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adam cheyer siri change.org genetic finance apple Adam Cheyer Ende 2013 auf dem Pioneers-Festival in Wien

Adam Cheyer: „Ich sehe mich als Parallelgründer“

Klar, Siri kann auch nicht alles wissen. „Siri, wer ist dein Vater?“, habe ich meinen iPhone-Assistenten gefragt. „Es gibt nur dich und mich, Niklas“, hat Siri geantwortet. Falsch! „Dein Vater ist Adam Cheyer“, entgegne ich. Es hilft nichts. „Es gibt nur dich und mich, Niklas.“

Sei’s drum. Adam Cheyer ist wirklich der Vater von Siri, der revolutionären Spracherkennung, die Apple seit 2011 in seine iPhones und iPads verbaut. Schon Anfang der neunziger Jahre entwickelte Cheyer die erste Version von Siri, während er beim Forschungsinstitut SRI in Stanford arbeitete. Am SRI entstand einst schon die Computermaus.

2007 wird Siri als Startup ausgegründet, sammelt 24 Millionen US-Dollar an Kapital ein – und wird nicht einmal drei Jahre später von Apple übernommen. Über den Kaufpreis gibt es nur Schätzungen, irgendetwas zwischen 150 und 250 Millionen Dollar sollen es gewesen sein. Cheyer bleibt nach der Übernahme noch bis Juni 2012 an Bord, dann kehrt er dem Konzern den Rücken.

Adam, du hast Apple vor etwa anderthalb Jahren verlassen. Was hast du in der Zwischenzeit gemacht?

Mein letzter Tag bei Apple war zugleich der letzte Schultag meines Sohnes. Ich hatte fünf verrückte Jahre hinter mir, hatte drei Firmen gegründet. Zu meinem Job bei Apple musste ich jeden Tag zwei Stunden hin- und zurückpendeln. Es war Zeit, meiner Familie etwas zurückzugeben. Also haben wir den ganzen Sommer miteinander verbracht. Wir sind gereist, sind Segeln gegangen. Ich habe nicht darüber nachgedacht, was jetzt kommt. Erst im Herbst habe ich mich dann gefragt: Was mache ich als nächstes?

Und, hast du eine Antwort gefunden?

Ja. Ich gehe immer nach einem bestimmten Muster vor. Schon 2007, als ich Siri gelauncht habe, hatte ich vorher ein Ziel formuliert: Ich wollte fünf Projekte machen, die eine große Wirkung haben würden. Also habe ich ein Jahr lang Brainstorming gemacht, Ideen gesammelt, Sachen ausprobiert. Dann habe ich drei Projekte ausgewählt. Manche Gründer sagen, sie seien Seriengründer. Ich sehe mich als Parallelgründer. Ich arbeite gern an mehr als einer Sache. Mein Hauptprojekt war Siri. Das Nebenprojekt war die Big-Data-Analyseplattform Genetic Finance. Das dritte Startup war Change.org, das heute ungefähr 50 Millionen aktive User pro Monat hat. Mittlerweile habe ich wieder einen ähnlichen Prozess gestartet: fünf neue Ideen, fünf neue Prototypen. Ich werde wiederum ein Haupt- und ein Nebenprojekt wählen, daraus Unternehmen gründen und hoffentlich in ein oder zwei Jahren zurückkommen und dir sagen können, was die Ideen sind.

Bist du im Moment noch allein oder stellst du bereits Teams zusammen?

Eines der beiden Unternehmen ist gegründet. Für das zweite suche ich noch nach Mitgründern.

In welche Bereiche geht es?

Darüber spreche ich noch nicht.

Geht es in eine komplett neue Richtung? Oder bewegst du dich wieder grob in den Bereichen Augmented Reality oder Mensch-Maschine-Interaktion?

Es wird um Software gehen. Ich werde nicht anfangen, ein Auto zu bauen. Allerdings will ich dieses Mal wirklich Industrien verändern, ich will die Welt als einen anderen Ort zurücklassen. Ich will einen Fußabdruck hinterlassen. Ich habe eine Vision und will sehen, ob ich die Welt in Richtung der Vision beugen kann.

Fünf Startup-Projekte gleichzeitig zu verfolgen ist ziemlich anspruchsvoll. Wie schafft man das?

Die Fünf-Projekte-Phase dauert ja nur ungefähr ein Jahr. Das ist ein kreativer Prozess. Eine Weile lang programmiere ich nicht einmal, ich sammle einfach Ideen und schaue dann weiter. Ich brauche nur mich selbst. Wenn ich dann mein Haupt- und Nebenprojekt ausgesucht habe, laufen meine Tage immer gleich ab: Ich stehe um fünf Uhr morgens auf. Ich arbeite ein paar Stunden. Dann nehme ich den Zug (normalerweise siedle ich mein Startup nicht an meinem Wohnort an), wo ich eine weitere Stunde arbeiten kann. Im Büro arbeite ich den ganzen Tag am Hauptprojekt. Am Wochenende arbeite ich auch, von fünf Uhr bis neun Uhr, während der Rest meiner Familie noch schläft. Das ist ein sehr strukturierter Zeitplan, mit ein wenig Flexibilität, so dass ich fünf bis zehn Stunden pro Woche zusätzlich zu Startup A oder B verschieben kann, je nachdem, wo ich gebraucht werde. In der Summe arbeite ich pro Woche 15 bis 20 Stunden für das eine und 50 Stunden für das andere Startup.

