Ein Beitrag von Martin Meier, Design Director der Design- und Innovationsberatung IDEO

Ich heiße Tom und – bevor ihr euch fragt – nein, ihr kennt mich nicht. Denn ich bin noch gar nicht geboren. Aber in 15 Jahren werde ich mir, genauso wie Millionen andere Menschen, Gedanken machen, welche Produkte und Dienstleistungen ich verwenden möchte.

Damit meine ich alles, was mit meinem Leben zu tun hat: mein erstes Handy, die Sneakers, die ich trage, die Lebensmittel, die ich esse, wie ich mich fortbewege, wo und wie ich einkaufe, welche Inhalte ich mir online ansehe und wie ich damit interagiere.

Vermutlich unterscheide ich mich gar nicht allzu sehr von einem Teenager, der 2015 oder in den Jahrzehnten davor gelebt hat: Ich hänge gern mit meinen Freunden rum, und ich möchte mich mit ihnen unterhalten, unabhängig sein, meine Individualität und meinen Platz in der Welt finden, angesagte Klamotten tragen und Gadgets besitzen. Aber die Welt hat sich in den vergangenen 15 Jahren schon ganz schön verändert. So ziemlich alles — von Klamotten und Küchen bis hin zu Autos und Städten —  ist jetzt mit dem Internet verbunden.

Eine Küche im Jahr 2030 als „connected“ zu bezeichnen, ist genauso altmodisch und unnötig wie eine Küche 2015 „elektrisiert“ zu nennen. Ich weiß, dass ihr das hier im Jahr 2015 lest. Bei den meisten smarten Dingen steht die Technologie im Vordergrund und nicht meine Bedürfnisse. Bestenfalls stellen sie einen schlechten Ersatz für etwas dar, das ohnehin funktioniert. Im schlechtesten Fall sind sie schlecht nutzbar oder völlig überflüssig.

Genau deswegen muss ich euch jetzt etwas anvertrauen: Hinter diesem Brief stehen eigentlich ganz eigennützige Beweggründe. Ich hoffe, dass ich euch mit meiner Liste an Tipps aus dem Jahr 2030 möglicherweise einige Denkanstöße geben kann, damit ihr schon 2015 durchdachtes, tolles Spielzeug, sinnvolle Küchengeräte und Gadgets designen könnt.

Also, los geht’s:

1. Gebt mir Anreize, aber dezent

Geht mit meiner Aufmerksamkeit respektvoll um. Belästigt mich nicht mit überflüssigen Informationen. Die Grenzen meiner Aufmerksamkeit sollten nicht überschritten werden. Sorgt dafür, dass ich Informationen schnell und einfach abrufen kann, wenn ich sie brauche. Versucht, subtile Hinweise und Tipps in bereits bestehende Interaktionen mit mir einzubauen. Und fordert nicht meine gesamte Aufmerksamkeit.

2. Setzt auf Ehrlichkeit und Transparenz

Wenn die Technologie unsichtbar ist, verliere ich die Kontrolle. Macht mir klar, wie euer Produkt funktioniert, damit ich es verstehen kann. Smart sollte nicht gleich undurchsichtig bedeuten. Erklärt mir, wie und warum das Produkt bestimmte Entscheidungen trifft.

3. Im Zweifel nachhaltig

Ich habe Einweg-Geräte satt. Das Thema Müllvermeidung ist mir wichtig. Baut kein verstecktes Verschleißdatum in das Gerät ein, das ist mir gegenüber respektlos und fügt der Umwelt Schaden zu. Macht eure Produkte nachrüstbar und baut bitte Systeme, die produktunabhängig relevant bleiben. Falls dies nicht möglich sein sollte, investiert etwas mehr Zeit, um sicher zu stellen, dass die neuen Versionen eures Produkts auch mit älteren kompatibel sind.

4. Lasst mich mitmachen

Mir ist klar, dass Programmieren nicht zu eurer frühkindlichen Erziehung gehört hat – zu meiner aber schon. Also lasst mich euer Produkt weiterentwickeln und meine eigenen Anwendungen definieren. Stellt mir eine offene Plattform zur Verfügung und beobachtet, was ich kreiere. Im Gegenzug werde ich euch inspirieren und euch Anhaltspunkte für eure zukünftigen Produkte liefern.

5. Ich bin nicht euer Produkt

Ich zahle gerne für euren Service. Setzt aber nicht darauf, euer Geld nur mit meinen Daten zu machen. Das wird so nicht klappen! Ich lasse mich ja auch nicht einsperren.

6. Schützt meine Privatsphäre

Glauben eure Anwälte wirklich, ich lese diese unverständliche Datenschutzerklärung? So läuft das nicht! Macht mir klar, wie, wofür und warum meine Daten verwendet werden und sagt es mir in klaren Worten. Lasst mich entscheiden, welche Infos ich euch speichern lasse. Verwendet nur die Daten, die notwendig sind, damit euer Service funktioniert. Gebt mir die Möglichkeit, meine Daten zu löschen – und zwar für immer, wenn ich das möchte.

7. Und wozu?

Gebt mir einen Grund, warum ich eurem Produkt einen Platz in meinem Leben einräumen soll. Nur weil ihr ein Produkt machen könnt, bedeutet das noch lange nicht, dass ihr es auch machen solltet. Durch gute Produkte habe ich mehr Zeit, mich auf die Dinge zu konzentrieren, die mir am wichtigsten sind und die einen Mehrwert für mich und unsere Gesellschaft bringen.

8. Sicherheit als Standard

Ich will meine Zeit nicht damit verbringen, mich mit den Einstellungen eures Produkts zu beschäftigen. Ich verstehe, dass es möglicherweise einen Kompromiss zwischen Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit geben muss. Ich vertraue aber darauf, dass ihr den richtigen Weg findet und es mir überlasst, dieses Gleichgewicht dann im Detail einzustellen.

9. Konzentriert euch auf das Wesentliche

Hört auf, mir ständig zusätzliche Features zu verkaufen. Ich freue mich über Produktverbesserungen, aber es muss nicht immer etwas Neues sein! Und offline bedeutet nicht unbedingt weniger effektiv. Eine intelligente Glühbirne sollte immer noch ohne Netzwerkverbindung funktionieren.

10. Nehmt mir nicht jeden Knopf weg

Klar kann man einen echten Knopf durch einen Touchscreen ersetzen, aber sollte man das auch? Überlegt mal, wie lange es gedauert hat, bis wir (als Menschen) gelernt haben, wie physische Dinge funktionieren: Wir können mit unseren Händen Strukturen fühlen, Dinge anfassen, nach ihnen greifen, sie steuern. Nehmt uns diese Erfahrung nicht komplett, indem ihr uns auf Wischbewegungen über gläserne Oberflächen beschränkt.

11. Lasst mir meine Verantwortung

Es ist einfach, einem Algorithmus die Schuld für eine Entscheidung zu geben, die aus Effizienz gefällt wurde. Ja, mit Komfort schwindet die Kontrolle! Dadurch wird mir auch meine Verantwortung gegenüber der Umwelt und gegenüber anderen Menschen genommen. Also gebt mir bitte genügend Aktionsradius, damit ich für meine Handlungen Verantwortung übernehmen kann.

So, das wär’s! Wenn ihr beim Gestalten neuer Produkte wieder einmal Zweifel habt, dann erinnert euch doch einfach an diesen Brief von mir.

Gern geschehen!

Tom

Illustration: Will Brown, Mitarbeit: Samer Nakfour, Ed White, Franziska Mayer, Will Brown;  zuerst erschienen auf Medium.com (Englisch)