Auf dem Tisch liegen mehrere Lötkolben, Platinen und andere elektronische Bauteile. An den Wänden stehen dünne Glasscheiben samt Metallrahmen. Auf dem Boden in der Ecke findet sich ein noch halb gefüllter Kasten Welde-Pils No. 1. Andreas Widmann entschuldigt sich für die Unordnung. Dabei ist dies der ideale Platz für ein Startup-Unternehmen und dessen Kreativität. Früher hat der 26-jährige Tüftler einen Drahtbiegeroboter und eine digitale Wetterstation gebaut.

Dieser Beitrag erschien bereits am 6. Juli 2018. Da Road Ads bei der TV-Show „Die Höhle der Löwen“ teilnimmt, veröffentlichen wir ihn hier erneut.

Heute schraubt er große Lesebildschirme zusammen und verbindet sie mit einem GPS-Sender, einer WLAN-Antenne und ausgeklügelter Ansteuerungselektronik für die Signale. Manchmal brennt das Licht in dem Raum im Mannheimer Gründerzentrum Mafinex bis tief in die Nacht hinein. Nebenan im Büro kleben Dutzende gelbe Zettel an der Wand, darauf sind Firmennamen wie TUI, Nestlé oder DHL zu lesen. „Einige Unternehmen haben wir schon angesprochen“, sagt Widmann. Die anderen Namen folgen in den kommenden Wochen.

Werbung kann an die Position der Lkw angepasst werden

Wenn der studierte Biologe Widmann von seinen Heldentaten der vergangenen Monate erzählt, blitzen seine blauen Augen auf: Ein paar Tage ist er in einem Lieferwagen mit hohem Tempo über Feldwege gejagt, um die am Heck des Fahrzeugs angeschraubten Flachbildschirme auf Haltbarkeit zu testen.

Widmanns Firma Road Ads bringt Werbung auf die Hecktür eines Lastwagens. Die Werbebilder wechseln alle 30 Sekunden und werden bis auf fünf Meter genau an die Position des Fahrzeugs angepasst. Das ist der Clou: Auf der Lkw-Rückwand kann ein Autohof direkt auf den letzten Kilometern vor der Autobahnausfahrt darauf hinweisen, dass das Nudelgericht im Angebot ist oder eine Grillaktion stattfindet.

Die Raststätte kann sogar mit einem Rabatt werben, der mit einem Codewort aus der rollenden Werbedarstellung eingelöst wird: Kaffee zum halben Preis beim Stichwort „Bohne“. Selbst ein Heiratsantrag ist möglich. Die Technik setzt personalisierten Werbespots kaum Grenzen.

Das Potenzial dafür ist da. Rund drei Millionen Lkw sind in Deutschland zugelassen. Hinzu kommen ausländische Lastwagen. Jeden Tag rollen Hunderttausende Transportfahrzeuge auf den Autobahnen durch das Land. Als Werbung darauf existiert bislang nur Schrift auf der Plane oder am Heck.

Ein Dutzend Lkw mit digitalen Litfaßsäulen rollen schon

Doch in Zeiten der Digitalisierung sind ganz andere Werbeformen möglich. Online-Werbung bemächtigt sich fast aller Lebensbereiche – von den sozialen Medien bis zu Bildschirmen im Bahnhof. Und jetzt kommt die Straße mit ihren Fahrzeugen hinzu. Groß genug ist der Markt für die Außenwerbung allemal: Auf rund 1,3 Milliarden Euro Umsatz kamen die Außenwerber vergangenes Jahr, Tendenz steigend.

Ein Dutzend der rollenden digitalen Liftfaßsäulen sind für Road Ads derzeit unterwegs. Die Lkw fahren etwa auf den Strecken von Reutlingen nach Bremen oder von Stuttgart in das ungarische Budapest. Im Mittelgebirge Harz testet ein örtlicher Busbetrieb die Werbung. Die ersten Werbespots kommen von Autohöfen oder Lkw-Herstellern. In Österreich wirbt zum Beispiel der Fußballverein Rapid Wien auf den Lkw-Bildschirmen. Ende des Jahres werden es durch bereits abgeschlossene Verträge 30 Lkw-Züge sein, bis 2020 will Road Ads etwa 1000 Lastwagen mit der Werbetechnik ausstatten. In Europa gibt es bislang kein ähnliches Werbeobjekt.

