Das Team von Über den Tellerrand.

„Ich finde es toll hier, 99,9 Prozent der Menschen sind unglaublich nett zu mir“, erzählt Hadi uns in fließendem Englisch. „Aber ich möchte mehr als schlafen und essen. Ich möchte wieder arbeiten, so wie zuhause in Aleppo. Ich habe schließlich nicht umsonst studiert!“ Er schaut in die Runde und strahlt, obwohl seine Geschichte traurig ist. Vor zweieinhalb Monaten musste der gelernte Web-Entwickler aus Syrien über Istanbul nach Deutschland fliehen. Seine Eltern und Geschwister ließ er in der Türkei zurück.

Für seine Erzählung hat er eine einfache Powerpoint-Präsentation mit Bildern aus Aleppo vorbereitet. Er zeigt Fotos von seinen Lieblingsorten, einige davon sind längst zerstört. Wir haben viele Fragen. Wie genau ist er nach Deutschland gekommen? Wo in Berlin wohnt er? Was sind seine Pläne? Hadi antwortet offen, immer lächelnd. In insgesamt 25 Tagen hat er gemeinsam mit Freunden zu Fuß mehrere Grenzen überquert, schildert er uns. Anfang des Sommers ist er schließlich in Berlin angekommen, wo er in einem Flüchtlingsheim in Spandau untergekommen ist. Derzeit wartet er auf seine Aufenthaltsgenehmigung, damit er sich endlich für einen neuen Job bewerben kann.

Wir hören Hadis Geschichte an einem Mittwochabend in einem Kochstudio in Berlin-Charlottenburg. Der 25-Jährige leitet an diesem Tag zum ersten Mal einen Kochkurs. Seine Präsentation zeigt er nach der Vorspeise. 16 Gäste aus ganz Berlin und allen möglichen Altersgruppen sind gekommen, um mit Hadi traditionelle syrische Gerichte zu kochen: Tabouleh als Vorspeise, Weinblätter gefüllt mit Reis und Fleisch als Hauptgericht und süßer Käse – ein Mix aus Mozzarella, Couscous und Rosenwasser – als Dessert.

Organisiert wurde der Kochkurs von dem Berliner Startup Über den Tellerrand. Die ursprüngliche Idee der Gründer: ein Kochbuch mit Rezepten von Flüchtlingen. Ninon Demuth und Gerrit Kürschner entwickelten das Konzept 2013 mit Kommilitonen bei einem Gründerwettbewerb an der Freien Universität Berlin. Auslöser für ihre Idee war das umstrittene Flüchtlingscamp am Berliner Oranienplatz, das damals monatelang die Schlagzeilen in der Stadt bestimmte. Finanziert durch eine Startnext-Kampagne erschien das Kochbuch unter dem Titel „Rezepte für ein besseres Wir“.

„Wir wollten, dass man die Menschen hinter diesem ominösen Begriff Asyl kennenlernt“, erzählt uns Ninon als wir sie wenige Tage nach dem Kochkurs zum Mittagessen an der Technischen Universität in Berlin treffen. Derzeit hat das Team im Gebäude der Architektur-Fakultät am Ernst-Reuter-Platz seinen Sitz. Ninon berichtet uns von den Anfängen: Mit ihren Mitstreitern sei sie zu dem Flüchtlingscamp gefahren, habe sich mit den Menschen unterhalten, das Projekt vorgestellt und Rezepte gesammelt.

Bei gemeinsamen Kochabenden, bei denen die Gerichte für das Buch getestet wurden, sei schließlich die Idee für die Kochkurse entstanden. Während der Kurse merkte das Team, wie sehr das Kochen und Essen sie mit den Flüchtlingen zusammenschweißte. „Teilweise konnten wir uns nur schlecht unterhalten, aber das Kochen verbindet auch ohne Sprache“, weiß Ninon. Mittlerweile finden in Berlin zwei Kochkurse pro Monat statt, neben Hadis syrischen gibt es auch afghanische, ägyptische oder nigerianische Kochkurse.

75 Euro zahlt man pro Person, zehn Euro davon gehen als Spende an den Flüchtling. Den Rest benötigt das Startup, um die Kosten für die Zutaten, Getränke, die Location und die notwendigen Versicherungen zu decken. Von einem Teil der Kosten wird außerdem ein eigenes Kochzentrum finanziert, in dem viel mehr Kochkurse stattfinden sollen. „Wenn doch mal etwas übrig bleibt, spenden wir den Gewinn – genauso wie die Einnahmen aus dem Kochbuch – direkt unserem gemeinnützigen Verein“, sagt Ninon.

Watch us cooking with Hadi friday morning on ZDF Morgenmagazin!! #maketheworldabetterplate #ueberdentellerrandkochen #ZDF #excited

Ein von Über den Tellerrand kochen (@ueber_den_tellerrand_kochen) gepostetes Foto am

 

Über den Verein veranstaltet das Team mittlerweile viele verschiedene Veranstaltungen, durch die die Über-Den-Tellerrand-Community entstanden ist. 30 Ehrenamtliche helfen mit. Mehrmals im Monat finden Treffen mit der gesamten Community statt, der mittlerweile rund 400 Menschen angehören. 50 Prozent von ihnen sind Flüchtlinge. In der Community sind Fußballteams entstanden und eine Truppe, die gemeinsam gärtnert.

Ninon findet, dass nicht nur kurzfristige Spenden wichtig für die Flüchtlinge sind, sondern vor allem die langfristige Integration und die dafür benötigten Strukturen. Ihre Community soll da ein Startpunkt sein, „Ich glaube, ein Flüchtling ist dann richtig integriert, wenn er auch deutsche Freunde hat, die ihm dabei helfen, sich hier zurechtzufinden“, meint sie. Diese Freunde könnten beispielsweise bei Behördengängen oder der Wohnungssuche unterstützen.

Dank der Einnahmen aus Kochkursen und Kochbuch bleiben die Community-Treffen und die Angebote für die Flüchtlinge kostenlos. Außerdem ist das Social Startup so nicht auf staatliche Förderung angewiesen. „Das Förderungsangebot der Stadt Berlin ist unglaublich schlecht“, klagt Ninon. „Initiativen wie unsere werden kaum unterstützt. Deswegen sind wir froh, dass wir uns mit unseren Einnahmen und Spenden wenigstens zum Teil selbst tragen können.“

Bislang ist das Konzept der Berliner ein voller Erfolg. Die Kurse sind immer ausgebucht, das Kochbuch wurde schon mehrere tausend Mal verkauft. Ende September will Über den Tellerrand das eigene Kochzentrum in Schöneberg eröffnen. Dort soll einmal wöchentlich ein Kochkurs stattfinden, sogar ein kleines Restaurant ist geplant. Und die Community soll weiter wachsen. Derzeit sucht das Team Freiwillige, die das Konzept in Flüchtlingsheimen vorstellen.

Am 13. September gibt Hadi übrigens seinen nächsten Kochkurs. „Ich bin so stolz, dass sich die Menschen hier für meine Kultur und das Essen aus meinem Heimatland interessieren“, sagt er.

Bild: Über den Tellerrand kochen