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amazon-inaktivitatsprotokollen-verdi „Inaktivitätsprotokoll“

Kurz vor Ostern will Ver.di den Versandhändler Amazon mit einer neuen Streikwelle unter Druck setzen. „Mit einem Streik am Freitag bei Amazon Leipzig werden wir pünktlich zu Beginn der Buchmesse eine neue Streikwelle starten, die das Ostergeschäft von Amazon beeinträchtigen wird“, sagte Stefan Najda, bei der Dienstleistungsgewerkschaft zuständig für den Versand- und Onlinehandel, der Welt. „Kunden, die rechtzeitig zu Ostern ihre Ware empfangen wollen, sollten frühzeitig bestellen oder auf Alternativen umsteigen“, so Najda.

Nächste Woche werde auch in anderen Amazon-Versandzentren gestreikt. Dann würden die Arbeitskämpfe in den Wochen vor Ostern wellenartig an anderen Standorten weitergehen. „Es wird eine Zuspitzung des Arbeitskampfes geben“, kündigte Najda an.

„Wir werden einen flexiblen Arbeitskampf starten, ohne dass wir jetzt schon sagen können, wann und wo der nächste Streik stattfindet. So werden wir die Abläufe bei Amazon durcheinanderbringen.“ Neben den Streik-Standorten Graben, Bad Hersfeld, Leipzig, Werne, Rheinberg und Koblenz komme nun ein siebter Standort hinzu.

Amazon: Streiks bringen Ostergeschäft nicht in Gefahr

Amazon reagierte jedoch gelassen auf die Anfrage, ob erneute Streiks das Ostergeschäft beeinträchtigen würden. „Wir sagen unseren Kunden zu, dass ihre Waren pünktlich ankommen werden“, sagte Sprecherin Anette Nachbar. Auch während der Streiks vor Weihnachten habe es keine Beschwerden gegeben.

„Wir nutzen unser gesamtes europäisches Netz mit 28 Standorten, damit die Kunden sicher ihre Ware bekommen“, so Nachbar. Das bezweifelt Ver.di wiederum: „Natürlich haben unsere Streiks Auswirkungen auf die Liefergarantie von Amazon“, so Najda. „Wir haben Testkäufe gemacht vor Weihnachten, die verspätet ankamen.“

Amazon leite in der Tat Bestellungen in die Lager nach Polen und Tschechien um, aber ihm zufolge kann das keine dauerhafte Strategie für Amazon sein. „Die Lager sind primär für die Expansion in Osteuropa bestimmt, sie sind eigentlich auch zu weit weg vom deutschen Markt.“

Erbitterter Kampf um Tarifvertrag für Amazon Deutschland

Diese neue Streikwelle vor Ostern ist ein weiteres Kapitel in dem bereits schon seit zwei Jahren andauernden Arbeitskampf von Ver.di bei Amazon. Die Gewerkschaft will, dass der Online-Händler einen Tarifvertrag mit ihr abschließt, das US-amerikanische Unternehmen lehnt das nach wie vor ab.

Dabei stellt Ver.di Arbeitsbedingungen in den Vordergrund, die der Gewerkschaft zufolge inakzeptabel sind: Wie etwa die standardisierten Arbeitsabläufe, weite Laufstrecken, Druck und Arbeitshetze.

Vorwürfe, Amazon beute seine Beschäftigten aus, weist das Unternehmen jedoch immer wieder zurück und untermauert seine Verteidigung mit Zahlen. „Mitarbeiter in den deutschen Logistikzentren verdienen sehr wettbewerbsfähige Löhne“, heißt es auf der Website.

Anfänger starten danach mit einem Stundenlohn von durchschnittlich 10,09 Euro brutto, der nach zwei Jahren auf 12,69 Euro steigen könne. Nebenleistungen wie Boni, Sonderzahlungen, Belegschaftsaktien und Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung kämen hinzu. Alles in allem verdienten Mitarbeiter mit zwei Jahren Berufserfahrung im Schnitt 2265 Euro brutto.

Amazon gibt sich unbeeindruckt

Für Ver.di ist der Kampf bei Amazon um einen Tarifvertrag auch ein symbolischer Kampf. In der Einzelhandelsbranche sinkt die Tarifbindung seit Jahren, das schmälert auch die Bedeutung der Gewerkschaft.

Langfristig geht es um die Durchsetzung des deutschen Tarifmodells in einer Branche, in der Marktführer Amazon immer weitere Anteile erobert. Denn nach wie vor wächst der Online-Handel in Deutschland mit zweistelligen Jahresraten, während die Umsätze in den Geschäften vor Ort nahe der Stagnationsmarke dümpeln.

„Amazon hat im Einzelhandel eine zentrale Schlüsselfunktion. Wir werden 2015 definitiv noch mehr Gas geben“, kündigt Najda an. Doch bei Amazon stoßen die Aktionen – zumindest nach außen hin und offiziell – auf Granit. „Wir arbeiten mit unseren Betriebsräten zusammen, das funktioniert für uns gut“, sagt Nachbar. Eine dritte Partei will das Unternehmen nicht mit im Boot haben.

Mitarbeiter mit Minutenprotokollen unter Druck gesetzt?