Speditionen werden an den Werbeerlösen beteiligt

„Unser Projekt hat vor drei Jahren begonnen. Von Anfang an ist die ganze Familie mit dabei“, sagt Widmann. Gerade hat der 83-jährige Großvater, ein gelernter Schlosser, einen mobilen Kran aus Stahlprofilen gebaut, der mit einer Handkurbel funktioniert. Damit können der Enkel und dessen Mitarbeiter die Flachbildschirme an die hohen Lkw-Türen anschrauben. Widmanns Vater arbeitet in der Geschäftsleitung der Spedition LGI Logistics Group in Herrenberg in Baden-Württemberg.

Die ersten Lkw, die die neuartige Werbeform nutzen, stammen aus deren Fahrzeugflotte. Das Geschäftsmodell ist einfach: Road Ads montiert den Bildschirm, anschließend ist die Speditionsfirma an den Werbeerlösen beteiligt. Widmann nennt Anfangssummen zwischen 100 und 500 Euro im Monat. In dem mittelständisch geprägten deutschen Speditionsgewerbe kann dies für manchen Unternehmer eine willkommene Zusatzeinnahme sein.

Gesetzliche Hürden mussten überwunden werden

Widmanns Mutter schließlich hilft in der Buchführung und fährt schon mal einen Bildschirm im Pkw-Anhänger zum Kundentermin. Das Geld für die Gründungsphase stammt neben Fördermitteln zum Großteil aus der Familie. Ein Manager aus der Online-Werbung ist Teil des Gründerteams, eine Grafikerin und IT-Experten gehören zu den ersten Mitarbeitern. Widmann selbst macht gerade noch seinen Masterabschluss in Informatik.

Doch nicht alles klappt im ersten Anlauf.

Um die Technik auf der Straße zu testen, brauchte die junge Firma einen Lkw und einen Fahrer. Daimler war rasch als Sponsor der in einem Gründerwettbewerb ausgezeichneten Firma bereit, ein Fahrzeug zu stellen.

Und Widmann selbst wurde zum Trucker und machte den Lkw-Führerschein. „Ich musste allerdings die praktische Prüfung einmal wiederholen. Beim ersten Mal bin ich über einen Randstein gefahren“, gesteht er ein. Mittlerweile steht ein eigener Lkw – ein blauer Mercedes Actros, der bis 40 Tonnen Gesamtgewicht zugelassen ist – vor dem Firmengelände in Mannheim.

In den vergangenen Monaten galt es, viele gesetzliche Hürden zu nehmen. Schließlich beschränken die Gesetze die Werbung auf der Straße: Bewegte Bilder oder auch beleuchtete Bildschirme an Fahrzeugen sind in Deutschland verboten. Die Lösung, die Widmann für seine Firma gefunden hat, heißt E-Reader und kommt aus der Welt der digitalen Bücher.

Der Jungunternehmer hat vier jeweils 32 Zoll große Flachbildschirme des E-Paper-Herstellers Visionect zusammengefügt und synchronisiert. Die Geräte sind nicht beleuchtet. Vielmehr baut die Elektronik aus den Pixeln Schrift und Bild zusammen, die Darstellung erfolgt ausschließlich in Schwarz-Weiß.

Werbung ändert sich nur alle 30 Sekunden

Während der Fahrt bleiben die Werbebilder 30 Sekunden lang auf den Wänden zu sehen, danach wird das nächste Bild aufgespielt. Genau diesen Wechselrhythmus lässt die Straßenverkehrsordnung zu. Eine schnellere Abfolge könnte andere Fahrer ablenken und eine Gefahr bedeuten.

