Tinder-Gründer Sean Rad (rechts) mit seinem Mitgründer Justin Mateen

Ein Chef, der süchtig nach dem Produkt seiner Firma ist, sollte eigentlich die beste Werbung sein. Insbesondere wenn das Unternehmen an die Börse geht und für Investoren trommeln muss. Im Fall der globalen Dating-Plattform Tinder ist die Eigenwerbung allerdings gehörig schief gelaufen.

In einem Interview mit der britischen Zeitung Evening Standard wollte sich Sean Rad, Gründer und Chef von Tinder, als eine Art Vorzeige-Nutzer seines eigenen Dienstes stilisieren: intellektuell, kultiviert und ein Mann mit den besten Absichten. Herausgekommen ist ein PR-Desaster, das die Mutterfirma Match Group wohl einen hohen zweistelligen Millionenbetrag gekostet hat.

Alexa Dell soll eine Verflossene von Sean Rad sein

Frei heraus plapperte der iranischstämmige Firmenchef über sein Liebesleben: Er sei süchtig nach Tinder und verliebe sich jede Woche neu. Dann wird er konkret: Eine seiner Verflossenen aus insgesamt vier festen Beziehungen – O-Ton Rad: „ich habe sie alle geliebt“ – sei die milliardenschwere Erbin Alexa Dell, die er über Tinder kennengelernt haben will.

Auch ein Supermodel, „ein wirklich berühmtes“, habe Sex mit ihm gewollt. Ob sie ebenfalls über Tinder mit ihm anbändeln wollte, ist nicht überliefert. Doch Rad habe abgelehnt: Nur weil Frauen schön seien, „heißt das nicht, dass ich ihnen die Klamotten vom Leib reißen und Sex haben will“.

Er stehe auf intellektuelle Beziehungen, auch um den Preis, sich in Frauen zu verlieben, die seine Freunde vermutlich als eher hässlich einstufen würden. Bei der Suche nach dem dafür passenden Begriff für Beziehungen, bei denen nur geredet wird – vermutlich sind damit platonische Beziehungen gemeint – fällt dem 29-jährigen Studienabbrecher dann nur der Begriff „Sodomie“ ein.

Erst auf irritierte Nachfrage der Journalistin und nach erfolgreicher Google-Suche der Begriffsbedeutung rudert Rad entsetzt zurück. Denn Sodomie ist im Englischen eigentlich die Bezeichnung für Sex mit Tieren oder Analverkehr.

Sean Rad versucht, die Situation mit Werbung für eine neue Tinder-Plattform zu retten, die die Intelligenzquotienten der Nutzer miteinander abgleichen soll. Was die unfreiwillige Komik des reichlich bizarren Interviews nur noch verstärkt.

Schlechtes Timing für die privaten Enthüllungen

Auch die oft geäußerte Kritik an den Folgen von Tinder für die Beziehungskultur – vom befürchteten Ende der Romantik in Liebesdingen bis hin zum „Untergang des Dating-Abendlandes“, wie die „Vanity Fair“ noch Ende August kritisch titelte – parierte Rad nur äußerst unbeholfen. Nicht Tinder, sondern der Feminismus sei schuld an der Kultur des Abschleppens und Flachlegens, so die krude Theorie des Firmengründers. „Die Frauen sind jetzt unabhängiger und verfolgen ihre eigene Interessen, und das führt dazu, dass beide Seiten sexuell aktiver werden. Das hat nichts mit Tinder zu tun.“

Für seine Enthüllungen hat sich Rad das denkbar schlechteste Timing ausgesucht. Denn das Mutterunternehmen Match.com mit den Dating-Plattformen Tinder, OKCupid und FriendScout24 geht heute an die Börse. Rads Interview wurde nur Stunden vor Bekanntgabe des offiziellen Verkaufspreises veröffentlicht und scheint Investoren eher abgeschreckt zu haben.

Ausgabe der Aktien am unteren Ende der Preisspanne

So musste der Verkaufspreis mit zwölf Dollar am unteren Ende der Preisspanne festgelegt werden, die zwischen zwölf und 14 Dollar gelegen hatte. Bei 33,3 Millionen verkauften Papieren beläuft sich der mögliche Schaden, den Rad verursacht hat, auf über 60 Millionen Dollar. Zumal Rad in dem Interview Details zu den Nutzern preisgegeben hat, die so wohl nicht im Börsenprospekt stehen.

Match Group hat sich daher bereits von dem Interview distanziert. Rad sei nicht autorisiert gewesen, über das Unternehmen zu sprechen, ließ Match Group gegenüber der US-Börsenaufsicht SEC verlauten. Wirklich erfolgreiche Werbung für ein Unternehmen sieht anders aus.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Welt Online

Bild: Tinder