Es war wohl nur der falsche Zeitpunkt. Roland Koch, damals hessischer Ministerpräsident, saß in seinem Büro in der Staatskanzlei in Wiesbaden und freute sich auf seinen nächsten Besucher: den Chef der Deutschen Telekom, René Obermann.

Nachdem der Platz genommen hatte, machte er dem Politiker ein verlockendes Angebot, wie sich Koch heute erinnert: Sein Unternehmen werde Milliarden in den Breitbandausbau der ländlichen Räume investieren, wenn die Politik der Telekom im Gegenzug ein Monopol für die vom Steuerzahler über Jahrzehnte finanzierten Kupferkabel gewährt. Auch Kochs Kollegen in anderen Bundesländern sollen dieses Angebot bekommen haben. Unmoralisch, urteilten die Politiker – und lehnten ab.

Heute hat Obermanns Nachfolger mehr Glück. Timotheus Höttges steht kurz davor, die Pläne seines Vorgängers zu vollenden. Das Angebot hat sich kaum verändert. Die Politik aber schon. Bereits in wenigen Tagen soll die Telekom grünes Licht für ihre Pläne bekommen: Monopol gegen Breitbandausbau.

Harte Lobby-Schlacht hinter den Kulissen

Wie konnte das geschehen? In dem wohl erbittertsten Kampf zwischen der Deutschen Telekom und ihren Konkurrenten hat sich der ehemalige Staatskonzern durchgesetzt. Vorausgegangen war eine Lobby-Schlacht, die auch langjährige Beobachter als beispiellos bezeichnen. Im politischen Berlin haben die Unternehmen und Verbände nichts unversucht gelassen, um ihre Positionen darzulegen.

Vereinfacht geht es um die Frage, ob die Telekom für einen schnelleren Breitbandausbau ihren Konkurrenten den direkten Zugang zu ihren Netzen verwehren darf. In ihrer bislang wichtigsten Regulierungsentscheidung für den deutschen Telekommunikationsmarkt der letzten Jahre wird die Bundesnetzagentur als deutsche Regulierungsbehörde genau das erlauben – und damit den Telekommarkt in Deutschland für die kommenden Jahre grundlegend prägen.

„Einen so krassen Eingriff in den Wettbewerb hat es seit Beginn der Liberalisierung im Telekommunikationsmarkt nicht gegeben“, sagt Jürgen Grützner, Geschäftsführer des Anti-Telekom-Verbandes VATM. „Noch nie wurde ein Versprechen der Telekom zum Anlass genommen, Regulierung zu verändern.“

Die Politiker sind gegenüber der Telekom eingeknickt, weil sie in Eile sind. Die Bundesregierung hat sich ein Ziel für Breitband-Deutschland gesetzt: Bis 2018 soll jeder Haushalt einen Internetanschluss mit einer Geschwindigkeit von mindestens 50 Megabit pro Sekunde erhalten können. Nun wird die Zeit knapp. Nach den Zahlen des Wirtschaftsministeriums schaffen das heute gerade einmal gut zwei Drittel der Haushalte.

Experten warnen schon lange, dass der mangelhafte Breitbandausbau die Bundesrepublik wirtschaftlich benachteiligen werde. Andere Länder sind deutlich schneller unterwegs. Während die Deutschen im Durchschnitt mit einer Geschwindigkeit von weniger als zwölf Megabit pro Sekunde surfen, sind es in Südkorea mehr als 20 Megabit. Auch in Europa sind die Internetnutzer in vielen Ländern schneller unterwegs, darunter in Schweden, Finnland oder der Schweiz. Im „State of the Internet“-Report von Akamai steht Deutschland auf Platz 22 im weltweiten Vergleich.

Das schnelle Kupfer-Internet funktioniert nur mit Abschirmung

Insbesondere in ländlichen Regionen ist das Internet in Deutschland quälend langsam. Dort mühen sich Bürgermeister vergeblich, Firmen anzusiedeln. Die jedoch können auf Breitband nicht verzichten. Zwar steht oft ein Mobilfunknetz als Alternative zur Verfügung, doch wegen der Kosten und der begrenzten Datenmenge werden diese Verbindungen nicht als gleichwertiger Festnetzersatz angesehen.

Hier kommt der neue Vorstoß der Telekom gerade recht. Mithilfe einer neuen Technologie mit der Bezeichnung „Vectoring“ kann sie die alten Kupferleitungen deutlich beschleunigen. Der große Nachteil: In den Kabelverzweigern, also den grauen Kästen am Straßenrand, und auf den letzten Metern in die Haushalte hinein muss die Leitung aus technischen Gründen derart stark abgeschirmt werden, dass kein zweiter Anbieter das Kabel nutzen kann.

Auf diese Weise werden auch mit alten Leitungen Geschwindigkeiten von derzeit bis zu 100 Megabit pro Sekunde möglich, später sollen je nach Kabellänge sogar mehrere Hundert Megabit möglich sein. Diese Technologie wird „Super-Vectoring“ genannt. Sie wird noch im Labor erforscht – und wäre modernen Glasfaserleitungen dennoch unterlegen. Im vergangenen Jahr hat die Telekom Vectoring bereits in fast 330 Ortsnetzen in Betrieb genommen, 4,6 Millionen Haushalte erreichte sie dadurch erstmals mit schnellen Anschlüssen.

Neue Regelung bringt Ende des „Windhundrennens“ beim Vectoring

Bislang konnten aber auch Telekom-Konkurrenten das Vectoring auf den Telekom-Leitungen für ihre Kunden betreiben. Die Netzagentur hatte dafür eine Art „Windhundrennen“ etabliert: Wer zuerst reserviert, darf und muss auch ausbauen. Eine Regelung, mit der alle Wettbewerber gut leben konnten. Denn zuletzt waren sie durch die schnellen Internetzugänge der TV-Kabelnetzbetreiber arg unter Druck geraten und hatten nun den Kablern etwas entgegenzusetzen.

