falsch zu sein.“

Die erste Version dieses Artikels erschien am 7. Mai 2015.

Jedes Match ein Endorphinschub

Erklärungen für die Beliebtheit von Tinder unter vergebenen Menschen gibt es einige. Da man sich mit einem Match – also mit dem gegenseitigen Bestätigen der virtuellen Anziehungskraft – ordentlich Glückshormone nebenbei besorgen kann, dürften viele Menschen in langjährigen oder weniger glücklichen Beziehungen Tinder als Egoschmeichelei verwenden.

Durch das spielerische Wischen (Swipe) nach rechts oder links, während man nichts tut außer Profilfotos zu sichten, bekommt das Ganze etwas sehr Unverfängliches. Es ist eben, als stünde man in einer Bar oder Bahn, und guckte sich um.

Und wenngleich Tinder usprünglich nicht für Seitensprünge oder außereheliche Affären entwickelt wurde, so stellt die App in Zeiten offener Beziehungen und emotionaler Zerstreuung ein höchst willkommenes Medium für Suchende dar. Vor allem die Verknüpfung mit dem Locationdienst ermöglicht ein lockeres Umschauen. Denn durch die aufgehobenen Privatsphäreeinstellungen weiß die App immer, wo man sich befindet und zeigt an, welche heißen oder weniger heißen Menschen sich im eigenen Radius zwischen zwei und 160 Kilometern befinden.

Tinder ist perfekt für kleine Ausrutscher

Dabei kann man nur das gewünschte Geschlecht und Alter angeben, was interessiert – keinen aktuellen Beziehungsstatus. Die minimalistische Benutzeroberfläche, das knappe „Über mich“-Textfeld und die direkte Chatfunktion führen sicherlich dazu, dass stolze 62 Prozent der Tinder-Fans Männer sind – und nur 38 Prozent Frauen.

Vor allem die suchen weiterhin vermehrt via klassischer Dating-Portalen nach einem Mann zum Verlieben. Das Argument, dass hier oft teure Mitgliedschaftsbeiträge gezahlt werden müssen, die ganz sicher Fremdgeher oder Heiratsschwindler vom Anmelden abhalten könnten, wird demnach durch die aktuelle Studie erschüttert.

Denn seit März diesen Jahres gibt es auch bei Tinder eine kostenpflichtige Version, die bislang sogar 24 Prozent der Tinder-Nutzer installiert haben. Für unter 28-Jährige kostet es rund 5,50 Euro, ältere User zahlen 20 Euro pro Monat. Dafür kann man sich dann in anderen Städten umschauen – in denen man sich vielleicht demnächst auf Geschäftsreise befinden wird.

Vielleicht prüfen viele Tinder-User, ob nun liiert oder frisch getrennt, auch einfach nur, wie süße Französinnen aus Paris oder Kerle aus New York die eigene Attraktivität bewerten. Rein theoretisch. Ob man nämlich wirklich fremdchattet, sich außerhalb der Beziehung auf einen Kaffee verabredet und tatsächlich im klassischen Sinne körperlich fremdgeht, obwohl man einen Ehering trägt, das ist ein ganz anderes Thema.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Die Welt.

Bild: Namensnennung Bestimmte Rechte vorbehalten von Denis Bocquet