Apple Shares Take A Beating On Wall Street

Dieser Auszug stammt aus dem Buch „Apple intern – Drei Jahre in der Europa-Zentrale des Technologie-Multis“ von Daniela Kickl und ist im Verlag edition a erschienen. Kickl arbeitete mehrere Jahre im Europa-Hauptquartier des Tech-Konzerns Apple. In diesem Buch beschreibt sie die Arbeitszustände in dem Unternehmen. 

Freitag, 22. Mai 2015, Cork, Hollyhell

Ich habe keine Freude mehr daran, hier zu sein. Ich habe keine Freude mehr daran, in der Früh auf den leeren Floor zu gehen. Ich bemerke auch erste Auswirkungen auf mein Privatleben. Ich halte die Kinder kaum noch aus. Bisher habe ich ihre extrovertierte Art immer geliebt. Weil sie so sind, wie ich. Überschwänglich, laut, lebenslustig. Ich ertrage das derzeit kaum.

Dann schimpfe ich mit ihnen, auch wenn sie es gar nicht verdient haben. Später entschuldige ich mich dafür. Sie verstehen es und haben sogar Mitleid mit ihrer Mami. Sex mit Sweetheart findet auch nur noch selten statt. Ich habe einfach keine Lust mehr oder bin einfach nur müde.

Ich bemühe mich weiter um jeden Kunden und bekomme weiterhin von fast allen nur hervorragende Rückmeldung. Egal ob Mann oder Frau, ob alt oder jung, sie lieben mich. Mats kann ich dennoch nichts recht machen. Es ist egal, wie viele gute Rückmeldungen ich bekomme, irgendetwas passt dann doch nicht. Zum Beispiel, wenn ich eine E-Mail mit „Herzliche Grüße aus Cork/Irland“ statt mit „Mit freundlichen Grüßen“ beende.

Ich habe mir angewöhnt, meinen Anrufern bei jeder Gelegenheit zu erzählen, dass ich hier im Apple European Headquarter in Irland sitze. Das beeindruckt sie. Es gefällt ihnen. So plaudern wir immer ein wenig und die Kunden bekommen, was sie sich insgeheim wünschen. Das kleine bisschen Extra, das kleine bisschen Wohlfühlen. Das Entrinnen aus ihrer Welt für ein paar wenige Minuten.

Mitarbeiter verschwunden

Mats akzeptiert meine Argumente nicht. Ich mache es trotzdem weiter so. Vorschriften sind schön und gut, aber zu viele von ihnen zerstören Kreativität und Innovation. Wenigstens einen Rest davon versuche ich mir zu bewahren. Nicht nur am Papier, wie Mats, wie scheinbar ganz Apple.

Roman, der kleine, lustige Südtiroler, ist mit seiner griechischen Frau in deren Heimat abgeflogen. Sie lassen sich von ihrer Familie, die in der Nähe von Athen lebt, erst einmal aufpäppeln. Kulinarisch wie emotional. Roman hat Glück, doch für mich bleibt ein herber Verlust. Der Platz zu meiner Linken ist seitdem verwaist.

Vergil ist auch noch immer verschwunden. Seine lustigen Figuren fristen ein nutzloses Dasein in der Schachtel unter seinem Tisch, in die sie damals Oliver gesteckt hat. Keiner weiß etwas, keiner hat Informationen über seinen Zustand. Ich frage mich manchmal, ob er noch lebt.

Lu kommt seine gutmütige Gelassenheit allmählich abhanden. Auch er hat das alles satt hier. Beinahe jeden Anruf transferiert er mit irgendeiner fadenscheinigen Begründung in eine andere Abteilung. Seine Kreativität dabei ist erstaunlich. Den Preis der Selbsterniedrigung durch vermeintliche Überforderung mit meiner Aufgabe wäre ich allerdings nicht zu zahlen bereit.

Ich funktioniere genau umgekehrt. Vor allem der Stolz auf mein fachliches Wissen und mein Vorsatz, immer das Beste zu geben, helfen mir, die sinnlose Monotonie des Apple-Arbeitsalltags zu überstehen. Beide Stützen muss ich behalten, denn es sind wichtige Bestandteile von mir selbst.

