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Yahoo: Echte Erfolge sehen anders aus

Einen Neustart von Yahoo kündigte Marissa Mayer vor genau einem Jahr auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas an. Die Chefin des Internetpioniers zog auf der großen Bühne alle Register einer Vegas-Show: Sie präsentierte neue Digital-Magazine fürs Smartphone, zeigte eine Such-App namens Aviate und brachte die TV-Stars Cecily Strong und Kenan Thompson von „Saturday Night Live“ mit. Mayer gab alles, um ihre Kritiker von der bevorstehenden Wiedergeburt von Yahoo als hippe Internet-Marke zu überzeugen.

Seitdem sind Mayers Kritiker nicht verstummt. Aviate wurde in Googles Play-Store eine gute Million Mal heruntergeladen, das Magazin blieb einer technikinteressierten Minderheit von etwa neun Millionen Besuchern pro Monat vorbehalten. Beides kein Flop, aber echte Erfolge sehen anders aus.

Zwar verbucht Yahoo mittlerweile mehr als 1,25 Milliarden Dollar (gut eine Milliarde Euro) Werbeeinnahmen pro Jahr auf mobilen Geräten und hat damit Konkurrenten wie Twitter überholt. Doch der Umsatz stagniert weiterhin bei etwa fünf Milliarden Dollar pro Jahr, und milliardenschwere Zukäufe wie die Blogging-Plattform Tumblr haben nicht das erhoffte Wachstum gebracht.

Im Sommer 2014, vor dem Börsengang der chinesischen Handelsplattform Alibaba, an der Yahoo 24 Prozent hielt, hatten Großinvestoren laut „Forbes“ sogar die Zerschlagung von Yahoo durchgespielt: Während das Unternehmen an der Börse damals 34 Milliarden Dollar wert war, hatte die Alibaba-Beteiligung einen Wert von etwa 37 Milliarden Dollar – die Übernahme hätte man also allein aus dem Verkauf der Beteiligung finanzieren können.

Eine Firma ohne Orientierung?

Das konnte Mayer abwenden. Ende Oktober verkündete sie um 25 Prozent gestiegene Anzeigenverkäufe gegenüber dem Vorjahr und kündigte umfangreiche Aktienrückkäufe an, finanziert aus den Alibaba-Erlösen. Der Yahoo-Kurs schoss daraufhin von knapp 40 auf über 50 Dollar in die Höhe, die Verkaufsidee war kalkulatorisch erledigt und die Großinvestoren verstummten vorerst.

Doch die guten Zahlen resultieren nicht aus Mayers Erfolgen, sondern spiegeln lediglich den Trend des Werbemarktes hin zu mehr Online-Anzeigen wider. Da aber immer mehr Webseiten um die Werbekunden buhlen, ist der Preis pro Anzeige um knapp 25 Prozent gefallen. Und Yahoos weltweiter Marktanteil schrumpfte in den vergangenen zwölf Monaten auf nur noch 2,5 Prozent.

Mayers früherer Arbeitgeber und jetziger Konkurrent Google kommt einer Analyse des US-Fachmagazins eMarketer zufolge auf 31 Prozent. Selbst Microsoft, dessen Kerngeschäft keineswegs Werbung ist, nimmt mehr Geld mit Online-Anzeigen ein als Yahoo.

Mayers Neustart-Idee trägt bislang also nicht die erhofften Früchte. Was daran liege, dass kein schlüssiges Konzept existiert, schreibt der Journalist Nicholas Carlson in seinem Buch „Marissa Mayer and the Fight to save Yahoo!“, das am Donnerstag erschienen ist. Carlson zitiert umfangreich Quellen aus dem mittleren Management von Yahoo, und zeichnet das Bild einer Firma ohne Orientierung.

Der erhoffte Gründer-Elan blieb aus

Womöglich sind Mayers Ambitionen zu groß. Das einzige große Vorbild für die gelungene Neudefinition einer Technologie-Firma ist Apple. Mayer hatte die Idee, Yahoo mit der Ideen- und Arbeitskultur der Gründerwelt die Basis für Innovationen zu verschaffen.

„Wir sind das weltgrößte Startup“, gab sie auf der wöchentlichen Betriebsversammlung in der Yahoo-Kantine „URL“ vor. „Doch ihren Managern musste sie zum gleichen Zeitpunkt eingestehen, noch kein bahnbrechendes Produkt identifiziert zu haben“, zitiert Carlson aus den Sitzungsprotokollen des Vorstands. Die Belegschaft habe nicht mitgezogen, denn Mayers Ideen vom Startup-Alltag – Gratisessen, Anwesenheitspflicht, Großraumbüros – brachten nicht den erhofften Gründer-Elan.

Gleichzeitig gab sie ein für Yahoo zuvor unerhörtes Tempo beim Redesign aller Produkte für mobile Geräte vor. Mayers Vorgänger hatten den Mobil-Trend verschlafen, bei ihrem Amtsantritt hatte der Konzern gerade einmal 60 spezialisierte Entwickler für Smartphone-Apps – während Google Tausende beschäftigt.

Mayer startete eine Aufholjagd, besteht laut Carlson jedoch darauf, jedes noch so kleine Detail selbst zu managen. In 16- bis 18-Stunden-Arbeitstagen diskutiere sie mit den Designteams der wichtigsten Produkte Yahoo Mail und der Nachrichten- und Wetter-Apps jede Kleinigkeit.

Daten-Versessenheit bei Mitarbeiter-Bewertung

Damit mache sie sich nicht nur Freunde. Als die neue Mail-App kurz vor Vollendung stand, beschloss Mayer kurzerhand, die Farbe von Blau auf Lila zu ändern – daraufhin musste das zuständige Team in Nachtschichten Hunderte Grafiken und Programmzeilen umstellen.

Solche Ad-hoc-Entscheidungen auf der Seite stehen in merkwürdigem Widerspruch zu Mayers Daten-Versessenheit beim Personalmanagement. Seit ihrem Antritt werden alle Mitarbeiter regelmäßig entsprechend einer Leistungskurve bewertet.

Da die Vorgesetzten jedoch nur eine festgelegte Maximalzahl guter Bewertungen vergeben dürfen, fürchten mittlerweile alle talentierten Entwickler diese Bewertungen – und meiden Carlson zufolge Teamarbeit, um sich nicht die Chance auf gute Noten zu nehmen. Als Mayer Anfang November beim wöchentlichen URL-Meeting eine anonyme Fragerunde initiierte, seien die Fragen so kritisch gewesen, dass sie die Antworten zunächst verschob.

Stattdessen las sie eine Geschichte aus einem Kinderbuch vor, in der ein kleiner Junge überlegt, wofür er sein Taschengeld ausgeben soll. Die meisten der anwesenden Yahoo-Mitarbeiter verstanden die Moral der Geschichte nicht. Seitdem gilt sie intern als Parabel für den tiefen Graben zwischen Mayer und ihren Angestellten.

Auch den Investoren fehlt es an Verständnis. Mittlerweile wird in Analystenblogs eine Fusion von Yahoo mit AOL debattiert: Gemeinsam wären die Firmen deutlich mehr wert als einzeln, durch Synergieeffekte könnten sie Milliarden einsparen – und AOL-Boss Tim Armstrong könnte Mayer an der Spitze ablösen. Sie hätte dann Zeit für ihre Spezialität, die Produktentwicklung. Oder könnte ihre Abfindung von 164 Millionen Dollar einstreichen und gehen.

Bild: NamensnennungWeitergabe unter gleichen Bedingungen Bestimmte Rechte vorbehalten von Giorgio Montersino