Ada-CEO Daniel Nathrath-
Daniel Nathrath hat Ada gemeinsam mit Claire Novorol und Martin Hirsch gegründet

Man könnte das Berliner Büro von Ada durchaus als „Startup-like“ bezeichnen. Von einem Kreuzberger Hinterhof aus fährt man per Fahrstuhl ins ausgebaute Dachgeschoss, wo ein Büro-Loft auf den Besucher wartet. Ada ist eine Gesundheitsapp, die ähnlich wie ein Besuch beim Arzt funktioniert: Der Nutzer gibt seine Symptome ein, muss zahlreiche Fragen beantworten und bekommt anschließend Diagnosevorschläge. In einem separaten Raum mit Dachschrägen empfängt uns CEO Daniel Nathrath (45) zum Interview und erklärt, welche Vision hinter der App steht.

Daniel, mein Hals kratzt gerade und ich habe Ada befragt, was das sein könnte. Ergebnis: eine Erkältung. Das ist gut möglich. Doch was, wenn Ada mir eine falsche Diagnose ausstellt?

Bisher hatten wir noch keine Beschwerden. All unsere Vergleichstests zeigen, dass Adas Diagnosen im Durchschnitt besser sind als die, die ein einzelner Arzt am Telefon erstellen würde. Allerdings ist auch klar, dass es Zweifelsfälle gibt – deswegen zeigt Ada in diesen Fällen auch mehrere mögliche Gründe für die Beschwerden an. Das letzte Wort in der Behandlung hat zudem der behandelnde Arzt. Wir unterstützen bei der Analyse, verschreiben aber keine Therapie.

Will Ada langfristig den Arzt ersetzen?

Nein, wir wollen dem User Grundlagen für eine besser informierte Entscheidung geben, als er sie bisher hat. Derzeit googlen neun von zehn Leuten, bevor sie zum Arzt gehen. Weil man dort seine Gesundheitssituation nicht so ausführlich schildern kann, kommt natürlich viel Unsinn heraus. Wir ersetzen also nicht den Arzt, sondern die Google-Suche davor – und helfen damit dem Arzt.

Kann Ada mir auch Medikamente verschreiben?

Zumindest in Deutschland nicht. Und telemedizinische Beratung kann man in Deutschland derzeit nur machen, wenn man den Patienten davor mindestens einmal persönlich gesehen hat. In Großbritannien ist das anders. Da kann man sich am Ende der automatisierten Abfrage mit einem Arzt verbinden lassen, mit dem man sich per Video unterhalten kann. Er kann auch Rezepte verschreiben, aber es gibt strenge Regeln, welche Arten von Medikamenten überhaupt online verschrieben werden dürfen.

Wird das in Deutschland in Zukunft auch möglich sein?

Perspektivisch soll das kommen, ja. Aber wir haben kein festes Launchdatum. Es hängt von der Nachfrage ab. In England sind viele Nutzer mit der automatisierten Abfrage zufrieden. Unser Schwerpunkt liegt eher auf der Analyse mittels Künstlicher Intelligenz, als auf „Skype-a-doctor“.

Derzeit hat Ada ca. 1,7 Millionen Nutzer, in ein paar Jahren sollen es 100 Millionen sein. In Berlin arbeitet daran ein 75-köpfiges Team, in München und London hat Ada weitere Büros. Mit dabei sind Datenwissenschaftler, Mathematiker, Programmierer und etwa zur Hälfte Mediziner. Viele von ihnen in Teilzeit, manche promovieren nebenbei. „Wir sind ein sehr internationales Team“, sagt Nathrath. Sie alle arbeiten daran, das medizinische Wissen der Menschheit so zu ordnen, dass der Algorithmus von Ada es anwenden kann.

Interface von Ada
Ada führt den Patienten durch einen individualisierten Fragebogen

Ärzte haben ja ein vergleichsweise hohes Einkommen. Ist es schwer, als Startup bei solchen Gehältern mitzuhalten?

Ärzte sind keine Essenskuriere, die Personalkosten sind bei uns vermutlich etwas höher als bei anderen Startups, die mit Praktikanten arbeiten. Wir zahlen schon kompetitive Gehälter. Wir wollen ja auch garantieren, dass die Qualität gut ist.

Im Herbst haben Sie eine Finanzierung in Höhe von 40 Millionen Euro erhalten. Die ging wahrscheinlich nicht allein für Arztgehälter drauf. Wofür ist das Geld gedacht?

In erster für Linie für den Teamaufbau und Produktentwicklung. Wir bekommen jeden Tag viele Anfragen von Gesundheitssystemen aus verschiedensten Regionen der Welt, haben aber im Moment nicht die Ressourcen, auf alle Anfragen einzugehen. Wir wollen also unser Business-Development-Team erweitern und unser Team mit Datenwissenschaftlern ausbauen. Denn das Wichtigste ist, dass Ada aus den Fällen, die wir schon hatten, lernt und sich weiterentwickelt.

