„Eine Uhr für 18.000 Euro möchte ich an meine Kinder weitergeben können, die sollte nicht veralten“: Evernote-Chef Phil Libin

Apples erste Smartwatch kommt am Freitag auf den Markt. Einmal mehr will der Konzern ein Marktsegment von hinten aufrollen, indem er ein technisches Konzept für Mainstream-Nutzer adaptiert. Die Apple Watch soll nicht nur Tech-Nerds, sondern auch Geschäftsleute oder Mode-Fans ansprechen. Phil Libin, Chef des Office-Startups Evernote, wurde von Apple schon früh in die Entwicklung einbezogen. Seine App gehört zu denjenigen, die bereits zum Marktstart verfügbar sind. Er ist überzeugt: Apple gelingt der Spagat.

Die Welt: Wie verändert sich künftig mit Wearables wie der Apple Watch unser Umgang mit Mobilgeräten und Apps?

Phil Libin: Smartwatches eignen sich für alles, dass man in fünf Sekunden oder weniger tun kann – ein kurzer Blick auf eine Nachricht, eine Bestätigung, ein Abbiegehinweis von einer Navigationsapp. All das, wofür man sonst das Smartphone aus der Tasche holt, nur um es sofort wieder zurückzustecken.

Die Welt: Welche Interaktionen eignen sich für die Smartwatch?

Libin: Bei Evernote der kurze Terminhinweis, eine Benachrichtigung oder eine schnelle Idee, die sich als Sprachnotiz direkt in die Uhr sprechen lässt – für alles weitergehende greifen die Nutzer ohnehin zum Smartphone. Wir werden also dank Smartwatch künftig öfter mit der App interagieren, dafür aber deutlich kürzer.

Die Welt: Was bedeutet das für das Design von Apps für Wearables?

Libin: Apple hat etwas Entscheidendes erkannt: Apps nur für Smartwatches machen keinen Sinn, weil die Smartwatch ohnehin immer mit einem Smartphone gekoppelt ist. Also müssen stattdessen die Apps auf dem Smartphone verändert werden. Die Designer müssen sich fragen: Welche Funktionen lassen sich auf die App auslagern – und wie kann ich die Interaktion dort möglichst kurz und simpel gestalten.

Die Welt: Wie unterscheidet sich Apples Watch von bisherigen Geräten?

Libin: Apple hat sehr viel Zeit damit verbracht, neue Formen der Interaktion zu finden. Nur Nerds sprechen gerne in der Öffentlichkeit mit ihrer Uhr, und die Steuerung per Touch ist auf dem kleinen Bildschirm ebenfalls nicht einfach. Also erfand Apple Force Touch und die Bedienung per Uhrenkrone und vereinfachte die Benutzeroberfläche enorm. Das schließt bestimmte Aufgaben aus – die bleiben auf dem iPhone. Das ist ein subtiler Unterschied zu den Smartwatches auf Android-Basis, die viel mehr für sich allein stehen wollen. Dort versuchen die Designer, möglichst viel auf die Smartwatch auszulagern. Das aber trägt eher nicht zur Nutzerfreundlichkeit bei, die Geräte sind vor allem für Technikfreaks geeignet. Die Apple Watch könnte dagegen den Durchbruch in den Mainstream schaffen.

Die Welt: Doch Anbieter wie Facebook leben davon, dass ihre Kunden sich möglichst oft und lange mit ihren Apps auf dem Smartphone beschäftigen. Denn nur dann sehen sie die Werbung, mit der Facebook Geld einnimmt …

Libin: … genau, und deswegen haben Anbieter rein werbefinanzierter Apps, die versuchen, mit möglichst vielen Meldungen und Alarmen die Aufmerksamkeit ihrer Nutzer zu monopolisieren, mit einer Smartwatch ein gewisses Problem: All die kleinen Pings und Vibrationen, die sonst zum Griff nach dem Telefon lockten, können nun per Smartwatch erledigt werden. Der ständige Blick nach unten auf den Smartphone-Bildschirm könnte dank der Wearables Vergangenheit sein.

Die Welt: Warum funktioniert Werbung auf der Smartwatch nicht?

Libin: Vielleicht müssen neue Formen der Werbung gefunden werden. Aber Werbung auf der Smartwatch ist sehr schwierig, da der Bildschirm so klein ist. Ich persönlich würde sie nicht tolerieren.

Die Welt: Müssen wir also künftig für all unsere Inhalte und Apps auf der Smartwatch bezahlen?

Libin: Evernote basiert auf einem Abomodell – und das funktioniert sehr gut. Vielleicht ist die Ära der großen, werbefinanzierten Internetfirmen, der Umsonstkultur schon vorbei – auch angesichts wachsender Datenschutzbedenken. All die erfolgreichen Start-ups, die nach der Wirtschaftskrise 2008 gegründet wurden – Airbnb, Uber, WhatsApp – lassen sich für ihre Dienstleistung und ihre Inhalte direkt vom Kunden bezahlen. Das ist direkter und ehrlicher, als die Daten der Nutzer zu vermarkten.

Die Welt: Stichwort Geld: Alle anderthalb Jahre ein neues Smartphone, alle zweieinhalb Jahre ein neues Tablet, jetzt noch eine Uhr für mindestens 350 Euro und in Gold bis zu 18.000 Euro, die voraussichtlich in einem Jahr veraltet sein wird. Wann ist die Schmerzgrenze der Mainstreamnutzer erreicht?

Libin: Ich glaube, dass die Uhr länger aktuell bleibt als ein Smartphone und vielleicht nur alle drei Jahre ersetzt wird. Außerdem werden die Preise in diesem Markt dank des rasanten technischen Fortschritts innerhalb der ersten Gerätegenerationen schnell fallen. Und die goldene Version wird wohl eher die Ausnahme bleiben. Eine Uhr für 18.000 Euro möchte ich an meine Kinder weitergeben können, die sollte nicht veralten.

Die Welt: Der ständige Blick auf die Uhr ist in unserer Kultur ein Signal von Ungeduld, er zeigt dem Gesprächspartner: Ich habe keine Zeit für dich …

Libin: Ja, aber der Blick auf das Smartphone – inklusive Aus-der-Tasche-holen, Entsperren, Inhalt aufrufen, Bildschirm wieder sperren, wegpacken – dauert viel länger – und ist noch unhöflicher. Ich glaube, dass sich das knapp Hundert Jahre alte kulturelle Signal, das mit dem Blick auf die Uhr assoziiert wird, mit dem Erfolg der Smartwartches wandeln und seine Bedeutung verlieren könnte.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Die Welt.

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