Patent-Trolle in ihrer natürlichen Umgebung

Es soll die Kommunikation zwischen Computern sicherer und effizienter machen – das virtuelle private Netzwerk (VPN). Beschrieben wird die Technik im US-Patent Nummer 6502135B1 – 1999 wurde es angemeldet. Mittlerweile gibt es effizientere Techniken zum Aufbau einer VPN-Verbindung. Dennoch muss Apple 625,6 Millionen Dollar für ihre Nutzung zahlen, wenn es nach dem Willen einer Jury des Distrikt-Gerichts im texanischen Städtchen Tyler geht.

Patent Nummer 6502135B1 gehört zu einem ganzen Strauß an Patenten, die von dem US-Patentverwerter VirnetX gehalten werden. VirnetX verklagt seit mehreren Jahren diverse High-Tech-Unternehmen auf Schadensersatz von jeweils mehreren hundert Millionen Dollar.

Jeder Gewinn vor Gericht zahlt direkt aus

Neben Apple legte sich die Firma aus Nevada auch bereits mit Branchen-Riesen wie Microsoft oder Cisco an. Apple soll mit der Facetime-Videotelefonie-Funktion und mit der iMessage-Chat-Funktion seiner iPhones insgesamt vier VirnetX-Patente verletzt haben.

Für den Konzern ist die Schlappe vor der Jury in Texas bereits Teil einer Wiedervorlage einer Klage, die erstmals 2012 entschieden wurde. Damals sprach ein Gericht in Texas VirnetX 368,2 Millionen Dollar zu. Die Entscheidung über die Höhe der Entschädigung wurde vergangenes Jahr von einem US-Berufungsgericht zur erneuten Entscheidung an die texanischen Laienrichter zurückgegeben, nachdem VirnetX noch weitere Patente in den Fall einbezog.

VirnetX legt es darauf an, so viel Geld wie möglich aus seinem intellektuellen Eigentum zu melken, und scheut dabei vor Gericht auch große Gegner nicht. Gegen Cisco verlor die Firma bereits einen großen Fall, und klagte prompt erneut. Jeder Gewinn vor Gericht zahlt sich für die VirnetX direkt aus, denn die Firma ist an der Börse notiert. Und der Kurs ihrer Aktien bestimmt sich allein danach, wie die diversen Gerichtsprozesse gegen die IT-Riesen laufen.

VirnetX hat keine Fabrik, beschäftigt keine Arbeiter

VirnetX ist nicht die einzige kleine Firma mit einem großen Patentportfolio. Die Klagen der sogenannten Patent-Trolle beschäftigen seit Jahren die US-Tech-Konzerne und ihre Anwälte. Die Methode der Patent-Trolle ist immer dieselbe: Ihre Anwälte versuchen, ein älteres Software-Patent so weit wie möglich zu interpretieren, um aktuelle Produkte unter ihren Bann zu bringen.

Patente sind ursprünglich dazu gedacht, eine innovative Firma vor der Konkurrenz zu schützen. Sie sorgen dafür, dass Investitionen in die Entwicklung neuer Produkte sich lohnen, indem sie unlizenzierte Kopien dieser Produkte illegal machen. Doch was, wenn der Patenteigner gar nicht selbst Produkte herstellt?

VirnetX gehört zur Kategorie der sogenannten nicht-praktizierenden Firmen (non-practising Entities, NPEs) – das Unternehmen stellt selbst keinerlei Smartphones oder Netzwerk-Geräte her, es besitzt keine Fabrik, beschäftigt keine Arbeiter.

Der Firmensitz ist ein kleines Bürogebäude im winzigen Örtchen Zephyr Cove am Ufer des azurblauen Lake Tahoe, direkt hinter der Feuerwache und neben dem lokalen Beauty-Salon. Zephyr Cove ist vor allem für den Zugang zum See bekannt, das Örtchen ist im Sommer bei Touristen aus dem benachbarten Kalifornien sehr beliebt. Zephyr Cove ist ein Ort, an dem selbst Business-Meetings angenehm sein können – für die Pausen führt ein einfacher Fußweg an einen wunderschönen Sandstrand. Weitere Hightech-Firmen sind hier nicht angesiedelt.

Klagen mittels Patenten über für die CIA entwickelte Technologie

VirnetX ist ein bemerkenswerter Patenttroll, da das Management sich zur Mehrzahl aus Ex-Managern der „Science Applications International Corporation“ (SAIC) rekrutiert. SAIC sitzt nicht an den Ufern des Lake Tahoe, sondern in San Diego, Kalifornien.

Das Unternehmen ist geheimnisumrankt, und stellt ebenfalls keine eigenen Produkte her. SAIC gehört laut einem Portrait von „Vanity Fair“ zu den fünf größten Auftragnehmern der US-Regierung überhaupt – zugleich ist er einer der unauffälligsten.

Seine über 40.000 Angestellten sind darauf spezialisiert, Technologie für das US-Militär und insbesondere die US-Geheimdienste zu entwickeln. Sie rekrutieren sich zu einem Gutteil aus den Reihen von US-Sicherheitsbehörden wie der NSA und der CIA, über die Hälfte von ihnen haben eine Sicherheitsfreigabe für Regierungsgeheimnisse der höchsten Stufe.

