Mein junger Kollege Florian Meidenbauer hat sich so richtig über Apple Music ausgekotzt. Er lässt sich sogar von seiner Enttäuschung über dieses Produkt hinreißen und schreibt von seinem Hass auf den „stinkreichen“ Tim Cook. „Wo bin ich, Scientology?“, fragt Meidenbauer und ist inzwischen zurück zu Spotify gewechselt. Ganz ruhig, lieber Kollege. Apple Music ist bis jetzt der beste Versuch, eigene Musikdateien und gestreamte Musik in der Cloud zusammenzuführen. Außerdem gibt es einige Funktionen, die fast schon beängstigend gut gelungen sind. Und wohin die ganze Sache gehen soll, ist eigentlich auch schon klar. Vielleicht überlegt es sich mein Kollege, wenn es soweit ist und wechselt kleinlaut zurück zu Apple Music. Wir sehen uns!

Ja, ich gebe es zu. Ich bin auch ein Streamer. Meine Musikfreunde werden mich für dieses Geständnis beschimpfen. Ich habe viele Platten, ein paar Hundert CDs und dazu einige Festplatten voller MP3-Dateien. So viele, dass sie nicht alle in die Apple-Cloud passen. Aber im Alltag nutze ich seit zwei Jahren meistens Streaming-Apps. Im Auto, im Büro, unter der Dusche oder per Kopfhörer auf der Straße. Um meinen unterbeschäftigten CD-Spieler tut es mir fast ein wenig leid. Aber es ist einfach zu verlockend, sich auf die Liege zu legen, die Biografie von Graham Nash zu lesen und dazu auf einen Knopfdruck alle im Buch erwähnten Songs zu hören. Oder sich für ein paar Tage per schnell angelegter Playlist mit dem vernachlässigten und unterschätzten Genre des Bubblegum-Pop der späten 60er Jahre auseinanderzusetzen.

Apple entwickelt ein Ökosystem

Am Anfang meiner Streamingkarriere war ich Kunde von Simfy und eigentlich ganz zufrieden. Doch die Macher von Wimp versprachen eine bessere, verlustfreie Klangqualität, deshalb wechselte ich. Auf meiner Anlage zu Hause konnte man den Unterschied hören. Doch dann wurde Wimp zu Tidal, ich machte einen kleinen Abstecher zu Spotify und ein paar Wochen später kam dann Apple Music. Der Umstieg war für mich selbstverständlich. Denn Apple denkt seine unterschiedlichen Produkte als ein zusammenhängendes Ökosystem. Das hat sehr viele Vorteile. Und Apple denkt an meine Familie. Die ist dank des günstigen Familien-Tarifs gleich mit an Bord.

Ich nutze Apple-Geräte seit den frühen 90er Jahren. Zum Arbeiten und zum Musik machen. Erfindungen wie das iPhone oder das iPad fügten sich später nahtlos in meine technische Umgebung und meinen Alltag ein. Deshalb habe ich mich sehr auf Apple Music gefreut. Denn damit ist die Streamingfrage für mich gelöst. Apple war nie als erstes mit Innovationen auf dem Markt. Das ist also kein Grund enttäuscht zu sein. Die meisten Features der Geräte des Herstellers aus Cupertino boten oft auch andere Technikanbieter. Meistens sogar früher. Das ist heute noch so. Steve Jobs war ein genialer Zusammenfasser. Im Internet surfen, Telefonieren und Musik hören – alles in dem Ding, das sich iPhone nennt. Danke, Steve. Mit iTunes bot Apple das globale, digitale Musikgeschäft an, das die Plattenfirmen einfach nicht auf die Reihe bekommen hatten. Demnächst werden in Apple Music und Apple TV Dienste zusammengefasst, die derzeit von einzelnen Anbietern wie Netflix, Spotify oder Skype angeboten werden. Einfacher, schöner und intuitiver. So wird es sein. Das ist die Apple-Methode.

Für normale Hörer ist das alles kein Problem

Ich gebe meinem Kollegen recht. Die Sortierfunktionen in iTunes sind nicht sehr intuitiv. Wie bei allen anderen Diensten auch. Man muss sich reinfuchsen, um den Überblick zu behalten, wenn man sehr viel Musik auf seinem Computer haben muss. Vor allem, wenn man seine Geräte mit unterschiedlichen Wiedergabelisten synchronisieren möchte. Das ist schon etwas anstrengend. Aber durchaus lernbar, wenn man es ein paar Mal versucht hat. Und wer wirklich Wert auf Überblick, Sortierung und akribische Sammelei legt, hat in seinem Leben schon ganz andere Anstrengungen dafür unternommen. Neulich habe ich zwei Tage gebraucht, um meine Schallplatten zu sortieren. Für die meisten Nutzer spielt das alles überhaupt keine Rolle. Sie haben nicht so viele Songs zu verwalten wie wir richtig harten Musik-Nerds und streamen einfach das, was sie im Moment hören wollen, ohne Playlisten anzulegen oder ihre Geräte zu synchronisieren.

Dazu gibt es ein paar Features bei Apple Music, auf die ich nie wieder verzichten möchte. Ich bin eigentlich immer auf der Suche nach Musik, die ich noch nicht gehört habe. Das ist nach 35 Jahren ziemlich intensiver Forschung nicht ganz einfach. Jetzt folge ich hin und wieder den Vorschlägen, die der Apple-Algorithmus für mich zusammengestellt hat. Oder ein Kurator. Es ist teilweise beängstigend, wie klug die Maschine das macht. Nicht jeder Musikhörer mag so wie ich gleichzeitig die Beach Boys, Aphex Twin und Thelonius Monk. Apple Music kreiert aus diesen disparaten Geschmacksangaben zum Beispiel eine Liste unter dem Motto „Experimental Beach Bums“ mit Musik von Autreche, Boards of Canada und anderen, die die Idee von sonniger, kalifornischer Musik elektronisch transzendieren. Oder es bietet mir am Samstagnachmittag eine Liste von selten gehörten Songs von Wilco unter dem Motto „Deep Cuts“ an. Klick. Wow. Danke.

Außerdem habe ich endlich meine Musik-Dateien und dazu die gespeicherte, gestreamte Musik auf allen Geräten. Hübsch sortiert nach Alben oder nach Interpreten. Es kommt zusammen, was zusammen gehört. Die Musik, die ich eben am Schreibtisch per Laptop gehört habe, läuft weiter, wenn ich mich ins Auto setze. Von meinem iPhone auf die Bordanlage gestreamt. Geht doch. Und das funktioniert dann in Zukunft sehr wahrscheinlich auch bald mit Filmen und TV-Serien. Im September wird wahrscheinlich das neue Apple TV vorgestellt. Netflix wird sich das genau anschauen. Zurück zu Spotify? Auf gar keinen Fall! Tut mir leid, lieber Kollege Meidenbauer. Tim Cook wird wahrscheinlich noch stinkreicher. Völlig zurecht.

Bild: Apple