TrumpsaicHerbst 2013. Mitten im Silicon Valley. Der Senior Vice President eines weltumspannenden Unternehmens bittet mich viele Treppen hinab in einen geheimen Labor-Bereich. Ich darf nicht alles sehen, viele Aufbauten dort sind mit blickdichten Tüchern abgedeckt. Schließlich stehe ich vor einem riesigen Monitorsystem. Hinter mir bedienen drei Mitarbeiter die dafür nötigen Computer. „Das ist unser Big-Data-Monitor. Hier können wir in Echtzeit beobachten, was die Menschen da draußen bewegt, über was sie reden, was sie kaufen, im Fernsehen schauen und welche Reisen sie planen“, erklären sie mir stolz. Vor meinen Augen wachsen bunte Balken in die Höhe, Diagramme und Infografiken entstehen.

Aus all diesen Daten sollen sich zum Beispiel TV-Stationen bedienen, um ihre Sendungen so zu planen, dass möglichst viele Zuschauer einschalten und nur wenige Zuschauer umschalten. Höhepunkte der Shows müssen anders als bisher früh in der Sendung auftauchen, damit die Twitter-User die Botschaft verteilen und Follower zum Einschalten bewegen, lerne ich.

Alle Daten werden schon live genutzt. Die Forscher können erkennen, wie lang eine Werbepause sein darf, damit alle am Ball bleiben und welche Kamereinstellungen, Spieler, Trikotfarben am beliebtesten sind. Big Data war für mich bis dahin ein Begriff, den man nur schwer mit realen Anwendungen zusammen bringen konnte. Aber diese Vorführung öffnete mir die Augen. Das alles wirkte wie ein unglaublicher Zaubertrick. In den folgenden Wochen besuchte ich fünf oder sechs kleinere Startups in San Francisco, die alle ähnliche Anwendungen für ihre Kunden im Angebot hatten.

Personenprofile anhand von Facebook-Likes

Jetzt soll der Big-Data-Zauber sogar Donald Trump zum US-Präsidenten gemacht und die Briten zum Brexit veranlasst haben. Ein häufig geteilter Artikel von „Das Magazin“ aus der Schweiz hat am Wochenende viele Menschen in Deutschland bewegt. Darin wird behauptet, dass die Firma Cambridge Analytica mit Hilfe von Psychologie, sozialen Medien und zielgerichteter Wahlkampfwerbung Trump ins Weiße Haus gebracht hat. Schlüssel dafür sei das sogenannte Microtargeting. Jeder einzelne Wähler oder Wählerin sei durch seine Daten psychologisch analysiert und anschließend mit auf ihn zugeschnittener Wahlkampfwerbung in den sozialen Netzwerken versorgt worden, heißt es.

Keine Frage, anhand der Daten, die wir überall hinterlassen, ist es möglich, ziemlich genaue Personenprofile abzuleiten. Anhand von Likes auf Facebook ist es durchaus möglich herauszufinden, ob jemand eher extrovertiert, konservativ oder intellektuell ist. Cambridge Analytica behauptet, genau das mit allen Erwachsenen in den USA gemacht zu haben. Das sind mehr als 220 Millionen Menschen. Sie sollen in 32 Persönlichkeitsgruppen eingeteilt und dann mit personalisierter Werbung über Social Media im Internet versorgt worden sein. In Sachen Trump und in Großbritannien auch vor der Brexit-Entscheidung.

Kräfte, die wir nicht mehr im Griff haben

Diese Geschichte ist spannend. Für viele Leser ist Big Data oder Microtargeting immer noch ein Buch mit sieben Siegeln. Nach der Lektüre von „Das Magazin“ kann man sich endlich etwas konkretes darunter vorstellen. Eine spannend erzählte Dystopie scheint immer noch der beste Anlass für viele Menschen zu sein, sich endlich mal mit einem Thema auseinanderzusetzen, das man schon lange außen vor gelassen hat. Und dystopische Elemente sind in dieser Story jede Menge versammelt: Manipulation, Beeinflussung durch dunkle Kräfte, digitale Technik, die wir nicht mehr im Griff haben, zum Beispiel. Ach ja, Cambridge-Analytics-Vorstandsmitgliede ist übrigens Steve Bannon, Herausgeber der ultrarechten Onlinezeitung „Breitbart News“ und Donald Trumps Chefstratege.

Wenn man sich die Sache etwas ruhiger anschaut, bemerkt man, dass Cambridge Analytica keine Belege für die Wirksamkeit seiner Psycho-Social-Kampagnen liefert. Zum Thema Trump wird auf eine Kampagne verwiesen, die für den gescheiterten Kandidaten der Republikaner Ted Cruz gelaufen sein soll. Nicht unbedingt eine gute Werbung. Die Beteiligung am Brexit-Votum wird überhaupt nicht näher erklärt. Trotzdem stehen die Kunden laut der Geschäftsführung inzwischen Schlange. Auch für den Wahlkampf in Deutschland soll es bereits Anfragen geben. Glückwunsch.

Und es gibt einen echten Bösewicht

Wie immer bei erfolgreichen und viralen Stories in den Zeiten der blitzartigen, digitalen Reproduzierbarkeit, glänzt die Erzählung von der Beeinflussbarkeit der Menschen durch eine neue Art von perfidem politischem Marketing vor allem durch einfache Botschaften, und es gibt einen echten Bösewicht. Big Data, soziale Netzwerke, Algrorithmen – Trump! Aus der Sicht vieler Technophoben ist das ein weiterer Beweis, dass auf den digitalen Entwicklungen kein Segen ruht. Dabei merken sie gar nicht, dass die Macher von Cambridge Analytica und die beiden Autoren der Story ihnen absprechen, sich selbstverantwortlich über politische Inhalte informieren zu können. Denn aus deren Sicht sind sie einfach nur leicht zu beeinflussende Individuen, die in diesem Meer von Daten, in dem wir heute leben, den Unterschied zwischen Werbung und Information nicht mehr erkennen können.

Hier erklärt der CEO von Cambridge Analytica, Alexander Nix, wie seine Firma arbeitet:

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