Lieferhelds Razzia-Affäre ist in den letzten 48 Stunden wohl zu einem der am heißesten diskutierten Themen der Internetbranche avanciert und das mit einigem Schaden für alle Beteiligten und das Segment als Ganzes. Dem Spiegel sei Dank. Lieferando-CEO Jörg Gerbig äußerte gestern gegenüber dem Spiegel noch den Plan, Lieferheld neben der strafrechtlichen Verfolgung auch zivilrechtlich zu belangen, nachdem man entsprechende Server-Spuren gefunden habe – Lieferandos letzte Kommentare zur Sache schlagen jedoch deutlich sanftere Töne an. Handelt es sich bei der Hacker-Thematik um eine PR-Kampagne zur Beförderung eines Exits?

Lieferando, Lieferheld, PR-Aktion

Lieferando rudert zurück

Was die Cyberattacken-Vorwürfe gegenüber Lieferheld (www.lieferheld.de) als eine PR-Aktion von Lieferando (www.lieferando.de) erscheinen lassen, sind vor allem die unterschiedlichen Statements von Lieferando-Geschäftsführer Jörg Gerbig: Zunächst ließ sich dieser noch mit deutlichen Worten gegenüber Lieferheld in einer entsprechenden Pressemitteilung: „Es ist erschreckend, dass es von einem Mitbewerber anscheinend für nötig empfunden wird, zu solch unlauteren Mitteln zu greifen und somit zusätzlich auch dem Ruf der gesamten Branche zu schaden.”

Mittlerweile ist bei Deutsche Startups und in einem Statement gegenüber Gründerszene nur noch die Rede von einer „Anzeige gegen Unbekannt“ durch Gerbig: „Webcrawler sind marktüblich. Mittels verschiedener Verfahren crawlt die Konkurrenz unsere Website. Wir werden momentan immer noch gecrawlt, und werden Lieferheld künftig auch nicht davon abhalten. Wir haben zudem lediglich Anzeige gegen Unbekannt gestellt, da ein solcher Absturz nicht durch das ‘übliche’ Crawlen durch Lieferheld passiert.“

Darf daraus gelesen werden, dass die ursprünglichen erhobenen Vorwürfe damit vom Tisch sind? Vor allem akzeptiert Lieferando mit diesem Statement auch das Crawlen seiner Webseite als „marktüblich“ – ein Vorgang, auf den Lieferheld sich als Erklärung für das Auffallen seines Servers berief, nachdem Lieferando durch eine Analyse seiner Logfiles auf den Wettbewerber aufmerksam wurde. Eine Denial-of-Service-Attacke (DDoS) – die es laut Lieferando im Dezember ja sogar gar nicht gegeben haben soll (s.u.) – wird für gewöhnlich auch eher von IPs im Ausland (etwa aus Russland oder von der Isle of Man) gestartet, was eine direkte Spur in die Lieferheld-Räume eigentlich sehr unplausibel machen dürfte. Dem gesamten Vorgang haftet somit der Geschmack einer gezielten Kampagne an mit großem Effekt an, die das gesamte Segment schlecht aussehen lässt.

Lieferando hält sich auf Anfrage bedeckt

Gründerszene konfrontierte Lieferando mit dieser Thematik, konnte Geschäftsführer Jörg Gerbig zum wiederholten Male jedoch nicht persönlich sprechen. Folgende Fragen ließ Lieferando hingegen über seine PR-Agentur beantworten:

Es macht den Eindruck, dass Lieferando seine DDoS-Attacke eher zu einer PR-Aktion gegen Lieferheld genutzt hat und nun zurückrudert („Anzeige gegen Unbekannt“, „Crawler sind branchenüblich“) – hat Lieferando eingesehen, dass Lieferheld in diesem Kontext unbeteiligt war?

Uns ist durch den Angriff auf unsere Webseite enormer Schaden entstanden. Wir werden häufig gecrawlt und unser Server hält dem stand. Aus diesem Grund haben wir nach der Attacke „Anzeige gegen Unbekannt“ erstattet. Es handelte sich bei dem Angriff am 4. Dezember nicht um eine DDoS-Attacke.

Wie ist das Verhältnis zwischen Lieferando und Wettbewerber Lieferheld?

Der Wettbewerb im Bereich der Online-Lieferdienste ist sehr hart umkämpft – schließlich geht es um ein großes Marktvolumen.

Warum wird in diesem Segment so häufig geklagt und abgemahnt? Von welchem Akteur geht der meiste juristische Druck aus?

Wie bereits erwähnt, ist der Markt hart umkämpft und es gibt wie überall Klagen und Abmahnungen. Diese Attacke hat aber eine ganz andere rechtliche Qualität und hat uns sehr geschadet.

