Eine solche Szene hat es beim Deutschen Handelskongress, dem jährlichen Hochamt der großen und kleinen Kaufleute in Berlin, wohl noch nicht gegeben. Zum Thema Steuervermeidung befragt, geriet Ralf Kleber, Chef von Amazon Deutschland, auf offener Bühne ins Schleudern.

„Das ist ein schwieriges Thema, weil es so viele Aspekte hat“, druckste der sonst so beredte und selbstbe–wusste Manager auf eine Frage von Moderatorin Dunja Hayali herum. Es handele sich übrigens generell um eine „angeregte Diskussion“, die man „mit Spannung“ verfolge. Im Publikum höhnisches Gelächter, vereinzelt Pfiffe, knapp vorbei am Affront.

Die großen amerikanischen Tech-Konzerne und Steuertricks – das ist derzeit eines der Reizthemen der politischen Diskussion schlechthin. Amazon steckt mittendrin in der Debatte, deshalb eiert Kleber so herum. Doch es geht nicht nur um Gewinnsteuern. Es geht auch um Tariflöhne, Umsatzsteuern, Sonntagsöffnung und kontrollierte Produktsicherheit. Die Politik – sprich: die künftige Bundesregierung – müsse „fairen Wettbewerbs sicherstellen“, fasste Stefan Genth zusammen, der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE).

Der Erfolg des Online-Konzerns aus Seattle wird den Wettbewerbern allmählich unheimlich. Die Dynamik von Amazon, so fürchten immer mehr Händler, könnte ihre Geschäftsmodelle einfach überrollen. Ob Mode, frische Lebensmittel, technische Innovationen wie die elektronische Sprachassistentin Alexa, ob Fernsehserien, schnelle Zustellung oder das boomende Cloud-Geschäft – Amazon ist meist schon da, wo die anderen erst hinwollen. Oder auch nicht mehr hinwollen, weil es ihnen nicht rechtzeitig eingefallen und der Markt schon verteilt ist.

Die Plattformidee ist der Erfolgsfaktor von Amazon

Niemand würde es beim HDE, der den Kongress jährlich in Berlin veranstaltet, vor Publikum so ausdrücken, doch abends beim Bier klingt der Frust der Kaufleute ungefiltert durch. „Amazon treibt uns doch alle vor sich her“, sagt ein hochrangiger Manager eines Sportartikelhändlers. „Jedes Gespräch im Handel endet früher oder später mit dem Thema ,Amazon‘. Ich kann es nicht mehr hören.“

Er wird sich dennoch damit auseinandersetzen müssen. Viele Rivalen suchen intensiv nach Mitteln gegen den schnellen, effizienten Wettbewerber aus den USA. Doch der gewinnt weiter Marktanteile. Mittlerweile entfallen bereits 40 Prozent aller Online-Produktverkäufe in Deutschland auf Amazon, konstatierte Genth – „Tendenz steigend“. Man könnte auch sagen: deutlich steigend. Nach neuen Zahlen betrage der Anteil bereits 42 Prozent, sagt ein Verbandsvertreter.

Einer der wichtigsten Gründe für den Erfolg von Amazon ist die Funktion als Verkaufsplattform für außenstehende Anbieter. Wer größere Mengen verkaufen wolle, komme schon wegen der Marktmacht der Amerikaner in Deutschland und anderen Ländern an einer Listung im Vertriebskanal Amazon kaum vorbei. Dabei begebe er sich jedoch zugleich in Lebensgefahr, denn Amazon verfüge damit über alle relevanten Daten der Dritthändler. Wenn es dem Online-Konzern gefalle, könne er außenstehende Geschäftspartner leicht zeitweise unterbieten und das Geschäft an sich reißen.

Kaufleute suchen eigenen Weg der Digitalisierung

Etliche Kaufleute, darunter oft in der Region verankerte Familienunternehmen, schaffen es, sich dem Trend zu entziehen, und suchen ihren eigenen Weg in die Digitalisierung. Doch der Druck wächst. Deutlicher als bisher fordert der Handelsverband das ein, was er als „Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs“ bezeichnet.

Steuergerechtigkeit gegenüber internationalen Plattformen steht oben auf der Forderungsliste. „Die Politiker müssen dafür sorgen, dass die Online-Händler dieselben Steuern und Abgaben zahlen wie alle“, sagte HDE-Präsident Josef Sanktjohanser in Berlin, in erster Linie gemünzt auf Amazon. „Ohne Rechtsanpassungen werden wir im internationalen Wettbewerb nicht bestehen“, warnte der oberste deutsche Handelslobbyist.

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Neben gleichen Ertragssteuern müssten ausländische Online-Händler für Verkäufe über ihre Plattformen zuverlässig Umsatzsteuer abführen, konkretisierte Genth einen weiteren Punkt. Zudem müssten die Marktüberwachungsbehörden die Produktsicherheit von Waren in den Verteilzentren der Online-Händler kontrollieren können, ebenso wie es bei anderen Händlern und Importeuren der Fall sei.

Deshalb sollten die sogenannten Fulfillment-Center im Produktsicherheitsrecht mit Händlern und Importeuren gleichgestellt und dort auch wirksame behördliche Kontrollen ermöglicht werden, forderte Genth. Fulfillment-Center sind spezialisierte Logistikdienstleister, die die Ware nach der Bestellung beim Händler aus dem Ausland annehmen und an den Endkunden versenden.

Amazon kein Mitglied des Handelsverbands

Auch Forderungen nach tariflichen Konditionen für die Amazon-Beschäftigten sind regelmäßig zu hören – nicht nur von der Handelsgewerkschaft Ver.di. Herbe Kritik übte denn auch die frühere Bundesarbeitsministerin und gegenwärtige Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Andrea Nahles auf dem Kongress an dem Parvenu von der amerikanischen Westküste.

Firmen wie „Amazon und die anderen“ holten sich die besten Arbeitskräfte von den Märkten, seien aber nicht bereit, ihren Beitrag zu den Kosten der Ausbildung und Erziehung zu leisten. „Es gibt neue Monopole“, übertrieb sie, die wollten nicht nur beim Gewinn führend sein, sondern „die kommen auch noch mit Weltverbesserungslyrik daher“.

Vielleicht hatte Nahles dabei Klebers Vortrag im Sinn. Der Chef von Amazon Deutschland hatte sich damit gleichsam in die Höhle der Löwen begeben – er kennt die Kritik an seinem Arbeitgeber. Als Mitglied bleibt Amazon dem Handelsverband bislang fern.

Amazons Deutschlandchef wirbt für ein neues Mindset

Jeder müsse sich selbst fit machen für den Wandel, trug er vor. Es komme darauf an, vom „Nein zum Ja“ zu wechseln. „Wir müssen uns ein Mindset antrainieren, das uns mit Veränderungen positiv umgehen lässt“, sagte Kleber weiter und referierte einige der Methoden von Amazon, Mitarbeiterideen auf dem kürzesten Managementweg aufzugreifen und umzusetzen.

Einer der wichtigsten Grundsätze laute, Fehler als Bestandteil der Innovationskultur zu akzeptieren und Erfolgversprechendes auszuprobieren wie den Lebensmittellieferdienst Fresh, den Amazon in Deutschland derzeit im Raum Berlin/Potsdam, Hamburg und neuerdings München anbietet. „Wir versuchen, einen Mehrwert zu schaffen“, sagte Amazons Deutschland-Statthalter. „Wenn es geht, sind wir da, wenn nicht, sind wir weg.“ So einfach ist das. Und doch so schwierig.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

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