Steve
Ist die Pasta auch al dente? Steve hat ein Auge drauf

Eigentlich ist dieser Teil von Neapel tot. Gestorben irgendwann Ende der siebziger Jahre. Gemeinsam mit einer Fabrik, in der Tomatensoße für ganz Italien verpackt wurde. Hier arbeiteten einst Frauen aus dem Vorort San Giovanni a Teduccio. Ihre Männer verdienten derweil ihr Geld im nahe gelegenen Hafen Neapels. Doch mit der Schließung der Fabrik und vieler Hafenbetriebe ging es bergab in dieser Gegend. Und nie wieder richtig bergauf. 

In den Straßen des Viertels verkaufen heute fliegende Händler spärliches Obst und Gemüse unter freiem Himmel, viele Häuser sind nicht mehr bewohnbar und müssten eigentlich abgerissen werden. Die Wäscheleinen hängen hier längst nicht so malerisch über den engen Straßen wie in den etwas besser gestellten Vierteln der Stadt. Hier riecht es nach bitterer Armut. Doch hinter einer Ecke erscheint völlig überraschend ein imposanter Neubau, der ein bisschen wie ein modernistisches Einkaufszentrum aussieht. Bewaffnete Wachleute achten penibel darauf, wer das Gelände betritt.

Uni-Campus 1
Rechts Hochglanz, hinter der Mauer Lokalkolorit 

Ausgerechnet in diesem Viertel hat der italienische Staat mit Geldern der EU und sowie mit dem US-Tech-Konzern Apple ein neues Institut der Universität Federico II gebaut. 200 Studenten sind bereits da und lernen, wie man Apps für Apples mobiles Betriebssystem iOS mit Hilfe der Programmiersprache Swift entwickelt. Sogar Apple-CEO Tim Cook kam im Januar zur Vorstellung der Pläne für die iOS Developer Academy in diese dunkle Ecke Neapels und lobte den Unternehmergeist der Stadt, der etwas verschüttet zu sein scheint.

Warum also Neapel? In der Apple-Sprache klingt das so: „Wir haben eine Stadt gesucht, in der wir den Unterschied machen können.“ 

Die erste europäische Einrichtung dieser Art zog jedenfalls von Anfang an sehr viel Interesse auf sich. Mehr als 4.000 Bewerbungen seien für die ersten Kurse, die neun Monate dauern, eingegangen, heißt es von der Universitätsleitung. Derzeit lernen hier 200 Studenten aus aller Welt, in den kommenden drei Jahren sollen mehr als 1.000 Entwickler und Gründer an ihren Projekten arbeiten und studieren.

In einem großen Raum sitzen die Studenten an runden Tischen und widmen sich in Teams ihren Aufgaben. Apple war bei der Gestaltung dieser Räumlichkeiten federführend. Deshalb sieht es hier nicht nach Seminarraum oder Klassenzimmer aus. Und das soll es auch auf keinen Fall sein. Den Professoren ist wichtig, dass die Studenten an „wirklichen Problemen“ arbeiten. Wirkliche Probleme, die mit Hilfe von Apps und Smartphones gelöst werden können.

Studenten
Im Kreis sitzen, an „richtigen Problemen“ arbeiten

Die Studenten sollen Ideen für neue Apps entwickeln, die sie dann im Team zu einem funktionierenden Produkt machen. So kann jeder seine Expertise und seine persönlichen Ideen einbringen. Wenn es mal hakt, dann stehen die Professoren wie eine Art Coach zur Seite und helfen weiter. Wenn alle merken, dass Wissen fehlt, um die Aufgabe zu lösen, gibt es schon mal ein paar Stunden Frontalunterricht, damit es anschließend weitergehen kann.

Am Ende des Kurses steht im besten Fall eine selbstentwickelte App, die ihren Weg in den App-Store finden soll. Es geht in diesem Lehrgang aber nicht nur um die technische Seite. Auch Wissen über Marketing, Businessfragen und Design soll vermittelt werden. Einige Studenten verfügen lediglich über Grundkenntnisse im Programmieren. Aber der Test für die Aufnahme in diese Akademie fragt auch logisches Denken und Kreativität ab. Man muss also kein fertiger Programmierer sein, um hier aufgenommen zu werden.

Apple bringt nicht nur Geld in dieses Projekt ein. Auch die Gestaltung der Einrichtung und technische Ausstattung der Räumlichkeiten hat der Konzern übernommen. Jeder Student und jede Studentin erhält außerdem ein iPad, ein Macbook und ein iPhone zum Start. Das kostenlose Programm ist weltweit offen für Bewerber und auch ein Stipendium für die Lebenshaltungskosten ist möglich. Apple hat hier nach eigener Aussage ein Multi-Millionen-Investment getätigt. Über genaue Summen will man nicht sprechen.

