Alexander Brand (rechts) und Konstantin Urban

In der stylischen Cafeteria trifft man sich auf einen Kaffee. Deutsche, englische, italienische, ja sogar chinesische Wortfetzen mischen sich unter den Bohnenduft. Säße nicht eine schicke Empfangsdame hinter der Rezeption des vierstöckigen Münchner Bürokomplexes und hinge da nicht das Logo mit einem Klapperstorch im großzügigen Eingangsbereich, käme angesichts der vielen jungen Parka-Träger direkt Uni-Feeling auf.

Doch in dem ehemaligen Siemens-Gebäude in München-Obersendling geht es nicht ums Pauken, sondern um Pampers. Und ums große Geschäft. Niedliche Bilder von Kleinkindern zieren die Wände, die Konferenzräume tragen Namen wie „Nashorn“ oder „Giraffe“, es gibt ein Spielzimmer und neben den Schreibtischen ragt schon mal ein buntes Indianerzelt in die Höhe. Hier ist Hipp total hip. Hier ist die Firmenzentrale des Online-Babyausstatters Windeln.de.

Das Baby der Gründer Alexander Brand, Konstantin Urban und Dagmar Mahnel ist zwar erst fünf Jahre alt, aber längst raus aus den Windeln. 500 Mitarbeiter sind inzwischen in elf Ländern für das Startup tätig. Vor allem das Business in China brummt. Der Konzern, soscheint es, wächst mindestens genauso schnell wie die Kids, die durch den Versandhandel in den ersten Lebensjahren mit Baby- und Kleinkinderprodukten versorgt werden.

Im Vergleich zum Vorjahr strebt der Onlinehändler 2015 ein stattliches Wachstum von 70 Prozent an. Im letzten Jahr verdoppelten sich die Umsätze von 49 auf 101 Millionen Euro, und allein in den ersten sechs Monaten 2015 wurde ein Umsatzwachstum von 85 Prozent verbucht.

Marktführer

Im Mai ist die E-Commerce-Firma an die Börse und mit den eingesammelten Millionen auf Shoppingtour gegangen. Eingekauft wurden Wettbewerber. Das Ziel: Marktführer in ganz Kontinentaleuropa zu werden. Zeit, um mit Alexander Brand über die ersten Jahre von Windeln.de und die künftige „Erziehungsstrategie“ zu sprechen.

Aber erst einmal zurück auf Anfang. Die Idee zum Geschäft mit dem großen und kleinen Geschäft wird im Urlaub geboren. Konstantin Urban (50) und seine Frau Victoria fragen sich bei einem Spaziergang mit ihren Kindern, warum alles – von der Zeitung bis zum Gemüse – vor die Haustür geliefert wird. Alles, bis auf Babybrei und schwere Windelkartons. Dabei haben doch gerade frischgebackene Eltern mit chronischem Schlafdefizit am wenigsten Nerven für Einkäufe mit quengelnden Babys in zu engen Geschäften.

Höchste Eisenbahn, einen Onlineshop zu etablieren, der schnell liefert und vor allem auch dann geöffnet ist, wenn der Nachwuchs schlummert. Mitstreiter für das Business-Konzept nach dem amerikanischen Vorbild diapers.com sind mit Dagmar Mahnel (53) und Alexander Brand (43) schnell gefunden. Auch sie: Mama und Papa. „Und so kam eines zum anderen“, erzählt Brand.

Er verantwortet im Unternehmen die Bereiche Strategie und Akquisitionen, Operations, Technologie, Kundenservice, Business Intelligence sowie die Geschäftsbereiche windelbar.de und windeln.ch. Konstantin Urban ist für Marketing, Produkt- und Category Management sowie den Geschäftsbereich windeln.de zuständig. Dagmar Mahnel arbeitet auch noch im Unternehmen – hat sich aber aus ihrer Führungsposition zurückgezogen.

Profitabel

Im Jahr 2010 geht es los. Die Kunden: überwiegend Mütter. Sie schätzen den Onlineservice schnell – und bleiben ihm treu. Das zeige sich an der Wiederkaufrate von 84 Prozent, der geringen Retourenquote von unter zehn Prozent – und den harten Zahlen. „Mit Windeln.de waren wir in Deutschland und China bereits vier Jahre nach der Gründung profitabel“, so der Absolvent der amerikanischen Elite-Universität Stanford.

Platz Nummer 44: Windeln.de AG

  • Wachstumsrate: 114 Prozent
  • Gründungsjahr: 2010
  • Firmensitz: München
  • Branche: E-Commerce
  • Webseite: https://www.windeln.de/

Und das, obwohl es natürlich Konkurrenz im Netz gibt: in Deutschland etwa den Onlineversand der Drogeriemärkte Rossmann und DM oder den von Babywalz.de und Babyartikel.de. Doch während Erstere fast nur Verbrauchsartikel wie Säuglingsnahrung und Pflegeprodukte versenden, haben Letztere wiederum lediglich Gebrauchsartikel im Sortiment. „Wir hingegen haben beides“, sagt Brand.

