Ein Marketing-Flashmob von TransferWise in London

Eine bedeutsame Nachricht für die Berliner Techszene kam im April vergangenen Jahres: Das Londoner Fintech-Startup TransferWise wollte ein Büro in der Hauptstadt eröffnen. Warum die Aufregung? Kurz zuvor hatte der Star-VC Andreessen Horowitz gemeinsam mit anderen Investoren 58 Millionen US-Dollar in das Payment-Unternehmen gepumpt – angeblich zu einer Bewertung von knapp einer Milliarde Dollar. Einhorn-Status.

Unternehmer-Legende Richard Branson ist ebenfalls in das 2011 gestartete TransferWise investiert, das heute über 450 Mitarbeiter zählt. Auch Peter Thiel und Index Ventures halten Beteiligungen. Apple wählte die App des Startups vor kurzem als innovativste App des Jahres 2015. TransferWise will seinen Kunden Überweisungen ins Ausland besonders günstig anbieten – durch ein Peer-to-peer-System. Die eigene Überweisung wird per Software mit Transaktionen im Zielland abgeglichen, die in die umgekehrte Richtung laufen. So verlässt das eigene Geld das Land gar nicht erst. Das Startup berechnet einen Prozentsatz pro Transfer und versucht damit, Geld zu verdienen.

Um das Modell hierzulande voranzutreiben, sollten 2015 in Berlin fünf bis zehn neue Mitarbeiter eingestellt werden, gab Moritz Kork im April gegenüber Gründerszene an. Er sollte das Büro als General Manager Europe ursprünglich einmal leiten. Doch Kork hat TransferWise bereits vor einiger Zeit wieder verlassen – ein Büro in Deutschland gibt es bis heute nicht.

Kork, der mittlerweile für das Berliner Startup Mobile Event Guide arbeitet, sagt auf Nachfrage zu seinem Abgang, er bleibe TransferWise weiterhin freundschaftlich verbunden und wünsche dem Unternehmen alles Gute. Bei Fragen zur weiteren Strategie der Payment-Firma verweist er an TransferWise.

Dort hält man sich bei Fragen nach dem Berliner Büro bedeckt. Mitgründer Kristo Käärmann sagte gegenüber Gründerszene im November, das Ganze dauere länger als erwartet. Man unterhalte ein 15-köpfiges Deutschland-Team am Hauptsitz in London, das Büro in Berlin werde in Zukunft noch eröffnet werden. Jetzt heißt es auf Nachfrage aus dem Unternehmen lediglich, man ziehe eine Niederlassung in Erwägung. Bisher unterhält TransferWise neben dem Hauptsitz in London Standorte in Tallinn, New York, dem ukrainischen Tscherkassy und Tampa, Florida.

Entwickelt sich der deutsche Markt schlechter als gedacht? TransferWise ist bereits seit Herbst 2013 in Deutschland aktiv, die Zugriffe vom Desktop auf die deutsche Webseite sind aber zumindest laut des Traffic-Schätzungs-Tools Similar Web im vergangenen Jahr nicht gestiegen (siehe Grafik im Vergleich mit Western Union).

Visits auf den deutschen Seiten von TransferWise (blau) und dem Geldversender Western Union im
Vergleich: TransferWise wächst nicht

In Großbritannien hingegen, wo Taavet Hinrikus, erster Mitarbeiter von Skype, und Kristo Käärmann gemeinsam TransferWise starteten, sieht das Bild ganz anders aus. Aufsehenerregende Marketingaktionen haben das Startup bekannt gemacht: Promoter in Unterwäsche marschierten durch London, clevere Plakate an Flughäfen, in der Tube und an Bushaltestellen sowie ausgiebiges Bashing der Banken für ihre Gebührenpolitik taten ihr Übriges.

Die Aktionen haben dafür gesorgt, dass TransferWise sich beispielsweise mit dem alteingesessenen Geldversender Western Union ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefert. Similar Web schätzt die Visits auf ihren UK-Webseiten als recht ähnlich ein – in den letzten Monaten geht TransferWise sogar als Gewinner hervor (siehe Grafik).

Visits auf den UK-Seiten von TransferWise (blau) und Western Union: TransferWise überholt den
alteingesessenen Wettbewerber

Hat sich das Startup im deutschen Markt verschätzt? Das hört man bei TransferWise nicht gern. Es heißt: „Der [deutsche] Markt ist so, wie wir es erwartet haben: Er bleibt einer unserer schnellstwachsenden Märkte in Europa.“ Das Wachstum bewerte man anhand transferierter Geldmengen, Zahlen für Deutschland gibt das Unternehmen nicht preis.

Sicher ist, dass das Potential in Großbritannien deutlich größer ist. Schließlich fällt bei nahezu jeder Überweisung ins Ausland neben der Bankgebühr ein Wechselkurs an, der von den Instituten meist höchst nachteilig für den Kunden gesetzt wird. Diesen nicht zahlen zu müssen, bedeutet eine hohe Ersparnis. Hierzulande hingegen entfällt ein großer Teil der Auslandsüberweisungen auf den Euroraum. Einen Wechselkurs gibt es also nicht – und die Bankgebühr ist nicht immer höher als die von TransferWise gesetzte.

Das Fintech-Startup berechnet meist eine Pauschale auf niedrigere Überweisungen, zum Beispiel zwei Euro bei Beträgen von bis zu 400 Euro. Danach fallen je nach Land zwischen 0,5 und 2,5 Prozent der transferierten Summe an. Es kommt demnach auf die Höhe des Transfers im Vergleich zur pauschalen Bankgebühr an, ob man tatsächlich spart. Das ist häufig der Fall, allerdings nicht immer – wie der Blogger Thomas K. Running hier ausführlich testet und vorrechnet.

