Sie ist eine Art Tausendsassa. Anabel Ternès gründete nicht nur das Crowd-Logistik-Startup CoCarrier, sie leitet auch den Therapie-Vermittler Psychologio sowie das dahinterstehende Gesundheits-Startup HealthMedo. Daneben ist Ternès als Professorin an der SRH Hochschule Berlin tätig und in vielen weiteren Rollen und Bereichen aktiv. Nicht nur in der Startupszene. Zum Jahreswechsel haben wir die 45-Jährige gebeten, aufzuschreiben, was sie 2017 bewegt hat – und was ihre Prognosen für 2018 sind.

Applaus, Applaus: Welche Gründer haben dich im vergangenen Jahr am meisten beeindruckt und warum?

Zum einen Thomas Bachem von der Code University. Er zeigt nicht nur, wie ein Studium aussehen kann, in dem man effizient Kompetenzen erarbeitet, die man in Zukunft wirklich braucht. Sondern auch wie man Hochschule neu und zeitgemäß denkt.

Beeindruckt haben mich auch Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal von N26, die ihr Management-Team sinnvoll ausgebaut haben, mit starker Expansionsstrategie solide gewachsen sind und mit ihrer Produktentwicklung und ihrer beeindruckenden Investorenakquise überzeugen. Schließlich machen für mich Felix Schäfer und Kai Hock von Bürgerwerke.de mit ihrem Engagement vor, wie man bundesweit Menschen mit erneuerbarem Bürgerstrom aus Solar-, Wind- und Wasserkraft versorgt. 500.000 Euro Einwerbung durch Crowdfunding spricht für die Unterstützung aus der Basis.

Trial and Error: Aus welchen Fehlern hast du im letzten Jahr gelernt?

Ein Minimum Viable Product (MVP) als Anfang ist sehr gut, der Absprung vom MVP zum vollwertigen Produkt ist aber nicht immer einfach und muss gut geplant werden. Ich habe auch gelernt, dass mitarbeiterfreundliche Arbeitszeitregelungen mitdenkende Mitarbeiter mit Eigenverantwortung verlangen.

Krypto-Boom: Wo steht der Bitcoin heute in einem Jahr?

Die Bitcoin-Rakete hat enorm an Fahrt aufgenommen. Man könnte hier von Blasenbildung unken und darauf verweisen, dass die Währung weder richtig anerkannt noch umweltfreundlich ist (der weltweite Verbrauch für die Bitcoin-Währung entspricht fast dem Stromverbrauch der gesamten dänischen Volkswirtschaft) und viele Spieler ihr Geld investieren. Andererseits: Mittlerweile haben hier neben den Facebook-Mitgründern weitere Menschen viel Geld investiert. Und die versuchen jetzt, die allgemeine Akzeptanz zu fördern und die Preise nach oben zu treiben, weil sie auf keinen Fall ihren Einsatz verlieren wollen. Deshalb: Wenn eine Talfahrt kommt, dauert das noch – das nächste Jahr wird sicher erst einmal einen weiteren Höhenflug bedeuten. Und: Die Technologie der Blockchain wird bleiben und noch viele weitere Anwendungen finden.

Next Big Thing: Welches Tech-Unternehmen ist der heißeste Börsen-Kandidat für 2018?

Im amerikanischen Markt ist es sicher Stripe – das 2010 gegründete Tech-Unternehmen ist mittlerweile in mehr als 25 Ländern tätig. Es bietet die Möglichkeit, Zahlungen über das Internet zu akzeptieren und kümmert sich dabei auch um Themen wie Betrugsprävention, technische und Bankinfrastruktur. In Deutschland ist der Möbel-Shopping-Club Westwing mit seinen mehr als 1.500 Mitarbeitern für mich ein starker Kandidat.

Großes Krabbeln: Wird man in einem Jahr Insekten-Burger bei McDonald’s essen können?

Bei McDonalds sicher nicht – schon der Salat zählt dort nicht zu den Topsellern. Auch wenn Insekten mancherorts als Delikatesse gelten: In vielen Ländern, darunter Deutschland, ist das nicht so. Nicht ohne Grund gehören Insekten zu den Ekelprüfungen im Dschungelcamp. Selbst Versuche aus den letzten Jahren, in asiatischen Ländern entsprechende Fast-Food-Ketten zu etablieren, gelten als gescheitert. Dabei stehen die Menschen dort Insekten in ihrer Nahrung eigentlich offener gegenüber.

Roboter als Fahrer: Werden uns Taxis bis Ende 2018 fahrerlos herumkutschieren?

