Kreuzberg
Typische Ecke in Kreuzberg. Bleibt das so?

Berlin lebt. Die Stadt schwingt, klingt und verändert jeden Tag ihr Gesicht. Es kommen viele Menschen, die hier leben oder sich einfach nur die Stadt anschauen und feiern wollen. Das gefällt nicht jedem Berliner. Aber das war hier schon immer so. Man hat sich am Ende zusammengerauft und ist irgendwie gemeinsam zurecht gekommen.

Berliner sind stolz auf ihre Liberalität, die lässige Ungezwungenheit und Offenheit der Stadt und ihrer Menschen. Und in Teilen entspricht dieses gerne verbreitete Klischee auch der Wirklichkeit. Aber ausgerechnet im Bezirk Kreuzberg, in dem sich viele als besonders offen und freiheitlich empfinden, gibt es eine Szene, die sich mit Händen und Füßen, manchmal sogar mit Gewalt gegen Veränderung wehrt. Sie demonstriert dabei Abschottungsfantasien statt Offenheit, rückwärts gewandten Konservatismus statt Aufgeschlossenheit, ängstliche Verzagtheit statt mutiger Aufbruchsstimmung und Überheblichkeit. 

Demo gegen Verdrängung

Derzeit gibt es Ärger um zwei Projekte, die mit digitaler Wirtschaft zu tun haben. Der Modeversender Zalando will Büroflächen auf der symbolträchtigen Cuvry-Brache beziehen, direkt an der Spree. Google will seinen Startup-Campus im Umspannwerk an der Ohlauer Straße aufschlagen. Die Demonstrationsroute am Wochenende rund um den 1. Mai führt am Google-Projekt vorbei. Aktivisten wollen „gegen Verdrängung und Rassismus“ demonstrieren. Man habe Angst vor steigenden Mieten und Verdrängung von kleinem, kieztypischem Gewerbe, heißt es.

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Magnus Hengge von der Anwohnerinitiative Bizim Kiez spricht ganz sicher nicht für alle Kreuzberger, aber er hat die Haltung eines bestimmten Milieus gegenüber der Zeitung Neues Deutschland so zusammengefasst: „Es wird also noch hipper für die mobile-verrückten und hemmungslos entsolidarisierten Disruptions-Jünger der New Economy hier in Kreuzberg zu leben und zu arbeiten.“ 

Startups sollen draußen bleiben

Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Hybris diese Stellungnahme auf alles, was für einen freien, offenen und kreativen Dialog wichtig wäre, verzichtet. Stattdessen werden Feindbilder aufgebaut und der eigene Lebensentwurf schamlos als moralisch überlegen und unverhandelbar postuliert.

Leute, die im digitalen Bereich tätig sind, sollen schlicht und einfach draußen bleiben, damit Hengge und seine Freunde in ihrem Kiez ihre heilige Ruhe haben. Die Szene, die sich gegen „Verdrängung“ ausspricht, handelt selber wie ein Verdränger. Man fordert Solidarität und agiert wie ein Ausgrenzer. Es fehlt eigentlich nur noch die Überschrift: Kreuzberg den Kreuzbergern!

Ja, es stimmt. Clubs werden schließen, Läden müssen dicht machen, Leute ziehen um. Dafür werden neue Gegenden in der Stadt erschlossen, neue Locations entdeckt, neue Lebensräume erobert. So hat es in jeder Generation funktioniert. Auch die Eroberung von Kreuzberg durch die alternative Szene in den siebziger und achtziger Jahren. Als sie noch alternativ war.

Junge, digitale, kreative, selbstständig denkende Leute sind längst nicht mehr auf eine alternde, selbstverliebte Szene in Kreuzberg in ihrem Museumsdorf angewiesen. Sie setzen an einem anderen Ort ihre Ideen um, bauen ihre eigenen Firmen auf und kommunizieren offen und weltgewandt. An einem Ort, der wie für sie gemacht ist. In einer freien, unideologischen Umgebung, in der fast alles möglich ist und für die viele milieugeschützte Zonenbewohner Kreuzbergs inzwischen zu alt, zu borniert oder einfach zu ahnungslos sind.

Im Internet. 

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