Glaubst du, du wirst diesen Kreislauf immer weiter wiederholen können?

Für mich funktioniert das, ich fühle mich sehr wohl damit. Ich hoffe, den Kreislauf noch ein paar Mal machen zu können.

Dein mit Abstand erfolgreichstes Projekt war bisher Siri. Man kann schon sagen, dass du damit deinen Fußabdruck hinterlassen hast.

Ja. Ich bin auf vielerlei Weise stolz auf Siri. Ich glaube, Siri hat uns wirklich vorangebracht im Bezug auf die Vorstellung, wie es sein könnte, mit einem Computer zu interagieren. Dabei hatte ich die erste Version von Siri schon 1993 fertig, auf einem Tablet-PC, mit dem ich sprechen konnte. Ich konnte beinah all die Sachen machen, die später auf dem iPhone funktionierten: Emails schreiben, Kontakte pflegen, Kalender benutzen. Ich habe lange auf den richtigen Moment gewartet, um die Idee in die Welt zu setzen. Aber ich glaube, wenn ich es früher versucht hätte, wäre Siri gescheitert. Als das iPhone herauskam, war mir klar: Das würde Mobile revolutionieren. This was the real deal. Das war der richtige Zeitpunkt, um Siri als Unternehmen zu launchen.

Gibt’s da eine Regel? Woher weiß ich als Gründer, dass ein Moment der richtige ist?

Man muss schauen, wohin die Welt sich verändert, was die Trends sind. 2004, als das Internet zehn Jahre alt war, habe ich zehn Vorhersagen getroffen für die nächsten zehn Jahre. Meine besten drei Voraussagen habe ich direkt in die drei Firmen übersetzt: Bei Change.org war es der Boom sozialer Netzwerke, an den ich geglaubt habe, was 2004 eine ziemlich verrückte Idee war. Myspace gab es nicht, Facebook kannte keiner. Die zweite Vorhersage war: Die Cloud wird wichtig. Jeder würde einen mobiles Gerät mit einem Assistenten besitzen. Daraus wurde Siri. Nummer drei war der Aufstieg künstlicher Intelligenz im Big-Data-Bereich: Genetic Finance.

Wie stark beschäftigst du dich noch mit Siri?

Ich glaube, es gibt immer noch ein Riesenpotenzial für Siri. Es ist wie mit dem Web im Jahr 1994. Damals gab es nur statische Websiten, die Browser waren schlecht und alles war irgendwie hässlich. Aber man konnte das Potenzial schon erkennen, dass eines Tages E-Commerce und YouTube und so weiter entstehen würden. Siri hat dieses Potenzial noch vor sich. Viele Menschen erkennen das nicht.

Kann Apple das Potenzial ausschöpfen?

An diesem Punkt kann ich nur sagen: Ich hoffe es, ich hoffe es. Leider kann ich mich selbst nicht mehr darum kümmern. Ich liebe die Idee, das Produkt und das Team noch immer. Das war wie eine Familie für mich. Und ich bin ein Riesenfan. Ich benutze Siri jeden Tag, es macht mich glücklich. Und manchmal frustriert es mich, dann schicke ich Fehlerberichte an Apple. Ich versuche zu helfen, so viel ich kann.

Du bist also immer noch regelmäßig im Kontakt mit dem Team.

Ja. Jeder, der mal mit mir gearbeitet und eine Firmengründung erlebt hat, gehört lebenslang zu meiner Familie. Im Startup-Leben gibt es Hochs und Tiefs. Manchmal fühlt es sich wie Krieg an. Du sitzt Rücken an Rücken in einem Bunker und verteidigst einander. Aus Startups entstehen Verbindungen fürs Leben. Diese Leute werden immer meine Brüder und Schwestern sein.

Siri ist längst nicht mehr der einzige mobile Assistent, vor allem Google Now hat für Furore gesorgt. Was hältst du davon?