Das 2017 vom Bundestag beschlossene Gesetz, das den Einsatz computergesteuerter Autos in Deutschland regelt, würde die aktuellen Pläne von Daimler und Bosch dazu nur im Ansatz abdecken. Zwar sind in dem Gesetz Regelungen zum vollautomatisierten Fahren enthalten. Von der Erlaubnis für einen flächendeckenden autonomen Betrieb von Autos, die zum Beispiel ohne Lenkrad oder ohne Kontrolle der Insassen fahren dürfen, ist hier allerdings nicht die Rede. Vom Fahren auf der Teststrecke bis zum flächendeckenden Einsatz ist es noch ein weiter Weg mit rechtlichen, ethischen aber auch technischen Hürden

Gründer-TV: Welche Ideen und welche Investoren würdest du in der Vox-Show „Die Höhle der Löwen“ beim nächsten Mal gerne sehen?

Meine Idee wäre Regiothek. Das Startup aus Passau bietet Kunden auf einer Plattform nachhaltig hergestellte Lebensmittel aus der Umgebung an. Als Investoren in der Show könnte ich mir Peter Thiel, Oliver Samwer oder Robert Lacher vorstellen.

Bild: Anabel Ternès

Digitale Helfer: Auf welche App willst du 2018 auf keinen Fall verzichten?

Invoice2go. Die App für Rechnungen ist auch hilfreich, wenn man schnell Dokumente, Gutschriften, Rechnungen und Angebote erstellen und per Email als PDF versenden möchte. Mit der Workday App lässt sich einiges von unterwegs erledigen und vereinfachen: Ausgabenberichte ansehen, bestätigen, ablegen, Zeitpläne und Urlaubsanträge erstellen und bearbeiten, außerdem Formulare zum Einstellen von Personal, Kündigungen, Bestellungen und Forderungen editieren.

Schreibtisch-Lektüre: Welches Buch sollten Gründer 2018 unbedingt lesen?

„Sprint: Wie man in nur fünf Tagen Ideen testet und Probleme löst“ von Jake Knapp, John Zeratsky und Braden Kowitz. Sprint ist eine Vorgehensweise, die bei und für Google erfunden wurde. Seitdem wurde sie schon bei vielen Unternehmen unterschiedlichster Größe durchgeführt. Sie eignet sich auch, um komplexe Fragestellungen zu lösen. „Das Handbuch für Startups“ von Steve Blank, Bob Dorf, Nils Högsdal und Daniel Bartel kann ich auch empfehlen. Das Buch gilt in den USA als eine Art Standardwerk. Hier werden der Lean-Ansatz, Prinzipien des Customer Development, Konzepte wie Design Thinking und (Rapid) Prototyping zu einem Modell verbunden.

Was darf’s sein? Welche Wünsche hast du an die Politik?

Die beste Startup-Förderung ist eine Politik, die innovationsfreundlich ist und das zentrale Ziel hat, Deutschland zu einem Hotspot der Digitalisierung zu machen. Dazu gehören unter anderem Investitionen in die digitale, Startup-, Wirtschafts- und Unternehmerbildung von Kindern an Schulen, die Beschleunigung von Behördenvorgängen bei Unternehmensgründungen, eine geringere Besteuerung von Mitarbeiter-Optionen auf Startup-Anteile und die Erleichterung von Börsengängen, zum Beispiel durch einen weniger aufwändigen Prospekt und Bafin-Billigungsprozess.

Höher, schneller, weiter! Wie sehen eure Wachstumspläne derzeit aus?

Bei CoCarrier wachsen wir horizontal mit neuen Angeboten – wir erweitern unser Portfolio mit CoCarrier City für innerstädtische Fahrten, dem Overnight-Parcel-Service für Übernacht-Kurierlieferungen und mit einem Preisvergleichportal. Bei HealthMedo setzen wir mit Psychologio auf natürliches Wachstum. Unsere Service-Angebote für Psychotherapie, für Patienten und Therapeuten, haben sich in den letzten Monaten sehr gut entwickelt. Der Bedarf ist hoch und auf der Basis von wissenschaftlichen Studien optimieren und ergänzen wir unsere Service-Palette kontinuierlich, darunter zu Rückfallprophylaxe für Depressiv Erkrankte.

Einhörner, an die Arbeit! Welches nervige Alltagsproblem hat bisher noch kein Startup gelöst?

Ein Kombigerät zur Messung von Temperatur, Blutdruck, Insulin und allem, was zuhause ohne Arzt oder Krankenschwester gemessen werden kann, wäre wünschenswert. Ein solches Gerät müsste die Daten per Freigabe über eine Cloud zum Beispiel an den behandelnden Arzt weiterleiten, damit dieser die Werte besser überwachen und im Notfall direkt handeln kann.

Bild: Anabel Ternès