Geld wird dabei weniger mit Feuchttüchern, Wickelunterlagen oder Karottengläschen, sondern in erster Linie mit Kinderwagen, Möbeln, Mode oder Autositzen verdient. „Hier sind die Margen höher“, so der ehemalige Siemens-Manager. Rund 100.000 Produkte von circa 1.000 Herstellern sind im Sortiment. Und was ist mit dem Wettbewerber Amazon? Brand winkt ab. „Natürlich haben die alle Produkte. Aber das ist wie früher mit den Kaufhäusern Karstadt und Kaufhof: Viele Eltern bevorzugen am Ende doch das Fachgeschäft“, weiß der zweifache Vater. Und darum gebe es bei Windeln.de auch online jede Menge Fachwissen rund ums Kind und die Produkte: von Elternexperten und mit einem eigenen Webmagazin.

Die Zeichen für das junge E-Commerce-Business stehen schnell auf Erfolg: Zwei Jahre nach der Gründung startet der Shoppingclub „Windelbar“ mit täglichen Verkaufsaktionen von internationalen Marken. Ein Jahr später kommen in der Schweiz die Webseiten windeln.ch, kindertraum.ch und toys.ch hinzu. Machen die Onlineshops 2012 noch einen Bruttoumsatz von 26 Millionen, liegt er zwei Jahre später bereits bei 120 Millionen.

Doch um den Markt in Europa weiter zu erobern, wird Kapital benötigt. Nach fünf Finanzierungsrunden, wobei bei der letzten in diesem Jahr ein Konsortium unter der Führung von Goldman Sachs und Deutsche Bank 45 Millionen Euro in das Unternehmen investiert, wird der Börsengang geplant. Am 6. Mai 2015 ist es so weit. Mit Windelkartons, Kuscheltieren und Schnullern posieren Alexander Brand, Konstantin Urban und der neue Finanzvorstand Nikolaus Weinberger für die Presse an der Frankfurter Börse.

Doch was von dem IPO in den Köpfen der Öffentlichkeit hängen bleibt, sind nicht die knallenden Champagnerkorken, sondern eine Headline, die in zig Variationen gedruckt wird: „Börsenstart von Windeln.de geht in die Hose“. Ein Wortspiel, das jeden Journalisten freut, den Gründern aber wohl bis heute stinkt.

Marktwert

Das ernüchternde Debüt des vielversprechenden Babyartikelversenders auf dem Frankfurter Parkett: Schon am ersten Tag rutscht der Aktienkurs mit 18 Euro unter den Ausgabepreis von 18,50 Euro, zum Börsenschluss notiert die Windeln.de-Aktie bei 14,95 Euro. Inzwischen beträgt ihr Wert nur noch um die elf Euro.

Verstehen können das die drei Vorstände bis heute nicht. „Das ist schade, denn wir sind damit dramatisch unterbewertet – aber operativ spielt das keine Rolle für uns“, sagt Brand. „Unser Marktwert ist derzeit etwa 250 Millionen Euro, wenn ich den Cash abziehe, komme ich zu einem Unternehmenswert zwischen 120 und 140 Millionen Euro – je nachdem, wie der Kurs gerade so ist.“

Bitte wenden – Die Shoppingtour von Windeln.de.

Bild: Michael Berger/Gründerszene

Setze man das ins Verhältnis zu den Umsätzen des laufenden Jahres, dann sei das ein Faktor von weit unter eins. „Alle anderen E-Commerce-Firmen, die man kennt, sind deutlich höher bewertet. Zalando etwa mit einem Faktor von deutlich über zwei. Und wir wachsen ja sogar noch wesentlich.“ Brand glaubt aber, dass sich der Kurs mittelfristig korrigieren wird. Die Börse habe einfach ihre eigene Dynamik. Als der Aktienwert direkt nach dem IPO gesunken sei, habe eine Art Reverse-Psychologie eingesetzt. „Viele dachten: Der Kurs geht runter, da kann ja was nicht stimmen, lieber verkaufe ich. Dabei kann ich nichts feststellen, was das in irgendeiner Form rechtfertigt“, betont Brand.

Alles, was vor dem Debüt versprochen wurde – Expansion, mehr Umsatz in Deutschland und China – sei gehalten worden. „Wir haben auch versprochen, dass wir profitabler werden, aber wir haben auch immer gesagt, wir wollen noch weiter rote Zahlen schreiben“, erklärt Brand. Für dieses und das nächste Jahr habe man noch einen Verlust für viele Konzernbereiche angekündigt.

„Wachstum und Profitabilität sind zwei Seiten einer Waage. Wir haben uns entschieden, das Gewicht zunächst auf das Wachstum zu legen. Danach wird das Pendel sicher mehr in die andere Richtung ausschlagen.“

In 2015 soll der Konzern eine bereinigte EBIT-Marge von minus 6 bis minus 8 Prozent erreichen. Unabhängig vom enttäuschenden Börsendebüt sammelt Windeln.de beim IPO satte 211 Millionen Euro ein. Ein Teil des Geldes geht an die Gründer und Investoren der letzten Jahre. Etwa 127 Millionen Euro sollen und sind bereits teilweise in die weitere Expansion geflossen. „Wir sind hier ganz gezielt nach der Größe der Länder vorgegangen“, sagt Brand.