Ich habe Google Now nur ein paar Mal benutzt, weil ich nur ein iPhone besitze. Und ich mache mir Sorgen um den Datenschutz, weswegen ich viele meiner Systeme nicht damit verbinde. Dadurch kann Google auf weniger Daten als bei den meisten anderen Nutzern zurückgreifen. Bestimmte Features nötigen mir wirklich Respekt ab, vor allem das vorausschauende Handeln von Google Now. Wenn das funktioniert, ist es wie Magie. Wenn es nicht funktioniert, ist es nervig, wie Spam. Ein guter Assistent weiß, was du brauchst, bevor du überhaupt danach gefragt hast. Aber Google Now ist – wie Siri – noch ziemlich am Anfang. Es ist gut, dass Google so mutig war, es zu launchen und auszuprobieren. So lernt ein System, so wird es besser. Ich glaube, ich war immer etwas zu zögerlich und habe Siri nie zugetraut, wissen zu können, was der Nutzer will, bevor er danach fragt. Google weiß als Werbeunternehmen viel über den Nutzer. Apple ist ein Hardware-Unternehmen. Apple will nicht viel über dich wissen, dir nur genug Service bieten, um mehr Geräte verkaufen zu können.

Geht das eigentlich: Die Daten schützen und trotzdem vorausschauende Features nutzen zu können?

Ich glaube, ja. Die Schlüsselfrage ist: Kann man das System aufs Telefon bekommen? Denn wenn alles im Telefon lebt, wenn die Daten zu keiner anderen Firma gehen, dann geht das. Es ist dann mein Bereich. Heute ist die Technologie allerdings zu umfangreich für ein Telefon, deswegen laufen meisten Systeme in der Cloud. Und das heißt, dass Daten zu den Servern einer fremden Firma geschickt werden. Ich versuche immer noch, meine Balance zu finden zwischen Bequemlichkeit und Datenschutz. Jeder muss diese Entscheidung für sich selbst treffen.

Allerdings hat man nicht bei allen Diensten die Möglichkeit, diese Entscheidung selbst zu treffen.

Siri zum Beispiel speichert nur wenige Daten über dich auf Servern. Fast alles, was Siri über dich weiß, ist auf dem Telefon. Darunter leidet die Performance etwas. Wenn du also sagst: „Ruf meine Frau an!“, dann weiß Siri in der Cloud, wer da spricht und was du damit meinst. Aber es weiß nicht, wer deine Frau ist. Also muss das Telefon gefragt werden: Gibt es dort einen Kontakt mit dem Label „Ehefrau“? Jetzt erst kann der Befehl ausgeführt werden. Siri muss auf das Telefon für jedes bisschen persönliche Information zurückkommen. Zumindest haben wir das so gemacht, als ich bei Apple war. Ich kann nichts über Apples derzeitige oder zukünftige Produkte sagen.

Geht es dir eigentlich darum, die Welt zu verbessern? Ist das dein Antrieb?

Für meine drei ersten Startups hatte ich drei Kernbedürfnisse: Ich wollte die Welt verbessern, mit Change.org. Ich wollte viel Geld verdienen, um für meine Familie vorsorgen zu können. Dafür war Genetic Finance. Und ich wollte meiner Leidenschaft für Technologie nachgehen, das war Siri. Was wichtig ist: Man muss sich auf seine Kernbedürfnisse fokussieren. Vielleicht will man nur etwas erschaffen, sich ausdrücken und kreativ sein. Das ist ein ehrliches Bedürfnis. Oder man will wirklich Geld verdienen. Auch das ist ein Bedürfnis. Das hängt von den Menschen ab und von dem Lebensabschnitt, in dem man sich befindet. Es funktioniert aber nur, wenn es ein Kernbedürfnis gibt.

Noch ein letzter Rat für angehende Gründer?

Ich werde oft gefragt, ob ich etwas anders hätte machen wollen. Es gibt nur eine Sache: Ich hätte gern 20 Jahre früher begonnen. Weil die Startup-Phase die wertvollste Zeit war. Ich habe für große Unternehmen gearbeitet, in der Wissenschaft, für kleine Firmen, die anderen Menschen gehört haben – Gründer zu sein, ist etwas besonderes. Für mich gibt es nichts Vergleichbares. Ich glaube, Startups sind die größte engine of change in der Welt. Auch Konzerne beherrschen Innovation, aber sie können ihre Geschäftsmodell nicht drehen. Und Konzerne sind zu groß, um radikale Ideen zu verfolgen. Apple war vielleicht ein oder zwei Mal eine Ausnahme. Gründer müssen etwas Anderes, etwas Verrücktes machen. Denn das Offensichtliche kann ein großes Unternehmen besser. Dort gibt es mehr Ressourcen, mehr Leute. Und man darf nicht vergessen: Ein Gründer ist kein Forscher. Wissenschaftler können an einer verrückten Idee 20, 30 Jahre arbeiten, bekommen Geld, müssen nur ein paar Paper publizieren. Als Gründer muss du Finanzierungen besorgen. Du kannst die Tage zählen, bis du stirbst, bis dir das Geld ausgeht. Diese Kombination aus Fokus und Ambition, da gibt es nichts Vergleichbares.

Bild: Gründerszene