Neapel Hafen
Im alten Hafen gibt es Nudeln mit Muscheln

In einem Konferenzraum berichten Studenten aus aller Welt von ihren Erfahrungen. Nein, man fühle sich nicht als Produktdesigner für den Digital-Konzern aus Cupertino. Das erworbene Wissen könne man genau so gut auf das Betriebssystem Android übertragen, berichten sie. Die enge Verknüpfung der wertvollsten Firma der Welt mit dem akademischen Lehrbetrieb bereite ihnen keine Kopfschmerzen. Auch das Lehrpersonal habe damit kein Problem, heißt es.

Statt traditioneller Wissensvermittlung, wie sie in Universitäten üblich ist, soll in Neapel ein neuer Weg beschritten werden. Es geht um mehr Praxis, mehr Teamwork und persönliche Verantwortung. Weg von der Frontalvorlesung. Dass das Spaß macht, kann man durchaus sehen. Auch wenn einige Studenten die Seminare nach alter Manier dann und wann vermissen. Es summt und wuselt. Die Studenten finden sich in immer neuen Teams zusammen und beratschlagen gemeinsam, wie ihr Produkt zu verbessern sei.

Einige Ideen, die vorgestellt werden, sind nicht neu. Darunter sind zum Beispiel eine Park-App, die es für die Neapolitaner einfacher machen soll, freie Parkplätze zu finden. Ein anderes Team will Freizeitsportler per Smartphone zusammenbringen. Aber die Probleme, die bei der Entwicklungen dieser Produkte zu bewältigen sind, bringen trotzdem wichtige Erfahrungen. Ein Team arbeitet an einer App, die gemeinsames Brainstorming einfacher machen soll. Die erste Version des Produktes sieht schon sehr professionell aus und funktioniert. Einige Studenten haben vor, ihre App-Idee als Startup nach dem Studium weiter zu betreiben.

Vesuv
Über allem thront der Vesuv

Für die Studenten bietet die Stadt Neapel viele Vorteile. Auch wenn sie derzeit wie der Süden Italiens insgesamt mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat. Arbeitsplätze sind rar. Der Monatsverdienst niedrig, im Schnitt bei 1.200 Euro. In der Stadt kann man aber sehr günstig leben. Eine gute Pizza gibt es für fünf Euro, der Espresso ist Weltklasse und kostet einen Euro. Die Menschen sind freundlich und aufgeschlossen – und das Wetter ist ein Traum für jeden Nordeuropäer. Um die Ecke liegt die Insel Capri, Strände sind leicht zu erreichen und man hat aus vielen Teilen der wunderschönen Stadt einen atemberaubenden Blick auf den Vesuv.

Leine
Neapel: echte Stadt, keine Hollywood-Kulisse

Einige Studenten aus den Niederlanden, Mexiko oder Osteuropa wohnen gleich hier im Viertel in der Nähe der Universität. Sie freuen sich über die hohe Lebensqualität, trotz des heruntergekommenen Straßenbildes. Keine Frage, in der Nachbarschaft wird sich einiges ändern in den kommenden Jahren. Die Bevölkerung soll laut Apple und Institutsleitung nichts dagegen haben. Man lege Wert auf einen offenen Campus und außerdem seien Veranstaltungen für die Neapolitaner zugänglich. Die gut gesicherte Zufahrt sei nur eine Vorsichtsmaßnahme, heißt es.

Für Apple ist dieses Investment auf akademischer Ebene auf alle Fälle ein Gewinn. Man führt junge, fähige Menschen an seine Produkte heran und zeigt ihnen, wie man damit als Entwickler Geld verdienen kann. Vielleicht kommt nebenbei ein Hit für den eigenen App-Store heraus. Hier wird jedenfalls kein Student die Uni verlassen und ein schlechtes Wort über Apple verlieren. Für die Stadt Neapel und die italienische Regierung ist die Zusammenarbeit auch ein Gewinn. Neben der guten Ausbildung für junge Italiener im Tech-Bereich bekommt ein ganzer Stadtteil die Chance zur Erneuerung. Vielleicht als künftiger Startup-Hub Italiens?

iOS-Cafe
Hinter der Schranke lockt das iOS-Café

Allerdings hat man in San Giovanni a Teduccio ganz plötzlich den Wert der verfallenen Infrastruktur entdeckt. Einige ziemlich ramponierte Gebäude, die dem weiteren Ausbau des Campus im Wege sind, stehen plötzlich unter Denkmalschutz. Man ist nicht überall aufgeschlossen gegenüber den neuen Entwicklungen. Der Taxifahrer auf dem Weg zurück in die City erzählt mit Händen und Füßen, dass er und seine Kollegen die Konkurrenz von Uber nicht auf die neapolitanischen Straßen lassen werden.

Aber gleich gegenüber vom neuen Campus der nagelneuen Universität sieht man schon die ersten Veränderungen im Straßenbild. Hier hat zum Beispiel ein kleiner Shop für Smartphones und Technik aufgemacht. Und gleich daneben sind drei oder vier Lunch-Lokale entstanden. Es ist rammelvoll zur Mittagszeit. In einer Trattoria hängt ein großes Schwarz-Weiß-Foto von Steve Jobs im Hinterzimmer. Der Laden heißt „iOS-Café“.

Bilder: Frank Schmiechen (6) / Apple (1)