Shoppingtour

Im Juni geht in Italien der Webshop www.pannolini.it an den Start, im Juli wird das E-Commerce-Unternehmen für Babyprodukte „Feedo“ mit Onlineshops in der Tschechischen Republik, der Slowakei und Polen aufgekauft. Und ein Monat später wird „Bebitus“ übernommen, ein nach Unternehmensangaben führender Internetversandhandel für Baby-und Kleinkinderprodukte in Spanien, Portugal und Frankreich.

Doch damit ist die Shoppingtour von Windeln.de noch nicht abgeschlossen. „Wir haben noch viel Geld auf der Bank und es gibt noch einige Länder auf der Karte, in denen wir nicht vertreten sind“, sagt Brand und lacht. Vorrangiges Ziel sei es jetzt aber, sich auf den Märkten in Ost- und Südeuropa weiter zu etablieren. „Wir möchten mit den Teams vor Ort die Lieferantenbeziehungen verbessern, das Sortiment dem Markt anpassen, das Marketing vorantreiben, unsere Shop-Technologie in die Länder bringen und natürlich das Wachstum ankurbeln“, so Brand.

In China läuft das Geschäft schon von Beginn an prächtig. Im ersten Halbjahr 2015 steigerte Windeln.de seinen Umsatz insgesamt um 80 Prozent auf 64 Millionen Euro. Den Löwenanteil davon, rund 41 Millionen Euro, bringen laut Geschäftsbericht allein die Kunden im Reich der Mitte ein – die übrigens von München und Vietnam aus betreut werden.

Platz Nummer 44: Windeln.de AG

  • Wachstumsrate: 114 Prozent
  • Gründungsjahr: 2010
  • Firmensitz: München
  • Branche: E-Commerce
  • Webseite: https://www.windeln.de/

Dafür ist nicht zuletzt der Milchpulverskandal aus dem Jahr 2008 verantwortlich, bei dem Hunderttausende Babys erkranken und sechs Säuglinge ums Leben kamen. Seither ist die Nachfrage nach Babynahrung aus dem Ausland ungebremst. Windeln.de wittert seine Chance und steigt schon 2010 in den Markt ein.

„Chinesische Mütter vertrauen lokalen Produkten nicht, sehr wohl aber deutschen Gütesiegeln“, weiß Brand. Stiftung Warentest und der TÜV seien dort bekannt. Kritikern, die durch steigende Konkurrenz und den verblassenden Skandal nicht an ein endloses Wachstum von Windeln.de in der Volksrepublik glauben, gibt Brand Kontra. „So lange es in China keine Transparenz bei der Lebensmittelherstellung gibt und die Umweltverschmutzung weiter zunimmt, wird auch Babynahrung bei uns bestellt.“ Zudem steige der Anteil von Non-Food-Produkten am Umsatz stetig. „Deutsche Qualität ist begehrt, und in der Mittelschicht der großen Städte sind importierte Waren ein Statussymbol.“

Shoppingclub

Aber auch für den deutschen Markt haben die Firmenchefs weitere Pläne. „Bislang fallen uns die Kunden weg, wenn ihre Kinder aus den Windeln sind“, erläutert Brand. Der Name des Unternehmens sei zwar ideal, um die Eltern von Ein- bis Dreijährigen zu erreichen, spreche aber weniger diejenigen an, die zum Beispiel auf der Suche nach Legosteinen für ihren achtjährigen Sohn sind. „Darum haben wir in der Schweiz einen Shop für Spielzeug mit in die Seite integriert. Das können wir uns auch für Deutschland auf der Windeln.de-Seite vorstellen: So kann man über eine Homepage, einen Warenkorb, einen Log-in alles bestellen.“

Was die Eltern neben den wichtigen Basics interessieren könnte, wird über die Webpage des Shoppingclubs Windelbar.de getestet. Neue Labels, Design aus Dänemark, Mode für Mamas, hochwertige Spielsachen – das alles gibt es dort in wechselnden Verkaufsaktionen mit dicken Rabatten. „Windelbar ermöglicht es uns, Sortimentsbausteine auszuprobieren. Wenn sie gut ankommen, kann man sich überlegen, ob es Sinn ergibt, rund um das Thema einen eigenen Shop zu bauen“, sagt Brand.

Die besten Produktberater hat Windeln.de aber in den eigenen Mitarbeiterinnen, die flexible Arbeitszeiten genießen und für die Homeoffice kein Fremdwort ist. Wer jungen Eltern mit seinem Business das Leben erleichtern will, sollte das eben auch im eigenen Konzern möglich machen. „Die Mehrheit unseres Teams ist weiblich, unsere Frauenquote beträgt 57 Prozent, um genau zu sein“, sagt Brand und lacht. Und natürlich sind viele von ihnen Mütter.


Übersicht: Die Top Ten des Gründerszene-Rankings

Das Gründerszene-Ranking: Die Top Ten

Bild: Michael Berger/Gründerszene