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Hendrik Lesser: Vom Philosophie-Student zum Spiele-Chef

Wer hätte gewusst, dass der aktuelle Rovio-Millionenerfolg Angry Birds Epic eigentlich aus Deutschland kommt? Die Idee und Umsetzung stammen vom Entwicklernetzwerk Remote Control Productions (rcp) aus München. CEO Hendrik Lesser war früher Gamer und hat sein Hobby vor 15 Jahren zum Beruf gemacht. Vor zehn Jahren gründete er rcp. Heute beschäftigt er sich mit dem Entwickeln und Vermarkten von Computerspielen. Insgesamt zehn Entwicklerstudios basteln für rcp in einer Art Inkubator-Modell an eigenen oder Auftragsprojekten. Das derzeit 125-köpfige Netzwerk soll bis Ende des Jahres auf bis zu 170 Leute anwachsen. Hendrik Lesser im Interview.

Du bist seit 15 Jahren im Geschäft. Wie kam es zur Gründung von rcp?

Ich habe mein Studium der Philosophie bei den Jesuiten für ein Praktikum bei Take 2 Interactive [Anm.d.Red.: vertreibt unter anderem über die Tochter Rockstar Games die Spiele-Reihe GTA] abgebrochen. Am Ende war ich dort Teil des internationalen Produkt-Strategieteams und konnte Triple-A-Luft schnuppern. Danach, 2005, habe ich als Freelancer gearbeitet und anschließend rcp gegründet. Mein Geschäftspartner stellte die Finanzierung auf und ich die Idee: Make better games. Und dann hat es sich immer weiter entwickelt – und jetzt plötzlich haben wir Zehnjähriges. (lacht)

Kommt es dir noch nicht so lange her vor?

Nein. Es ist extrem viel passiert. Ich habe mich unter anderem von meinem Partner getrennt, da ich unsere kleine Consultant-Sales-Agent-Boutique als nicht nachhaltig empfand. Und so haben wir unser Know-how für neue Teams eingesetzt, die zu uns kamen mit den Worten: ‚Wir wollen etwas machen – haben aber keinen blassen Schimmer von Business.‘ Dann gründeten wir unser eigenes Studio Chimera Entertainment, das auch den aktuellen Titel Angry Birds Epic entwickelte, der gerade 50 Millionen Installs in weniger als sechs Monaten erreichte. Das Spiel haben wir uns ausgedacht und Rovio kam dann auf uns zu, ob wir das nicht mit Angry Birds Epic machen wollen.

Wie sieht so eine Zusammenarbeit normalerweise aus?

Die an uns angeschlossenen Studios überlegen sich Spiele – meist in einer Konzeptform, teilweise bereits mit Fake-Grafiken – und danach fragen wir Publisher, ob sie das machen wollen. In den seltensten Fällen wollen sie das machen, was wir vorschlagen. Aber sie lassen sich davon inspieren und wollen dann etwas ähnliches. Bei Rovio war es so, dass wir das Konzept gezeigt haben – und ein Jahr später haben wir den Deal gesigned. Das ist schon wirklich sehr lang, normal sind Zeiträume von drei bis neun Monaten. Wir sind zudem Shareholder unserer Studios und haben daher ein ganz anderes nachhaltiges Interesse. Das verstehen auch die Publisher und wir haben etwas geschaffen, was unseres Wissens nach einmalig ist in der Welt: Wir haben einen Business-Inkubator, der in das Thema Games sehr stark reingeht und die Produktion teilweise leitet, unterstützt und die Leute ausbildet.

Ihr besitzt mittlerweile zehn Studios?

Genau. Alle sind an uns drangehängt. Und an allen zehn ist rcp beteiligt.

Aber ihr seid nicht immer Mehrheitseigner?

Wir sind sogar in den seltensten Fällen Mehrheitseigner, denn wir sind eher Guides und Supporter. Aus der Familienanalogie übertragen bin ich der Vater, aber die Studios sind alle schon mindestens in der Pubertät. Und natürlich machen sie nicht das, was ich sage, ich kann sie maximal begleiten. Wir helfen ihnen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Geht ihr auf diese Studios zu oder kommen sie zu euch?

In neun von zehn Fällen kommen sie auf uns zu. Wir sind das größte Netzwerk in Europa und machen das seit über zehn Jahren. Meine Kollegen sind in der Branche überall aktiv. Ich bin im Vorstand des deutschen und europäischen Entwicklerverbandes. Und wir haben Erfahrunge mit normalen Startup-Angels, wie zum Beispiel Christophe Maire oder Martin Sinner. Das gibt uns eine gute Reputation. Zudem sind wir kein VC, der weiß, dass eine Menge seiner Unternehmen floppen werden, sondern wir stehen für mittel- und langfristige Nachhaltigkeit.

Ihr habt viele Spiele im iOS-Bereich, gerade aber im gehypten Mobile-Bereich dürfte es schwer abzuschätzen sein, wie nachhaltig eine Unternehmung ist.

Wir verstehen uns nicht als iOS-, Android- oder Mobile-Netzwerk, sondern wir haben schon alle Plattformen bedient. Als wir vor zehn Jahren anfingen, waren wir noch auf dem PC und der Konsole. Derzeit sind wir aber auch wieder mehr beim PC, beispielsweise kommt Anfang März ein Spiel auf der Spieleplattform Steam heraus, das den Kickstarter- und Early-Access-Weg gegangen ist.

Bitte wenden – hier geht’s zur zweiten Seite: Gewinnverteilung und Marktentwicklung

Bild: Hendrik Lesser, Remote Control Productions

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Von welchem Spiel sprichst du?