Das jüngste Telekom-Angebot sieht jedoch kein Windhundrennen mehr vor. Der Bonner Konzern, an dem der Bund noch zu einem Drittel beteiligt ist, verspricht eine Milliarde Euro zu investieren, um weitere 5,9 Millionen Haushalte aufzurüsten. Diesmal geht es um die knapp 8.000 Hauptverteiler der Telekom, in deren Umkreis bislang Vectoring nicht erlaubt war. In vielen dieser Gebiete haben jedoch Konkurrenten der Telekom bereits eigene Technik installiert. Sie müssten diese wieder abbauen.

Als die Telekom ihren Antrag vor knapp einem Jahr bei der Netzagentur stellte, schäumten die Konkurrenten vor Wut. Der Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko) sprach von einer „Re-Monopolisierung der letzten Meile“. Die Pläne würden „dem Wettbewerb in Deutschland das Herz herausreißen“, hieß es beim VATM. Doch es dauerte einige Zeit, bis sich die Konkurrenten sammeln konnten. Ihre Antwort kam dann, kurz bevor die Netzagentur einen Entscheidungsentwurf vorlegte, umso wuchtiger.

Brandbrief an das Bundeskanzleramt

Gleich 13 Verbände hatten im November einen Brandbrief an das Bundeskanzleramt unterzeichnet, darunter die Telekomverbände VATM, Breko und Buglas, aber auch der Industrie- und Handelskammertag, der Städtetag, der Verband kommunaler Unternehmen, der Landkreistag, die Wohnungswirtschaft (GdW), der Bauernverband, der Einzelhandel (HDE) und das Handwerk (ZDH).

„Es geht um eine politische Grundsatzentscheidung mit so weitreichenden Auswirkungen für Deutschland, dass die Politik ihrer ordnungspolitischen wie infrastrukturpolitischen Verantwortung gerecht werden muss“, hieß es darin. Deutschland werde international den Anschluss verlieren, der Ausbau des Breitbandnetzes werde sich verlangsamen und nicht beschleunigen.

Selbst gestandene Telekom-Lobbyisten mussten angesichts dieser konzertierten Aktion schlucken. In einem Entscheidungsentwurf gab die Netzagentur wenige Tage später aber weitgehend grünes Licht für die Telekom-Pläne. Selbst die Kritik der Monopolkommission, die als unabhängiges Gremium die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat berät, konnte das Blatt nicht mehr wenden.

In einem Sondergutachten kritisierte sie die Pläne. Zu befürchten sei, dass es der Bundesnetzagentur nicht gelinge, das Technologiemonopol der Deutschen Telekom auf der sogenannten letzten Meile im Nahbereich der Hauptverteiler zu verhindern, sagte der Vorsitzende der Monopolkommission, Daniel Zimmer.

Experten fordern Glasfaserausbau in Deutschland

Experten fordern vielmehr den Ausbau von Glasfasernetzen in Deutschland, die eine deutlich höhere Internetgeschwindigkeit erlauben. Einige Stadtwerke wie Netcologne in Köln und M-Net in München haben bereits solche Netze gebaut. Beobachter befürchten nun, dass es in Vectoring-Gebieten keine Investitionen mehr in die noch schnelleren Netze gibt, weil die Telekom ihre Anschlüsse auf Grundlage bereits abgeschriebener Kupferleitungen günstiger anbieten kann.

Dass Glasfaser die bessere Technologie ist, bezweifelt auch der Bonner Konzern nicht. „Auf dem Weg in die Gigabit-Gesellschaft werden wir am Ende bei der Glasfaser landen“, sagt Telekom-Chef Höttges. Die Frage ist nur, wann das sein wird. Je nach Schätzung kostet ein flächendeckender Glasfaserausbau, bei dem die Leitungen bis in die Haushalte gehen, bis zu 100 Milliarden Euro. Weder die Telekom noch ihre Konkurrenten sind in der Lage, so viel aufzubringen.

Die Telekom sieht Vectoring als günstige Brückentechnologie auf dem Weg in die Glasfaser-Zukunft. Um 100 Megabit auf den letzten Metern in die Haushalte anbieten zu können, muss sie ihre grauen Kästen in den Straßen mit Glasfaser anschließen. „Wir treiben damit die Glasfaser in die Fläche und machen nicht den zweiten Schritt vor dem ersten“, sagt Telekom-Cheflobbyist Wolfgang Kopf.

Ob jedoch am Ende die Wettbewerber die finanzielle Kraft haben, das Glasfasernetz mit zu bauen, bezweifeln viele von ihnen. Denn hat die Telekom erst einmal ihre Gebiete mit Vectoring ausgebaut, können sie lediglich auf ein sogenanntes Vorleistungsprodukt zugreifen. Dafür müssen sie an die Telekom eine monatliche Gebühr entrichten. Wirkliche Innovation sei so nicht möglich, kritisieren die Konkurrenten.

Doch noch geben sie sich nicht geschlagen. Der Beirat der Netzagentur hat einige Änderungswünsche geäußert, die nun von der Behörde abgewogen werden. „Das könnte zumindest die Schmerzen lindern“, sagt ein Wettbewerber. Werde dem Antrag der Telekom in der derzeitigen Form jedoch stattgeben, sei ein Gang vor das Bundesverfassungsgericht denkbar, droht die Breitband-Lobby. Dessen Entscheidungen kann auch ein Telekom-Chef nicht beeinflussen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Welt Online.

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