Auf Ihrer Internetseite steht, es braucht die ausdrückliche Einwilligung des Users, bevor seine Daten an Dritte weitergegeben werden. Wohin gehen sie denn, wenn ich einwillige?

Wenn Sie etwa mit einem Arzt sprechen wollen, ist es natürlich sinnvoll, wenn er Ihre Daten kennt. In diesem Sinne sind auch Kooperationen mit Krankenhausketten möglich.

An die Krankenkassen geht nichts? Denn ich könnte mir vorstellen, dass die ein gesteigertes Interesse daran haben, was für Beschwerden mich plagen, um mir einen daran angepassten Tarif zu setzen.

Bei uns soll nur der Patient selbst entscheiden, was mit seinen Daten geschieht. Wir würden nie Dritten Einsicht in die Daten geben, wenn der Patient nicht zustimmt.

Als die angesprochene Finanzierungsrunde bekannt wurde, hieß es, Ada werde in Zukunft durch die Zusammenarbeit mit Krankenkassen Einnahmen generieren. Wie gestaltet sich das genau?

Wenn ein Patient durch Ada ein gesundheitliches Problem früher entdeckt als sonst, kann man es noch behandeln, solange kostengünstig ist. Man kann sagen: Wir finden Krankheiten, wenn sie noch 10-Euro- statt 10.000-Euro-Probleme sind. Das ist nicht nur im Interesse des Patienten, sondern auch des Kostenträgers. Aus Sicht des Gesundheitssystems ist es ja erwünscht, dass man nicht wegen jeder Lappalie zum Arzt geht. In Großbritannien etwa sind die Notaufnahmen völlig überlastet, auch hier muss man teils lange auf einen Termin warten. Wenn die Patienten mit der Voreinschätzung der App entscheiden können, ob sie wirklich zum Arzt gehen müssen, ist das gut für das ganze System. Denn so bleibt den Medizinern mehr Zeit für die wirklich dringenden Fälle.

Aber wie genau verdient Ada damit Geld?

Wir sind zur Zeit dabei, diese Möglichkeiten mit Kostenträgern und Kassen in unterschiedlichen Ländern auszuloten. Da wird es nicht das eine Modell geben, sondern wir werden individuelle Modelle mit den einzelnen Partnern aushandeln. Wir bieten den Playern im Gesundheitssystem ja einen klaren Mehrwert – und obendrein eine Anwendung, mit der sie deutlich sparen können. Jedenfalls ist klar, dass Ada für den Nutzer werbefrei bleiben muss und bleiben wird.

Spontan klappt Nathrath seinem Laptop auf. „Sehen Sie mal hier“, sagt er und dreht den Bildschirm zu uns. Dort ist eine Weltkarte zu sehen, auf der einzelne Länder ungeordnet rot aufblinken. „Immer wenn jemand Ada nutzt, färbt sich das Land kurz rot“ erklärt Nathrath. In Europa blinkt es konstant, aber auch in Süd-Ost-Asien und Afrika ist viel los, einmal wird auch Russland rot. „In den USA wird es immer mehr“, sagt Nathrath. „Da stehen die Leute gerade auf.“

Ada setzt offenbar nicht nur auf die finanzstarken Märkte, sondern auch auf die Länder des globalen Südens. Was ist dort Ihr Ziel?

Weltweit leben rund eine Milliarde Menschen, die keinen Zugang zum Arzt haben. Es gibt in ihrer Region einfach keinen oder sie können ihn sich nicht leisten. Mittlerweile hat aber auch dort fast immer jemand ein Smartphone. Mit Ada erhält damit jeder Zugang zur selben Diagnosequalität, die auch der reichste Banker in London hat. 

Einer Behandlung durch einen Arzt kommt er so aber auch nicht näher.

Nein, aber er kann zumindest einschätzen, was er hat. Und ob er einen beschwerlichen Weg unbedingt auf sich nehmen muss oder ob es auch andere Behandlungsmethoden gibt, die er vielleicht doch vor Ort erhalten kann. Wenn ein junger Arzt bei uns sieht, dass er durch seine Arbeit bei uns Zehntausenden Menschen gleichzeitig helfen kann, war das für so manchen schon ein Anreiz, hier im Büro zu bleiben statt an den OP-Tisch zu wechseln.

Gibt es auch Dinge, die Ada besser kann als ein Arzt?

Es gibt ungefähr 7000 seltene Erkrankungen. Die kann ein Hausarzt gar nicht alle auf dem Radar haben. Ein Computersystem hingegen natürlich schon. Die Wahrscheinlichkeit, diese zu finden, ist also bei Ada sehr viel höher.

Bilder: Ada