Weil Road Ads anfangs nicht genug Werbekunden für diese Frequenz hat, sind Kurznachrichten die Pausenfüller. Nach der Werbung folgt eine Nachricht von einem Newsticker, sei es ein Sportergebnis vom Fußball, eine News aus der Politik oder Klatsch und Tratsch aus der Welt der Promis.

Doch zunächst galt es, ganz praktische Herausforderungen zu bewältigen. Statt wie in seinem Studium im Labor der Heidelberger Universität an Proteinen und ein paar Tropfen Reinstwasser zu forschen, musste Jungunternehmer Widmann nun Brachialmethoden anwenden. „Per Dampfstrahler haben Techniker Wasser mit einem Druck von 100 Bar auf die Flachbildschirme gespritzt“, sagt Widmann.

Er musste herausfinden, ob seine Konstruktion absolut wasserdicht ist, sei es im Straßenverkehr oder in der Waschstraße. Zudem hat er auf Betriebshöfen beim Verladen von Paletten getestet, ob die Lkw-Türen mitsamt der Technik die Erschütterungen aushalten. Anschließend gab es Abnahmen und Stempel vom Technischen Überwachungsverein.

Zusammenarbeit mit Mediaagenturen wichtig

Speditionen äußern sich vorsichtig positiv zu der Neuheit. „Rechtlich muss die neue Werbeform absolut sicher sein und allen Gesetzesansprüchen genügen“, sagt Andreas Froschmayer, der Leiter der Konzernentwicklung und Strategie bei Dachser. Das Logistikunternehmen nutze seine Fahrzeuge jedoch bereits zur Imagewerbung für die eigene Marke.

„In Testregionen könnte ich mir dennoch vorstellen, digitale Werbung auszuprobieren“, sagt der Dachser-Manager. Ein großer Lkw sei immer ein Blickfang. „Bei einem interessanten Geschäftsmodell kann eine derartige Werbung durchaus erfolgreich sein“, sagt Froschmayer.

Wichtiger noch als die Speditionsfirmen dürften für Road Ads anfangs Unterstützer unter den Werbefirmen sein. Zwar können sich Kunden ihre Werbespots auf der Online-Seite der Mannheimer Firma selbst kreieren und in der gewünschten Region auf die Lastwagen senden. Doch an Großkunden mit landes- oder bundesweiten Werbekampagnen kommt Widmann nur über Vermittler und Agenturen heran.

Suche nach einem strategischen Investor

Die Werber bilden sich gerade eine Meinung dazu. „Um als neue Werbeform anzukommen, muss es darin einen echten Überraschungseffekt geben“, sagt Frederic Bollhorst, Geschäftsführer der Düsseldorfer Werbeagentur Kompassion. Digitale Werbung am Lkw könne zum Beispiel in einem Stau den Autofahrer dahinter direkt ansprechen – und zum Beispiel auf ein neues Automodell seiner Automarke hinweisen.

Technisch sei eine individualisierte Ansprache möglich. „Statische Werbung gibt es bereits. Rollende digitale Werbespots müssen darüber hinausgehen“, sagt Werbefachmann Bollhorst. Wenn Road Ads einen „Verblüffungseffekt“ und eine andere Form der Aufmerksamkeit biete, sei ein Erfolg denkbar.

Widmann sucht derweil Partner und Geldgeber für das Wachstum seiner kleinen Firma. Besonders begehrt wäre ein strategischer Investor, der Wissen aus der Werbevermarktung oder der Logistik mitbrächte. Auf der vergangenen IAA Nutzfahrzeuge in Hannover hat er bereits Firmenkontakte geknüpft.

Den blauen Lkw brauchte er für die Demonstration seiner Erfindung. Vor allem aber für die Nächte: Denn übernachtet hat er in der Kabine seines Lastwagens. Die Hotelpreise in der Stadt waren dem Jungunternehmer aus Baden-Württemberg viel zu hoch.

Bild: Youtube/ Road Ads

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de