Ver.di-Mann Najda berichtet, dass Amazon nun verstärkt gegen Mitarbeiter vorgehe, die sich bei Ver.di organisierten und an den Streiks teilnähmen. „Es werden gezielt gewerkschaftsnahe Kollegen angegangen.“ Amazon weist den Vorwurf zurück. Najda zufolge würden Mitarbeiter mit „Inaktivitätsprotokollen“ unter Druck gesetzt.

Wer bei Amazon im Lager arbeitet, trägt einen Handscanner mit sich herum, über den die Vorgesetzten seine Tätigkeiten genau nachverfolgen können. Mitarbeiter seien vermehrt zu Gesprächen gebeten worden, in denen ihnen vorgeworfen worden sei, ein paar Minuten lang „inaktiv“ gewesen zu sein.

Damit habe der „Mitarbeiter seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung verletzt“, steht in dem Schreiben, das der Welt vorliegt und das Ver.di zufolge einem Amazon-Mitarbeiter vorgelegt worden ist.

„Die Unterbrechung der Arbeit hätte in diesen Fällen (teilweise eine Unterbrechung von einer Minute) jeweils dem Manager angezeigt werden müssen“, heißt es in dem vorliegenden Protokoll. „Amazon will die gewerkschaftsnahen Mitarbeiter auf diesem Wege einschüchtern“, sagt Najda. Das Unternehmen beteuert, es könne zu diesen Vorwürfen nichts sagen, weil der genaue Standort nicht genannt werde.

Ver.di zufolge ist dies ein von München aus gesteuertes Massenphänomen, das sich nicht auf einen Standort beschränke. „Wir wissen davon nichts“, sagt die Amazon-Sprecherin. Das Unternehmen lege großen Wert auf den respektvollen Umgang mit seinen Mitarbeitern.

Rechtsstreit zwischen Ver.di und Amazon wegen Abmahnungen

Najda zufolge geht Amazon auch besonders auf Ver.di-nahe Kollegen zu und legt ihnen nahe, das Unternehmen zu verlassen. Jedes Jahr im Februar gebe es das Angebot für Mitarbeiter, die schon einige Jahre dabei seien, mit einer Abfindung den Arbeitsvertrag aufzuheben.

Besonders Ver.di-nahe Mitarbeiter würden dann unter Druck gesetzt, diese anzunehmen, sagt Najda. Auch dazu sagt Amazon, ohne weitere Nennung von Details sei es dem Unternehmen unmöglich, den Vorwürfen nachzugehen.

Weiter beschuldigt Ver.di Amazon, private Facebook-Profile von Mitarbeitern danach zu scannen, ob sich die Mitarbeiter dort negativ über Amazon äußern, und dann Abmahnungen an diese Kollegen zu verschicken.

Der Amazon-Sprecherin sei nur ein Fall bekannt, bei dem ein Mitarbeiter auf Facebook einen Kollegen wüst beschimpft habe. Ver.di und Amazon befinden sich bereits im Rechtsstreit wegen solcher Abmahnungen. „Wir merken, dass die Schüsse gegen uns schärfer werden“, sagt Najda.

Ver.di signalisiert langen Atem, bei Ikea waren es sechs Jahre

Ver.di zufolge ist der Kampf nicht vergeblich, obwohl Amazon sich noch keinen Zentimeter in Richtung Verhandlungstisch bewegt hat. „Unsere Kollegen wissen, dass das ein mittel- bis langfristiger Arbeitskampf ist“, sagt Najda. Man habe schon „Phänomenales“ erreicht.

Am Anfang habe es Lagerhallen ohne Klimaanlagen gegeben, kein selbst gekochtes Essen, keine Wasserspender, die Pausenräume seien sehr weit weg gewesen vom Arbeitsplatz. Diese Missstände seien behoben worden.

„Diese Verbesserungen hätte es ohne den Einsatz der Beschäftigten für einen Tarifvertrag sicherlich nicht gegeben“, betonte Najda. Löhne und Arbeitsbedingungen werden aber nach wie vor einseitig und willkürlich festgelegt, können jederzeit verschlechtert werden, es gibt für die Beschäftigten keine Sicherheit und Verlässlichkeit.

Er setzt jetzt erst einmal auf die Streiks. Der Organisationsgrad sei ausreichend: Im Schnitt seien 25 Prozent der Mitarbeiter organisiert. An manchen Standorten seien es 50 Prozent. Vor Weihnachten hätten pro Streiktag 2500 Beschäftigte teilgenommen. „Das stört schon erheblich den Ablauf, auch wenn Amazon das dementiert“, ist sich der Ver.di-Mann sicher. „Wir halten das noch länger aus.“

Ver.di hat sich schon lange auf ein zähes Ringen eingestellt. „Wenn wir nach zwei Jahren nicht weitergekommen sind, gehen wir eben ins dritte Jahr“, sagte Ver.di-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger der Welt im vergangenen Frühjahr.

Die Gewerkschaft stehe nicht zum ersten Mal ein jahrelanges Tauziehen durch. So habe sie bei Ikea sechs Jahre gekämpft und am Ende die Tarifbindung beim schwedischen Möbelriesen durchgesetzt.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Welt.

Bild: Die Welt