Son of Nor. Es ist deshalb spannend, weil es viele neue Technologien unterstützt – von Oculus Rift über Eye Tracking bis hin zu Gehirnwellen-Analyse. Wir sind zudem kurz davor, ein PlayStation-4-Spiel zu veröffentlichen. Das wird allerdings kein Triple-A-Titel – das ist der einzige Bereich, den wir nicht machen.

Warum?

Vor ein paar Jahren gab es weltweit 300 bis 400 Studios, die Triple-A gemacht haben. Heute gibt es 25. Es ist einfach zu kompetitiv und teuer. Aber der Bereich wird auf keinen Fall verschwinden und es wird nicht nur Free2play-Mobile-Spiele geben.

Fokussiert ihr euch denn auf Free2play?

Wir sind komplett neutral, was Business-Modelle angeht. Wir haben Free2play, wir haben Premium, wir haben proprietäre Sachen, wir haben Ad-based und wir haben Charity. Seit letztem Jahr machen wir neben Unterhaltungsspielen unter dem Label GAMIFY now! auch noch Serious Games, Gamification und Game Based Training. Wir schauen, dass die Teams nach einem Projekt ein neues Projekt bekommen. Wir setzen also nicht alles auf eine Karte.

Dennoch hört der Support oder die Feature-Entwicklung für ein Spiel ja nicht mit dem Release auf.

Exakt. Wir haben ein Live-Team, das etwa Bugs entfernt, das das Spiel mit einfacherem Content oder wenn notwendig auch mit komplett neuen Features aufwertet. Bei Angry Birds Epic hatten wir beispielsweise erst fünf Monate nach Release ein PVP-Feature.

Wie sieht es bei diesem Entwickler-Publisher-Konstrukt mit der Gewinnverteilung aus?

Dass der Entwickler auch nach dem Release noch an dem Spiel sitzt, hat zu einer Angleichung der Machtverhältnisse zwischen Publishern und Developern geführt. Früher war das ganz radikal, da hat dir der Publisher eine Million Euro gegeben und du hast 20 Prozent Royaltys gekriegt. Der Publisher sah die Million als Vorschuss. Wenn er also fünf Millionen gemacht hat, gab es für jeden weiteren Euro 20 Cent. Durch die Service-Agreements ist es heute etwas anders. Wir bekommen normalerweise eine Live-Fee, das heißt, das Team wird weiterhin bezahlt, während das Spiel bereits live ist. Eine Million Euro werden eingespielt und danach gibt es einen Share. Man muss allerdings beachten, dass man auch Apple und Co noch etwas abdrücken muss. Früher zu Browserspiele-Zeiten war das sogar noch extremer.

Wie muss man sich dein Tagesgeschäft vorstellen?

Ich bin stark im Biz Dev involviert und klassisch Geschäftsführer. Die meiste Zeit kostet aber meine Rolle als Chef-Producer. Ich trete in den Projekten als Executive Producer auf und habe die letzte Qualitätssicherungs-Verantwortung. Ich bin also sehr früh und gegen Ende in den Projekten eingebunden.

Juckt es dir nicht häufiger in den Fingern, noch aktiver in der Entwicklung dabei zu sein? Und fällt es dir schwer, Verantwortung abzugeben?

Wir machen wirklich viele Projekte pro Jahr, also muss ich natürlich auch viel Verantwortung abgeben. Die Zeiten, wo ich ins Micro-Management gehe, sind längst vorbei. Ich suche mir noch maximal drei Projekte pro Jahr heraus, auf die ich dann wirklich mehr gucke.

Ihr seid seit zehn Jahren dabei. Was glaubst du, wie sich der Markt weiter entwickeln wird? Wie lange wird Mobile noch dominant bleiben? Oder kommen jetzt Oculus Rift und Co?

Wir hatten gerade erst zusammen mit einem Kunden Occulust Rift getestet. Von drei Testern ist einem schlecht geworden. Virtual Reality (VR) ist spannend, aber es ist nicht das erste Mal, dass VR um die Ecke kommt. Die Geräte werden zwar kleiner, aber die alten Probleme bleiben bestehen. Ich glaube nicht an das Allheilmittel VR. Der Mobile-Markt konsolidiert sich stärker. Aber die Zeit des Aufbruchs und dass viele kleine Entwickler etwas erreichen können ist definitiv vorbei. Auch die Konsolen werden nicht verschwinden. Letzten Endes ist es wie die Jahre zuvor auch: Gaming wird immer größer, die Umsätze wachsen, die Spieleranzahl wächst und lediglich das Spektrum wird erweitert.

Den Klassiker, PC, hast du absichtlich außen vor gelassen?

Ja, weil es eine so müßige Diskussion ist. Der PC ist natürlich nicht tot und er wird immer da bleiben. Alleine wenn man auf Steam schaut, sieht man, wie aktiv die Entwicklerlandschaft ist. Dort gibt es 60 Millionen Nutzer. Ich selbst bin dort jeden zweiten Tag. Der PC ist die offenste und sich am schnellsten entwickelnde Plattform, die es gibt. Da kommt auch Apple nicht mit, wenn sie ihre Geräte einmal jährlich marginal verbessern. Ich habe auch unwirtschaftlich ein Problem mit Apple, wenn ich mir anschaue, wie restriktiv sie sind und beispielsweise Spiele, die nicht unkontrovers sind, einfach aus dem App Store knallen. Das passiert ständig und deshalb ist es auch gut, dass es eine offene Plattform wie den PC gibt.

Hendrik, danke für das Gespräch.

Bild: Hendrik Lesser, Remote Control Productions