Daimler-Chef Zetsche zu den Kartellvorwürfen: „Wir sind gut beraten, uns nicht an Spekulationen zu beteiligen.“

Dass sich am Mittwochmorgen kaum jemand für die Halbjahresbilanz von Daimler interessieren würde, wussten sie auch beim Stuttgarter Autobauer. Der Termin für die Vorlage der Absatz- und Umsatzzahlen war aber lange geplant, als die Nachricht über das Kartell in der Autoindustrie bekannt wurde. Seit Tagen schweigen die Chefs der beschuldigten Autohersteller öffentlich hartnäckig zu den Vorwürfen. Doch nun musste sich Daimler-Chef Dieter Zetsche als erster Autoboss den Fragen stellen. Und er sagte: nichts.

Noch bevor Zetsche die Bilanz für das erste Halbjahr vortragen konnte, ergriff sein Sprecher das Wort. „Wir nehmen zu den Berichten über mögliche Kartellrechtsverstöße in der Automobilindustrie wie folgt Stellung“ – Pause. „Wir äußern uns grundsätzlich nicht zu Spekulationen.“ Darüber hinaus werde man auch auf Nachfrage nichts sagen.

Das bekräftigt dann auch noch einmal Zetsche selbst: „In der Tat macht die Autoindustrie derzeit Schlagzeilen – und keine guten“, sagt er. Das ist noch eine Untertreibung. „Ich weiß, viele wünschen sich schon jetzt mehr Klarheit, aber wir sind gut beraten, uns nicht an Spekulationen zu beteiligen.“

Zwar haben die Berichte über das Kartell längst das Stadium von Spekulationen hinter sich gelassen, schließlich bestätigten das Kartellamt und die EU-Kommission, dass man entsprechenden Informationen nachgeht. Auch die Selbstanzeigen von Daimler und VW in diesem Fall sind nach Informationen der Welt verbürgt. Daimler entschied sich dennoch für die Taktik des Mauerns.

Ende der trauten Einigkeit in der deutschen Autoindustrie

Man musste also zwischen den Zeilen lesen, und da wurde es durchaus interessant. Denn mit der trauten Einigkeit, die mutmaßlich sogar über die legalen Grenzen der Kooperation hinausging, ist in der Autoindustrie nun offenbar Schluss. Schon zu Beginn der Woche war aus München zu hören, dass die Konkurrenz bei BMW extrem verschnupft über das Vorgehen von Daimler und VW ist.

Schließlich sind es mit großer Wahrscheinlichkeit die Münchner, die den größten Schaden durch die Kartellermittlungen erleiden werden: Wer sich als Erster selbst bezichtigt und bei der Aufklärung von illegalen Absprachen hilft, der kann straffrei davonkommen oder zumindest einen Bußgeldrabatt erhalten. Doch weil sich Daimler, VW und die Töchter der Wolfsburger, Porsche und Audi, alle bereits selbst angezeigt haben, steht nun nur noch BMW als letztes mutmaßliches Mitglied des Kartells ohne Selbstanzeige da.

Das Vertrauensverhältnis sei gestört, ist aus Münchner Unternehmenskreisen zu hören, die Zusammenarbeit mit den Konkurrenten komme nun auf den Prüfstand – und zwar die legale Kooperation. Die Wettbewerber arbeiten in vielen Bereichen schon lange und offiziell zusammen, zum Beispiel beim Einkauf bestimmter Teile, aber auch beim Aufbau eines Schnellladenetzes für Elektroautos, selbst eine mögliche Zusammenlegung der Carsharing-Dienste DriveNow von BMW und Car2Go von Daimler wird derzeit beraten und wurde noch in diesem Jahr erwartet.

Zetsche ist verstimmt über den VDA

Aus seiner Sicht gebe es keine Probleme mit BMW-Vorstandschef Harald Krüger, sagt Zetsche. „Ich habe in den letzten sieben Tagen nicht mit Herrn Krüger gesprochen.“ Davor habe man sich „konstruktiv“ über verschiedene Themen unterhalten – aber natürlich im legalen Rahmen.

Er halte es für sinnvoll, nicht auf Spekulationen zu reagieren, sondern sich direkt zu unterhalten. „Das hat bisher nicht stattgefunden, und deshalb habe ich auch keinen Anlass, hier von irgendwelchen Irritationen auszugehen“, sagt Zetsche. Auch auf anderer Ebene habe man bei Daimler keine Signale erhalten, dass man bei BMW verstimmt sei.