TransferWise warb dennoch in der Vergangenheit aggressiv damit, der günstigste Anbieter für Auslandsüberweisungen zu sein. Das hat nicht nur Running, sondern auch die Branche verärgert: Das Vergleichsportal für Überweisungsgebühren „Save on Send“ hat in seinem Blog einige Beispiele durchgerechnet und festgestellt, dass dieses Versprechen für Transfers von den USA nach Indien falsch ist. Die britische Werbestandard-Organisation ASA das Startup bereits vergangenen Herbst wegen irreführender Werbung verwarnt, auf Initiative eines Wettbewerbers hin.

Die Unternehmensbewertung ist das 17-Fache des Umsatzes

Die Konkurrenz mag auch verärgert sein, weil sich TransferWise durch sein offensives und kreatives Marketing als angesagtes, modernes Startup platziert hat. Doch trotz des Hip-Faktors und der Bekanntheit im Heimatmarkt Großbritannien scheint das Geschäft herausfordernd zu bleiben. So sind die Einnahmen von TransferWise gering: 9,7 Millionen Pfund wurden zwischen März 2014 und März 2015 umgesetzt, heißt es im jüngsten Jahresabschluss. In dem Zeitraum schrieb das Unternehmen 11,4 Millionen Pfund Verluste, hatte aber weiterhin über 45 Millionen an Investorengeldern als Polster auf dem Konto.

Obwohl der Umsatz in dem Geschäftsjahr also relativ gering war, sollen die Star-VCs im Januar 2015 zu einer Bewertung von einer Milliarde Dollar in TransferWise investiert haben. Das entspricht etwa dem 70-Fachen des Jahresumsatzes. Auf Nachfrage zu neueren Umsätzen heißt es vom Unternehmen, die kommentiere man generell nicht. „An diesem Punkt in der Unternehmensentwicklung sehen wir Umsatzzahlen als nicht sehr aussagekräftig an“, so eine Sprecherin. Man konzentriere sich darauf, in das Business zu investieren und den Service so vielen Leuten wie möglich zugänglich zu machen.

Derzeit gibt das Fintech an, 500 Millionen Pfund oder 700 Millionen Euro monatlich zu bewegen. Bei einer geschätzten durchschnittlichen Marge von einem Prozent auf die Transfers ergäbe das Erträge von fünf Millionen Pfund im Monat – also 60 Millionen im Jahr. Selbst bei einem Umsatz dieser Größenordnung wäre eine gleichbleibende Unternehmensbewertung von um einer Milliarde US-Dollar ambitioniert: Sie entspräche mindestens dem 17-Fachen des Umsatzes.

Schulterschluss mit Banken

Treibt diese Finanzlage TransferWise nun gar dazu, eine Zusammenarbeit mit den vom Startup einst so harsch kritisierten Banken in Erwägung zu ziehen? Laut Financial Times verhandelt man über die Integration des Diensts in verschiedene Banking-Apps traditioneller und moderner Anbieter. Das könnte die Reichweite des Services schnell steigern. Vom Startup heißt es dazu: „Wir haben eine Leidenschaft für Transparenz bei Finanzdienstleistungen.“ Man arbeite gern mit Banken zusammen, die ihren Kunden gegenüber offen seien. „Das bedeutet, dass Banken ihren Kunden den besten verfügbaren internationalen Geldtransfer anbieten können und wir Menschen eine faire, reibungslose Möglichkeit geben können, ihr Geld ins Ausland zu überweisen.“

Ob diese Option für traditionelle Banken überhaupt attraktiv ist, bleibt allerdings offen – schließlich dominieren sie nach wie vor den Überweisungsmarkt und verdienen damit viel Geld. Für TransferWise würden solche Kooperationen außerdem bedeuten, sich die geringen Margen auf die Überweisungen mit den Partnern teilen zu müssen.

„Wir haben realisiert, dass es nie abheben würde“, lästert Nick England, CEO der konkurrierenden Währungs-Plattform VFX. Er glaubt, für TransferWise gebe es ein ganz grundsätzliches Verhängnis: den einseitigen UK-Markt. Er erklärt gegenüber The Memo, viele Kunden würden beispielsweise Geld nach Frankreich senden, aber wenige schickten Geld zurück nach Großbritannien. Damit ein Peer-to-peer-Modell wirklich funktionieren könne, müssten die Geldflüsse von beiden Seiten gleich groß sein. Um die Differenz ausgleichen zu können, müsste TransferWise Währung zukaufen, argumentiert England weiter. Wie häufig das der Fall sei, gab TransferWise gegenüber The Memo nicht an.

Viel deutet daraufhin, dass TransferWise sich derzeit um einige grundlegende Schwierigkeiten seines Businesses kümmern muss. Um den Überweisungsservice in Deutschland bekannter zu machen, müsste das Startup viel Geld ausgeben – eine Investition, die sich womöglich derzeit nicht lohnen würde – denn TransferWise braucht das Geld an anderer Stelle. Wann und ob noch ein Büro in Berlin eröffnet wird, ist demnach fraglich. Zumindest setzt TransferWise aber schon mal auf – wie immer gekonntes – Marketing mit Deutschlandbezug:

German sayings, translated literally.Whistling pigs, monkey funerals, ice skating cows.German sayings, translated literally.Send money abroad without the weirdness: transferwise.com/wunderbar

Posted by TransferWise on Monday, October 19, 2015

Titelbild: TransferWise