Aus ihrer Beschäftigung resultieren auch die Patente über Netzwerksicherheit, die nun Apple Probleme bereiten. SAIC hat gegen Lizenzgebühr die Rechte an diversen Patenten zur Netzwerk-Sicherheit an VirnetX übertragen. Apple wird augenscheinlich mittels Patenten über für die CIA entwickelte Technologie verklagt. Welche monetären Verbindungen darüber hinaus zwischen SAIC und VirnetX existieren, und inwieweit SAIC oder seine Manager Aktien von VirnetX halten, ist nicht bekannt.

Bild: GettYimages/Jose Azel

Patent-Trolle in ihrer natürlichen Umgebung

Anwälte wedeln mit Originaldokumenten

VirnetX beschäftigt vor Ort nur ein paar Verkäufer, die die Lizenzen des Patent-Portfolios vertreiben. Die wahre Arbeit erledigen die drei texanischen Anwälte Jason Cassady, Brad Caldwell und Austin Curry von der kleinen texanischen Kanzlei Caldwell Cassady & Curry, die VirnetX effizient vor den texanischen Distrikt-Gerichten vertreten.

Die drei haben viel zu tun, da texanische Jurys bei Patentverwertern sehr beliebt sind: „Da sitzen zwölf Laien aus Marshall, Texas, auf der Jury-Bank, und vor ihnen wedelt ein junger smarter Anwalt mit einem Patent herum – möglichst mit dem Originaldokument, auf dem ein beeindruckendes Siegel des US-Patentamts klebt“, erklärt Thomas Adam, Patentrechtsexperte der internationalen Kanzlei Simmons & Simmons.

„Diese Laien sollen dann nachvollziehen, inwieweit ein Hightech-Produkt des Jahres 2015 ein Patent aus dem Jahr 1998 verletzt und ob dieses rechtsbeständig ist.“ Im Zweifelsfalle, das zeigen viele ähnliche Entscheidungen der vergangenen Jahre, entscheiden die Laien-Jurys in Ost-Texas meistens für die Kläger. Jason Cassady dankte in seiner Erklärung nach dem Urteilsspruch ausführlich der Jury für ihre harte Arbeit. Der Dank von Apple fiel sparsamer aus – der Konzern kündigte an, erneut Berufung einzulegen.

Tech-Konzerne müssen einen hohen Aufwand betreiben

„Das bis vor kurzem geltende US-Recht machte Patenttrollen ihr Tun relativ einfach“, erklärt Adam. Die Kläger könnten sich häufig ein Gericht innerhalb der USA aussuchen können, und bauen auf die „Pro-patentee“-Haltung der Texaner. Zudem müssen die Kläger selbst im Fall einer Niederlage vor einem US-Gericht meist nur ihre eigenen Anwaltskosten zahlen.

Die fallen relativ niedrig aus, oder werden ganz von den Anwälten getragen, während die verklagten US-Tech-Konzerne großen Aufwand betreiben müssen: Sie müssen unabhängige Gutachter bestellen, ihre Top-Manager zur Aussage vor Gericht nach Texas schicken, ihre internen Mails offenlegen und ihre Anwälte bezahlen.

Ein Patentgerichtsfall kann den Beklagten Millionen kosten und jahrelang beschäftigen, selbst wenn er in der letzten Instanz doch gewinnt. „Deswegen willigen viele Firmen lieber ein, Lizenzgebühren zu zahlen – auch in Fällen, in denen die Chance, das Patent schlussendlich vernichten zu lassen, nicht schlecht stehen“ Adam.

Reform: Selbst die Tech-Konzerne waren sich nicht einig

Die US-Regierung arbeitet seit Jahren daran, dieses Patentrecht zu modernisieren, und die Abwehrchancen der US-Tech-Konzerne zu verbessern. Insbesondere sollten laut der Reformvorlage der demokratischen Fraktion im US-Kongress künftig die Verlierer der Prozesse die Gerichts- und Anwaltskosten der Gegenseite mittragen.

Doch die Reform scheiterte zuletzt 2014 im Kongress am Widerstand diverser Abgeordneter, die den Vorgaben von Lobbyisten der Patentverwerter folgten. Aber auch die Tech-Konzerne selbst waren sich nicht einig: Während Konzerne wie Apple und Microsoft selbst an Lizenzgebühren verdienen, und das Patentrecht nicht allzu sehr schwächen wollen, lobbyiert Google seit Jahren für eine Reform.

Googles Cheflobbyist in Washington, Adam Kovacevich, nennt das Unwesen der Patent-Gerichtsfälle eine „Steuer auf Innovation“. Der Konzern versucht daher aktuell, das Thema auch im Präsidentschaftswahlkampf auf die Agenda zu bringen. Von einer Reform könnten auch deutsche Firmen profitieren.

Eine Suche in der Datenbank der US-Gerichte nach aktuellen Patent-Verfahren in Osttexas zeigt, dass zusehends auch deutsche Auto-Hersteller ins Visier der Patent-Trolle geraten. Sie verbauen in modernen Autos die selbe Netzwerk-Technologie, die auch in Smartphones eingesetzt wird. Doch anders als die US-Hightech-Konzerne haben Premium-Hersteller wie BMW kein großes eigenes Patent-Portfolio im Bereich IT-Technik, mit dem sie sich wehren könnten. Das freut die Trolle.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt Online.

Bild: GettYimages/Jose Azel