Ermittelt die Staatsanwaltschaft weiter?

Eine wirkliche Antwort auf die Frage nach einer gezielten Kampagne lässt sich aus diesem Statement also nicht ableiten, unabhängig von der Geplantheit der Aktion, darf aber dennoch gefragt werden, warum die Polizei Lieferheld aufsuchte, wenn doch Anzeige gegen Unbekannt gestellt wurde – Lieferheld-CEO Fabian Siegel gibt dazu zu Protokoll: „Die Polizei muss jeder Anzeige und jedem Hinweis nachgehen, der einen Anfangsverdacht rechtfertigt. Dann zieht die Polizei los und beginnt zu prüfen, ob etwas an der Sache dran ist. Das war bei uns der Fall. Es kamen drei freundliche Beamte und haben vier Fragen gestellt – mehr nicht. Ich bin sicher, dass das Ermittlungsverfahren schon bald eingestellt wird.“ Die Staatsanwaltschaft Berlin war zum heutigen Tage hingegen für Gründerszene nicht mehr erreichbar.

Dass es nun wiederum eine Anzeige von Lieferheld gegenüber Lieferando geben wird, ist eher unwahrscheinlich. Auf die Frage, was Lieferheld nun unternehmen werde, antwortete Siegel: „Wir arbeiten weiter. Der fadenscheinige Versuch mit Strafanzeigen die Erfolge von Lieferheld zu kriminalisieren ist unfair und wird nicht erfolgreich sein. Wir fokussieren uns lieber darauf, auch in Zukunft das bessere Produkt, den besseren Service und das schnellere Marktwachstum aufzuzeigen.“

Lieferando könnte an einem Exit interessiert sein

Glaubt man dem Marktumfeld, soll Lieferando derzeit sehr an einem Exit seines Geschäfts interessiert sein – sollte sich ein solcher nicht gewährleisten lassen, wäre wohl auch eine Finanzierung denkbar. Auch der Spiegel schreibt in seiner Print-Ausgabe, dass es zu einem Übernahme-Angebot durch Lieferheld gekommen sein soll. Aus den Reihen von Lieferando ließ sich bisher nichts in diese Richtung belegen, nachdem sich das Geschäft mit den beiden großen Konkurrenten Pizza.de und Lieferheld sowie dem aufkommenden Lieferservice.de sehr wettbewerbsintensiv zeigt, könnte das Interesse an einem Verkauf allerdings hoch sein. Sollte Lieferando hinter die potent finanzierten Wettbewerber fallen, dürfte ein Verkauf als Viertplatzierter schwierig werden und finanziell gering ausfallen. Mit diesem Gerücht im Hinterkopf und der Tatsache, dass eine Anzeige gegen Lieferheld direkt nun anscheinend vom Tisch ist, wirkt das Medienecho rund um die Offlinezeiten Lieferandos immer mehr wie eine Kampagne.

Laut eigenen Angaben will es Lieferheld derzeit mit seiner international aufgestellten Holding auf einen Außenumsatz von 160 Millionen Euro bringen, während die Branche bei Lieferando über Einnahmen zwischen 20 und 25 Millionen munkelt. Wer in Deutschland wirklich die Nase vorne hat, lässt sich angesichts der Daten öffentlicher Quellen wie Google Trends oder Alexa nicht verlässlich belegen, Lieferheld (bzw. Delivery Hero) könnte aufgrund seines umfangreichen Fundings jedoch selbst zu einem potenziellen Übernahmekandidaten werden, hat das Unternehmen auf dem deutschen Markt doch bereits Foodle aufgekauft und sich in Großbritannien mit Hungry House verstärkt.

Ob ein Lieferando-Kauf durch Lieferheld nach den Negativ-Schlagzeilen nun noch denkbar ist, scheint an und für sich unwahrscheinlich, obwohl Fabian Siegel gegenüber Gründerszene sogar Hoffnungen weckt: „Wir haben schon mehrere kleinere Wettbewerber auf dem deutschen Markt gekauft, Foodle zum Beispiel. Ein Kauf von Lieferando wäre nicht strategisch, aber bei einem bestimmten Preis auf alle Fälle interessant.“ Man darf also gespannt sein, ob es wirklich zu einer Übernahme von Lieferando kommt und wer letztlich den Berliner Anbieter übernimmt. Zu hoffen bleibt lediglich im Interesse aller Beteiligten, dass, egal welchen Ausgang die Marktsituation auch nimmt, endlich wieder mit Leistungen und nicht nur mit Rechtsstreits Aufmerksamkeit generiert wird.

Bildmaterial: Rudolpho Duba / pixelio.de