Die Hoffnung, dass es besser wird

Lu hat sich für die Abteilung Customer Relations beworben. In der Hoffnung, dass es dort besser wird. Oder, wie er es formuliert hat: Wir treiben hier hilflos im Meer, Customer Relations sieht zumindest aus der Ferne wie ein Rettungsboot aus. Diese Abteilung sitzt unten im Büro in der Stadt, am Lavitt’s Quay. Wenn er den Job bekommt, und davon ist auszugehen, ist auch noch mein Arbeits-Ehemann weg.

Es wird sich aber ohnedies einiges ändern, denn heute übersiedeln wir. Schon wieder. Schaffen die es nicht, etwas langfristiger zu planen? Vielleicht ist das ja auch Teil ihrer Strategie. Wir sollen uns nicht eingewöhnen, nicht wohlfühlen. Wir sollen keine Freundschaften mit unseren Nachbarn schließen.

Wenn die wüssten, dass Lu mein Arbeits-Ehemann ist, hätten sie uns vielleicht längst geschieden. So etwas lenkt nur von der Arbeit ab, und wer von der Arbeit abgelenkt ist, verursacht schlechte Zahlen.

Beim letzten Teammeeting haben wir versucht, aus Mats den neuen Sitzplan herauszubekommen. Keine Chance. Er meinte nur, dass wir nicht mitreden können. Business needs.

Ich wandte ein, dass sich Wissenschaftler und gute Manager seit Jahrzehnten mit Führungs- und Motivationstheorien auseinandersetzen, und dass eine dieser Theorien besagt, dass Mitarbeiter immer dann in Entscheidungen einzubeziehen sind, wenn es um ihr eigenes Arbeitsumfeld geht. Weil sich das positiv auf ihre Motivation auswirkt.

Keine Kompetenz

Mats wusste nicht, wovon ich spreche. Hätte mich auch gewundert. Deshalb schickte ich ihm einen Link zu diesem Thema. Er antwortete nie darauf. Bestimmt las er sie gar nicht. Wozu auch. Er hätte keine Kompetenz gehabt, etwas zu ändern.

Mit jeder Stunde, die ich vor meinem Tisch sitze und auf das Klingeln eines neuen Anrufs warte, verliere ich mehr von meiner Lust an diesem Job, am Arbeiten überhaupt, ja, eigentlich an so ziemlich allem. Ich versuche nicht einmal mehr, es mir selbst lustig zu machen.

Die einzigen, die mich noch aufrichten, sind meine Kunden. Die können nichts dafür, dass wir hier so behandelt werden. Gerade habe ich einen netten jungen Mann am Telefon. Er erzählt mir, dass sein iMac und der Router nicht mehr miteinander kommunizieren. „Wo steht denn der Router?“, frage ich ihn. „Beim Opa im Keller“, sagt er. „Wirklich? Dein Opa wohnt im Keller und der Router steht auch dort?“, frage ich nach.

Bild:Gettyimages / Andrew Burton / Staff


apple-campus
Mileta, der offenbar zugehört hat, zaubert in Sekundenschnelle ein Foto von Jerry Stiller alias Arthur Spooner auf sein iPhone und hält es mir vor die Nase. Ach ja, Arthur Spooner, der Schwiegervater von Doug Heffernan in der Serie „King of Queens“. Der muss sein Dasein auch im Keller fristen. Ich erzähle dem Kunden von dem Bild. Die nächsten Minuten verbringen wir mit dem Austausch der witzigsten Szenen mit Arthur Spooner.

Glücklicherweise stellt sich heraus, dass sich tatsächlich nur der Router im Keller befindet und Opa das Erdgeschoss bewohnt. Der junge Mann selbst wohnt mit seiner Freundin im ersten Stock. Ich bin regelrecht erleichtert.

Irgendwie war das ein perfektes Gespräch. Ich konnte den Router zum iMac verbinden, habe also das Problem gelöst. Zusätzlich haben der junge Mann und ich gemeinsam gelacht.

Was gibt es Schöneres, als jemanden zum Lachen zu bringen? Genau diese Momente lassen mich das alles hier dann doch aushalten. Noch zumindest.