Doch mit der harmonischen Stimmung in der Autoindustrie ist es definitiv vorbei. Das zeigt auch die Antwort des Daimler-Chefs auf die Frage, ob er sich vom Verband der Automobilindustrie (VDA) und dessen Präsident Matthias Wissmann eigentlich noch gut vertreten fühlt.

Der VDA hatte am Montag ungewöhnlich scharf ein mögliches Kartell gerügt und aufgefordert, dass man sich auch nicht in „Graubereichen“ bewegen dürfe. „Ich war überrascht über diese Stellungnahme und möchte derzeit nicht mehr dazu sagen“, sagt Zetsche kühl.

Muss BMW bei den Nachrüstungen nachziehen?

Dabei wäre gerade jetzt eine Zusammenarbeit der Autoindustrie insbesondere bei der Vermeidung von Fahrverboten in Innenstädten für Dieselfahrzeuge nötig. Kommende Woche wollte man eigentlich bei einem Diesel-Gipfel in Berlin das gemeinsame Vorgehen festlegen.

Doch inzwischen sind Daimler und Audi bereits ausgeschert und haben einseitig eine Software-Nachrüstung für ihre Fahrzeuge der Euro-5- und Euro-6-Abgasnormen verkündet. Wieder steht nun BMW allein da und sieht sich dem Druck ausgesetzt nachzuziehen. Dabei haben die Münchner als einziger Hersteller bislang keine Probleme wegen eines Verdachts der Abgasmanipulation. Die Atmosphäre beim geplanten Gipfel dürfte all das nicht verbessert haben.

Technische Verbesserungen bringen mehr als Fahrverbote

„Über die Stimmungslage der Kollegen und der Politik kann ich natürlich schwer Vorhersagen machen“, sagt Zetsche. „Aber ich glaube unverändert, dass alle Beteiligten daran interessiert sind, diesen Tag zu einem Erfolg zu machen und zu konkreten Ergebnissen zu kommen.“ Falls das gelingen sollte, werde sich das sicherlich auch positiv auf die Stimmung auswirken.

Denn der Daimler-Chef gibt auch zu, dass sich die Diskussion um den Diesel negativ auf den Marktanteil der Selbstzünder auswirkt. „Was die Zukunft des Diesels betrifft, setzen wir vor allem auf die Innovationskraft unserer Ingenieurinnen und Ingenieure“, sagt Zetsche.

Technische Verbesserungen könnten mehr erreichen als Fahrverbote. „Es lohnt sich, für den Diesel zu kämpfen“, sagt er. „Deshalb setzen wir uns im Sinne unserer Kundinnen und Kunden dafür ein – nicht auf Anordnung, sondern aus Überzeugung.“

Durch das bereits angekündigte Software-Update für die mehr als drei Millionen Dieselautos erreiche man eine Absenkung der Stickoxidwerte um eine „deutlich zweistellige Prozentzahl“. „Unsere Maßnahme hat deutlich stärkeren Einfluss auf die Stickoxidemissionen, als es angedachte Fahrverbote leisten könnten“, sagt Zetsche.

Das Software-Update ist freiwillig

Daran hatte ein Richter des Verwaltungsgerichts in Stuttgart, der über Fahrverbote in der baden-württembergischen Landeshauptstadt entscheiden soll, jedoch noch in der vergangenen Woche Zweifel geäußert. Zetsche kritisierte das Gericht, er könne „die Äußerung des Richters in Stuttgart aus unserer Kenntnis heraus nicht nachvollziehen“.

Allerdings ist völlig offen, wie Daimler seine Kunden dazu bewegen will, das Software-Update durchführen zu lassen. Eine Verpflichtung, das Auto in die Werkstatt zu bringen, gibt es nicht, und Experten halten es für ausgeschlossen, dass sich der Schadstoffausstoß ohne gleichzeitige Erhöhung des Verbrauchs senken lässt.

Zetsche betonte, dass der Schadstoffausstoß lediglich in dem Maß begrenzt werde, dass sich der Kraftstoffverbrauch noch im zugelassenen Toleranzbereich bewege. „Insofern muss sich der Kunde auch keine Sorgen machen, dass er in diesen zulassungsrelevanten Bereichen Nachteile eingehen würde“, sagte der Daimler-Chef. „Wir tun natürlich alles dafür, dass diese freiwillige Maßnahme zu einer hohen Resonanz bei unserer Kundschaft führt.“

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Foto: Gettyimages / Miguel Villagran