Am Montag hat AmazonGo in Seattle eröffnet.
Am Montag hat AmazonGo in Seattle eröffnet.

Es war eine Mischung aus Bewunderung und Skepsis, mit der die Eröffnung von AmazonGo in dieser Woche in der westlichen Welt verfolgt wurde. Bewunderung angesichts der Effizienz und der Technik, die einen Einkauf ohne merkbaren Bezahlvorgang ermöglicht. Skepsis ob der Tatsache, dass man kaum noch Arbeitskräfte in diesem Supermarkt sieht und auf Schritt und Tritt per Videokamera beobachtet wird. Hinter allen Reaktionen allerdings stand die Frage: Ist das der Supermarkt der Zukunft?

In China ist das keine Frage mehr. Während AmazonGo hierzulande und in den USA als sensationelle Neuheit betrachtet werden, ist man in der Volksrepublik hingegen schon mindestens einen Schritt weiter. In den dortigen Großstädten gibt es bereits mehrere Konzepte, die den Bezahlvorgang neu gedacht haben und teilweise schon in Serie gegangen sind. 

Ausgerechnet das chinesische Amazon-Pendant Alibaba eröffnete bereits im Juli des vergangenen Jahres einen Shop, in dem Kunden mit einer ähnlichen Methode zahlen wie bei AmazonGo. Im Tao Café-Shop in Hangzhou müssen Kunden am Eingang einen QR-Code auf ihrem Smartphone scannen, dann öffnet sich die Eingangstür. Im Laden können sie die Ware beliebig aus den Regalen nehmen, ohne sie scannen zu müssen. Der Weg hinaus führt durch spezielle Türen, die ein bisschen aussehen, wie die Körperscanner am Flughafen. Kaum steht man vor dem Laden, kann man die Rechnung auf dem Smartphone abrufen. 

Abgesehen davon gibt es in China die sogenannte Bingobox. Sie ist ein kleiner Container, in dem Kunden ihre Einkäufe ganz ohne Personal selbst abkassieren. Hier müssen sie die Ware zwar selbst an Kassenautomaten abrechnen. Allerdings ist es nicht nötig, mühsam jeden Scancode vor den Laser zu halten. Man legt die Ware einfach in eine Waage, die dann automatisch scannt. Ein Vorteil der Bingobox ist, dass sie mobil ist und mit einem Lastwagen an neue Standorte gebracht werden kann. In China gibt es bereits über 200 solcher Container, die Expansion auf andere asiatische Länder ist geplant. Laut Medienberichten denkt der Gründer der Bingoboxen gar an einen Export nach Europa. 

Nur weniger Tage vor der Eröffnung von AmazonGo hat Tencent, der Betreiber der App WeChat, zudem einen Pop-Up-Store in Shanghai eröffnet, der ebenfalls nach dem selben Prinzip funktioniert. Auch hier müssen die Kunden nichts einscannen. Bezahlt wird per WeChat, das ohnehin eine Payment-Funktion besitzt, die man auch in anderen Geschäften Chinas ganz alltäglich verwenden kann. „China ist im Vergleich zum Rest der Welt führend im Experimentieren mit unbemannten Shops, und hat sogar die USA hinter sich gelassen“, sagte Matthew Crabbe vom internationalen Marktforschungsunternehmen Mintel der South China Morning Post.

In Deutschland geht es dagegen deutlich vorsichtiger zu. Zwar sagt Simone Sauerwein, Handelsexpertin vom Kölner EHI Retail Institute, anlässlich der Eröffnung von Amazon Go: „Die Zeit des Testens ist vorbei.“ Doch was sie damit meint, ist in Relation zur Entwicklung in China kaum erwähnenswert. „Nach unseren Prognosen wird sich die Zahl der Märkte mit Self-Checkout-Systemen bis Mitte 2020 mindestens verdoppeln“, sagt sie. Derzeit sind nach Berechnungen des Instituts mehr als 3.000 Selbstbedienungskassen in 488 Läden im Einsatz.

Es gibt auch ganz grundsätzliche Zweifel, ob kassenlose Läden in Deutschland überhaupt Erfolg hätten. „Die Kunden in Deutschland suchen den Kontakt zum Personal, sodass ein komplett personalfreies Geschäft wie bei AmazonGo in den USA hierzulande schwer vorstellbar ist“, sagte Stefanie Nutzenberger, Mitglied im Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi, der Wirtschaftswoche. Es sei ein „nicht unerhebliche Investitionsrisiko“ für die Händler.

Auch die Menge an Daten, die AmazonGo von seinen Kunden sammelt, bereitet Verbraucherschützern in Deutschland Sorge. „Hier werden personenbezogene Daten erhoben“, sagte der Sprecher der Landesbeauftragten für Datenschutz NRW der Deutschen Presse-Agentur. Das sei in Nordrhein-Westfalen wenn überhaupt nur mit Einwilligung des Kunden möglich. Für Kunden müsse klar sein, welche Daten von wem, zu welchem Zweck, wo und wie lange gespeichert würden. „Bei einer so vollumfassenden Datenverarbeitung dürfte das nicht so einfach sein“, meinte der Sprecher.

Dass Läden wie AmazonGo zu mehr Arbeitslosigkeit führen, ist bislang noch offen. Laut einem Bericht von t3n braucht das Geschäft in Seattle deutlich mehr Personal als ein herkömmlicher Supermarkt ähnlicher Größe. In einer Schicht seien bei AmazonGo sieben bis zehn Mitarbeiter nötig, die frisches Essen zubereiten, Waren auffüllen und an der Personenschleuse aufpassen. Ein Geschäft mit üblichem Kassensystem und vergleichbarer Größe brauche demnach nur ein bis drei Mitarbeiter.


Bild: Getty Images / Stephen Brashear / Stringer