Nur noch das Notwendigste

Mats kommt bei jedem Advisor vorbei und bringt den Umzugskarton und die Zettel, die wir schon kennen. Lu und ich verfallen in regelrechte Depression. Denn eines wissen wir bestimmt: Wir werden nicht mehr nebeneinandersitzen. Zumindest das konnte Lu in Erfahrung bringen.

Ich leere meinen Rollcontainer. Das schaffe ich problemlos neben den Telefonaten. Außerdem ist nicht mehr viel drin. Seit dem Tag, an dem ich alles wegen des hohen Besuchs entfernen musste, habe ich nur noch das Notwendigste am Platz.

Es ist eine halbe Stunde vor Schichtende. Jede Schicht hat die letzten zehn Minuten als Offline-Zeit im Plan. In der kann ich die E-Mails lesen oder sonstige administrative Arbeiten erledigen.

Von Mileta habe ich einen Trick gelernt. Spare deine acht Minuten Klozeit bis zum Ende der Schicht auf. Die steht uns zu und wir können sie auch gesammelt am Ende der Schichtnehmen. Am besten vor der Offline-Zeit. Das erlaubt es uns, den Laden insgesamt schon 18 Minuten vor Dienstende dichtzumachen. Auf die Toilette gehen wir dann eben während der Pausen oder illegal, während wir in anderen AUX-Codes sind.

Ein schwerer Rüffel

Ich mache das jetzt immer so. Mats hat mich einmal erwischt, als ich während einer Online-Trainingseinheit illegal fünf Minuten weg war. Schneller geht es nicht, seitdem der Weg zum Klo so weit ist. Ich bekam dafür einen schweren Rüffel.

Seitdem habe ich eine andere Lösung gefunden. Unsere Systeme sind insgesamt ein wenig instabil. So ergibt es sich von Zeit zu Zeit, dass ich meinen iMac neu starten muss. Als ich bemerkte, wie lange unsere veralteten Modelle für so einen Neustart brauchen, machte ich mir diese Tatsache zunutze. Ich gehe seither jedes Mal auf die Toilette, während der iMac neu startet. iSAVE registriert nichts, der Manager bekommt nichts mit und ich kann ja schließlich nichts dafür, dass sie uns antike Mistkisten als Arbeitsgeräte zugedacht haben.

Fuck the system, sozusagen.

Es sind noch 30 Minuten bis zum Ende der Schicht. Ich wechsle in den AUX-Code für Training. 12 Minuten scheinen mir passend für den Umzug. Lu macht es genauso und wir räumen freudlos unsere Kartons ein.

Ich habe doch noch mehr Zeug auf meinem Platz, als ich gedacht hatte. Lu packt seine Mixel sorgsam in die Box, damit sie nicht auseinanderfallen. Ich gebe ihm ein paar meiner Taschentücher, um sie einzupacken. Er behandelt sie fast wie Porzellan.

„Was macht Ihr da?“

Mats kommt angelaufen. „Was macht ihr da?“ Er deutet auf unsere Kartons. „Wir packen unsere Sachen. Du hattest doch gesagt, dass wir zum Schichtende fertig sein müssen. Also machen wir das jetzt.“

„Ich habe gesagt, dass ihr heute fertig sein müsst. Aber nicht bis zum Schichtende. Ihr geht sofort zurück ans Telefon und packt nachher.“ Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Es ist 15.09 Uhr. Um 15.30 Uhr ist Schluss. „Ich packe diese Kartons sicher nicht in meiner Freizeit“, sage ich. „Ihr wollt, dass ich umziehe, nicht ich. Also, Mats, ich packe meine Sachen entweder in der Arbeitszeit oder gar nicht. Dann kannst du es selber machen, wenn du es willst. Aber ich werde keine einzige Sekunde länger hierbleiben, als es mein Dienstplan vorsieht.“

Einmal mehr ist meine Antwort laut ausgefallen, zu laut. Für Mats wird der Fall dadurch anscheinend zur Ehrensache. „Ihr schaltet euch beide sofort auf available. Wenn nicht, tue ich das für euch und das hat dann Konsequenzen.“

Lu setzt sich schweigend vor seinen iMac und tut, wie ihm geheißen. Ich fühle mich irgendwie eingeschnürt und bekomme kaum Luft. Ich versuche, ruhig und tief ein- und auszuatmen und nehme den nächsten Anruf entgegen. Ich halte mich kurz und stelle mich so dumm wie möglich. Habe ich von Lu gelernt.

