Rätselhafter Blick in die Gebrauchtwagenausstellung: Auch wir fragen uns, warum ist das Geschäftsmodell so viel Geld wert?

Das Mega-Investment des japanischen Telekommunikationsriesen Softbank in das Berliner Startup Auto1 wirft viele Fragen auf. Der Laie wundert sich ob der Höhe von 460 Millionen Euro. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Super-Deal der Berliner.

Warum ist Gebrauchtwagenhandel für Digitalunternehmen so attraktiv? 

Der Kauf und Verkauf eines Gebrauchtwagens in der alten analogen Welt ist umständlich. Und die Händler haben einen schlechten Ruf. Viele Verbraucher befürchten, Betrügern in die Hände zu fallen. Einer Studie des TÜV Rheinland zufolge könnte bei jedem dritten Gebrauchtwagen der Tacho manipuliert sein. Das ruft geradezu nach einer digitalen Lösung. Autoscout24 bot 1998 die ersten Gebrauchtwagen im Internet an. Gedruckte Kleinanzeigen verloren zunehmend an Bedeutung und wurden durch Online-Angebote ersetzt.

Was seitdem blieb, war der mitunter schmerzhafte Kontakt mit dem Autohändler. Jeder fünfte Autofahrer, so eine Studie der Sachverständigen-Organisaton KÜS, würde lieber zum Zahnarzt gehen als mit einem Automobilverkäufer über einen Kaufvertrag zu verhandeln. Das sagt viel über den Ruf der Branche. Diesen Schmerzpunkt versuchen Portale wie Auto1 zu lösen.

Wie funktioniert die Plattform?

Auto1 nennt dem Verkäufer einen Festpreis und nimmt ihm die Odyssee zu mehreren Händlern ab. Der Verkäufer beantwortet zunächst auf einer Benutzeroberfläche Fragen nach Marke, Typ, Alter, Kilometerstand im Vorfeld des Verkaufs. Anschließend folgt eine Begutachtung in einer Werkstatt und der Verlauf. Die Online-Plattform ist rund um die Uhr erreichbar. Von der Erfassung der Fahrzeuge bis zum Verkauf vergehen nach Angaben des Anbieters gerade mal 72 Stunden. Auto1 verkauft die Fahrzeuge als Großhändler an über 30.000 Autohäuser weiter. Dieses Geschäft erfolgt ohne Zwischenhändler, was die Marge der Platform erhöht. 

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Machen digitale Marktplätze den Handel transparenter?

Zunächst: Auto1 ist kein Marktplatz im engeren Sinn, sondern ein Großhändler, der sich digitaler Methoden bedient. Marktplätze sind nicht Eigentümer der Waren, deren Verkauf (Zalando) oder Vermittlung (Uber) sie betreiben.

Ein Verbraucher- und Finanzmagazin berichtete von deutlichen Unterschieden zwischen dem angekündigten und dem nach der Begutachtung bezahlten Preis. Deshalb hat Gründerszene das Portal getestet. Das Ergebnis: Der angebotene Preis von Wirkaufendeinauto.de unterschied sich nur unwesentlich vom Angebot herkömmlicher Händler.

Allerdings: Das Startup selbst bemüht sich anscheinend wenig um Transparenz. Es gibt diverse Onlineportale (etwa: wirkaufendeinauto.de), die wie eigene Unternehmen erscheinen. Die Plattform segelte lange Zeit unter dem Radar der Öffentlichkeit. Dass im früheren Postamt an der Bergmannstraße in Berlin-Kreuzberg mehrere Hundert Angestellte eine Plattform für den digitalen Gebrauchtwagenhandel bauen, wusste fast niemand. 

Wie erklärt sich die hohe Bewertung von Auto1?

Nach dem Investment von Softbank wird Auto1 jetzt mit 2,9 Milliarden Euro bewertet. Das Startup hat bisher knapp 900 Millionen Euro Funding von Investoren erhalten.

Gebrauchtwagenhandel ist ein lohnendes Geschäft, denn der weltweite Markt mit Fahrzeugen aus zweiter Hand wächst. Er wird laut dem jüngsten Bericht von Technavio bis zum Jahr 2021 voraussichtlich 128,42 Millionen Fahrzeuge erreichen und im Prognosezeitraum um mehr als sieben Prozent wachsen. Knapp die Hälfte davon entfallen auf Nord- und Südamerika, ein Drittel auf Europa und ein Fünftel auf Asien.

Warum braucht Auto 1 so viel Kapital?

Die Plattform ist in 28 europäischen Ländern aktiv und will weiter wachsen – zunächst sollen die bestehenden Märke gestärkt werden. Anders als manche Mitbewerber kauft Auto1 die Fahrzeuge selbst und gewährt seinen Partnerhändlern Kreditlinien bis zu 100.000 Euro. Verkäufer erhalten ihr Geld schneller als bei Angebotsplattformen. Täglich kommen den Angaben zufolge 3.000 Fahrzeuge auf die Plattform. Wie es ferner heißt, steht Händlern markenübergreifend ein wechselnder Bestand aus über 20.000 Fahrzeugen aus eigenem Bestand zur Verfügung. Diese Konstruktion bindet viel Kapital.

Wie sieht der Markt in Deutschland aus?

Es gibt in Deutschland immer mehr Autos. Am 1. Januar 2016 waren mehr als 62 Millionen Fahrzeuge zugelassen, davon 45 Millionen Pkw. Das sind 846 Fahrzeuge pro 1.000 Einwohner, so Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes (KBA). 

Insbesondere die Pkw werden länger genutzt und wechseln deshalb auch häufiger den Besitzer. Laut KBA ist das Durchschnittsalter der am 1. Januar 2017 in Deutschland zugelassenen Pkw auf 9,3 Jahre angestiegen (2016: 9,2 Jahre). Vor zehn Jahren lag der Altersdurchschnitt noch bei 8,1 Jahren.

Der Handel mit Gebrauchtwagen floriert: Im Jahr 2016 wechselten in Deutschland 8,37 Millionen Kraftfahrzeuge den Eigentümer. Dies ergab im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung von plus 1,1 Prozent, so das KBA.

Mit Gebrauchtwagen werden auch mehr Erlöse erzielt. Im Jahr 2016 wurde ein Umsatz in Höhe von rund 84,6 Milliarden Euro auf dem Gebrauchtwagenmarkt verzeichnet. 2015 waren es einer Berechnung von Statista.de zufolge 78 Milliarden Euro.

Auch die Zahl der Neuzulassungen steigt. Laut KBA wurden 2016 etwa 3,4 Millionen Personenkraftwagen neu zugelassen und somit 4,5 Prozent mehr als im Vorjahr.

Wie wirkt sich der technologische Wandel langfristig auf den Autohandel aus ?

Eine Studie des Wirtschaftsberaters KPMG  geht davon aus, dass die Zahl der Autohändler bis zum Jahr 2025 um bis zu 50 Prozent sinken wird. Der Grund: Es werden weniger Autos verkauft werden, weil mehr Menschen andere Mobilitätslösungen vorziehen werden – etwa das Teilen von Fahrzeugen. Schon jetzt zeichnet sich eine steigende Nachfrage nach geteilten Autos ab. Ein Effekt auf den Fahrteugbestand ist bislang allerdings ausgeblieben.

Bild: Getty Images /AFP / Freier Fotograf