Jetzt kann er mich mal

Um 15.14 Uhr ist der Anruf erledigt. Ich schalte auf Klozeit. Jetzt kann er mich mal, der gute Mats. Jetzt hat er nichts mehr gegen mich in der Hand. Ich packe die verbliebenen Sachen. Mileta wirft mir ein Klebeband zu, damit ich die Zettel dran machen kann. Um Punkt 15.30 Uhr melde ich mich ab und verlasse gemeinsam mit Lu schnellen Schrittes das Büro. Mats ist demonstrativ in seinen iMac vertieft und antwortet nicht, als Lu ihm ein schönes Wochenende wünscht.

Danach stehen Lu und ich noch miteinander im Raucherunterstand. Zitternd zünde ich mir eine Zigarette an. „Glaubst du eigentlich, dass es nur hier in Irland so ist, oder ist es überall bei Apple so?“, frage ich ihn. „Ich würde meine Sachen jederzeit auch außerhalb der regulären Arbeitszeit einräumen, wenn die mich anders behandeln würden. Eine Firma, die meine Klozeit auf acht Minuten pro Tag beschränkt und die Schuld für alles, was jemals mit einem iMac schiefgelaufen ist, bei mir sucht, braucht sich nicht zu wundern, wenn ich keine einzige Sekunde meiner Freizeit für sie opfern will.“

„Dass die keinen Sinn für den Umgang mit Mitarbeitern haben, wissen wir nicht erst seit heute“, sagt Lu.

„Ernsthaft, Lu, was meinst du? Ist das nur hier auf der Teufelsinsel so? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Apple überall so agiert. Da werden doch alle trübsinnig.“

„Ich kann schweigen“

Lu sieht mich mit verschwörerischer Miene an. „Dazu kann ich dir etwas sagen, aber das hast du nicht von mir, okay?“

„Ich kann schweigen, das weißt du.“

„Ich habe das von Mileta. Er meinte, ich solle einmal ›Ben Farrell Apple‹ bei Google eingeben. Das habe ich getan. Mehr sage ich dazu nicht. Sieh es dir selber an.“

„Wo genau arbeitet er denn, dieser Ben Farrell? In den USA?“

„Er war in Australien. Hat nach zwei Jahren gekündigt. Scheint egal zu sein, wo auf der Welt du für Apple arbeitest. Aber lies es in aller Ruhe selbst.“

Ich tippe den Namen an Ort und Stelle in mein iPhone. Gleich der erste Artikel, den Onkel Google findet, ist ein Blog-
eintrag mit dem Titel „I Quit: What Really goes on at Apple“. Ich überfliege den Artikel kurz. „Sehr gut geschrieben. Nicht schlecht, Ben Farrell“, murmle ich. „Genauso ist es. Zuerst lullen sie dich mit dem großen Namen ein, dem iCult wie er es nennt, und dann behandeln sie dich, als wärst du kein Mensch.“

Lu sieht mich mit traurigen Augen an. „Meine letzte Hoffnung ist Customer Relations. Unten am Lavitt’s Quay soll es angeblich etwas besser sein. Ich werde es jedenfalls bald wissen.“

„Ich kann dir nur wünschen, dass du den Job bekommst“, sage ich. „Schlimmer als hier kann es ja auch kaum werden.“

Zum Abschied drücken wir einander. Dabei muss ich an ein Plakat denken, das ich einmal in der Wiener U-Bahnstation Schottenring gesehen habe. „Tierversuche – für Menschen sinnlos“ stand darauf. Abgebildet waren zwei gequälte, einbandagierte Äffchen, die sich in ihrer Verzweiflung darüber, was ihnen Forscher im Namen der Wissenschaft antun, aneinander kuscheln.

Cover_Apple_internDieser Auszug stammt aus dem Buch „Apple intern – Drei Jahre in der Europa-Zentrale des Technologie-Multis“ von Daniela Kickl und ist im Verlag edition a erschienen. Kickl arbeitete mehrere Jahre im Europa-Hauptquartier des Tech-Konzerns Apple. In diesem Buch beschreibt sie die Arbeitszustände in dem Unternehmen.

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