berlin silicon valley
Die Reuters-Redakteurin Nadine Schimroszik geht in ihrem Buch „Silicon Valley in Berlin“ vielen Fragen der deutschen Startupszene auf den Grund. Sie berichtet, was Startups wie Wooga, Zalando oder Coffee Circle so erfolgreich gemacht hat, welche Stolpersteine es gab und gibt und was getan werden kann, um den Gründerstandort Deutschland und Berlin noch attraktiver zu machen. Das sechste Kapitel ihres Buchs dokumentieren wir hier als Auszug.

Auf dem Weg zum Big Player?

Berlin gilt weltweit als Anziehungspunkt für Kreative und eben  auch als Mekka für Startups. Wie diese Mail zeigt, hört man sogar  im Silicon Valley viel Gutes von der deutschen Hauptstadt. So viel,  dass eben auch ein Jake Lodwick, dessen Gründung Vimeo heute  auf rund eine halbe Milliarde Dollar Marktwert geschätzt wird,  gern mal länger vorbeischaut.

Das ist nur ein Beispiel, wie weit es Berlin schon gebracht hat.  Noch vor wenigen Jahren sah alles ganz anders aus. Robert Gentz, Chef der heutigen Vorzeigefirma Zalando, erinnert sich an seine  Anfangszeit in Berlin 2008, als es noch gar keine Startup‐Szene gab  und sich vieles „pioniermäßig“ anfühlte: „Damals waren StudiVZ  mit 18 Mitarbeitern und Toptarif die Ikonen. Und uns erschien es  unerreichbar, ein Unternehmen in dieser Größenordnung aufzubauen.“ Da hat Zalando längst den Spieß umgedreht. Der Modehändler zählte zum Zeitpunkt des Börsengangs, bei dem das Unternehmen  im  Herbst  2014  rund  600 Millionen Euro  einsammelte,  mehr als 6.000 Mitarbeiter.

Die Wege sind kurz, es gibt funktionierende Netzwerke sowie ein großes Angebot  an  Fachkräften,  umfangreiche  Freizeitangebote sowie eine positive internationale Außendarstellung.  Eric Wahlforss, Mitgründer von Soundcloud – einem der weltweit  bekanntesten Berliner Startups – erinnert sich daran, warum sich  die Online‐Audio‐Plattform auf der Suche nach einem Firmensitz  im Jahr 2008 für die deutsche Hauptstadt entschied und damit immer noch zufrieden ist: „Berlin hatte für mich immer einen besonderen Reiz, nicht zuletzt weil ich hier in verschiedenen Funktionen gearbeitet habe, bevor ich Soundcloud zusammen mit Alex Ljung  gründete.

Die Stadt hat ihre ganz eigene Kreativ‐ und Künstlerszene, die sehr unterschiedliche Leute und Talente aus ganz Europa  und auch dem Rest der Welt anzieht. Wir nutzen manchmal gern  den Ausdruck „Punk meets Tech“ (Punk trifft auf Technologie), um  die Art des „Den‐Eigenen‐Weg‐Gehens“ zu beschreiben, der hier  heute immer noch anzutreffen ist. Das ist ein großer Teil dessen,  was Berlin von anderen Startup‐Orten unterscheidet, nämlich ein  zentralisierter Kreativitäts‐Hub, wo Technologie auf Kunst trifft.  Zudem ist es hier trotz einer hohen Lebensqualität weiterhin deutlich günstiger als in anderen europäischen Hauptstädten, was das  Anwerben von Talenten einfacher macht.“

Letzteres führt auch der  aus Schweden stammende Chef und Mitgründer von Delivery Hero, Niklas Östberg, an, wenn er gefragt wird, warum es ihn nach  Berlin  verschlug:  „Man  findet  leichter  und  günstiger Leute,  die  wirklich Lust haben, von Beginn an beim Abenteuer Gründung  dabei zu sein. Auch wenn es vielleicht am Anfang nicht ganz so gut  bezahlt ist.“

Die Möglichkeit, gute Mitarbeiter zu finden, ist nur ein Grund, warum Berlin international so in der Gründerszene ankommt. Niemandem fällt es schwer, Positives über die Stadt zu sagen. „Man ist  mal schnell in Berlin und kann Dinge schneller vorantreiben. Die  Stadt ist einfach für vieles ein Knotenpunkt“, sagt die inhaltliche Leiterin von Startnext, Anna Theil. Für Guido Sandler von Bergfürst bringt  Berlin „die  besten  Voraussetzungen“  für  eine  Startup-Hochburg mit sich, da die Stadt wie ein Startup einen permanenten  Veränderungsprozess durchlaufe. Städte wie Hamburg oder München seien schon gesättigt und Berlin eben noch nicht. „Nur hier  gibt es Dynamik, Aufbruch, Veränderung.“

Der Bonner Investor Thelen ist überzeugt davon, dass die deutsche Branche nur vorangebracht werden kann, wenn sie sich auf  Berlin konzentriert. Markig betont er: „Alles andere ist bescheuert.“  Vor allem eben für die digitale Wirtschaft macht die Konzentration auf Berlin Sinn. Das hat auch kommunikatorische Vorteile. Startup‐Hochburgen  beziehen  sich  eigentlich  immer  auf  einen  beschränkten Raum und nicht auf ein ganzes Land. „Es heißt nicht  Silicon Valley, Tel Aviv und Deutschland, sondern Silicon Valley,  Tel Aviv und Berlin“, sagt Florian Nöll vom Bundesverband Deutscher Startups.

Durch die Fokussierung ergeben sich positive Effekte, die weitere  Gründer anziehen. Die IBB‐Studie „Digitale Wirtschaft – Standortanalyse im Städtevergleich“ fasst zusammen: „Die Gründungsaktivität in Berlin profitiert von den städtischen Agglomerationseffekten. Hier sind die Entfernungen vergleichsweise gering und es sind  große Absatzmärkte vorhanden. Die Internetgründer können in der  Hauptstadt Mitarbeiter mit den gesuchten speziellen Qualifikationsanforderungen finden. Hinzu kommt die räumliche Konzentration von Unternehmen, die die Übertragung von Wissen zwischen  Gründungen, aber auch den Austausch in den technologieorientierten Clustern mit anderen Unternehmen erleichtert.“

KPMG‐Partner  Tim Dümichen findet es wichtig, dass Berlin als wesentlicher Hub  für das Startup‐Geschehen in Deutschland wahrgenommen und  gefördert  wird: „Clustereffekte  spielen eine große Rolle für das Entstehen und funktionieren von Ökosystemen. Ich bin deshalb  überzeugt davon, dass Berlin als Leuchtturm, eine Vorreiterrolle für  das gesamte deutsche Start Up‐Ökosystem spielen kann.“  Für Jörg Goschin von Alstin ist Berlin in Deutschland die unumstrittene Nummer eins: „Hier finden Gründer die besten Bedingungen,  um  sich  anzusiedeln.“

Die  Stadt sei zum Epizentrum für Gründungen in Deutschland geworden und werde dies auch immer  mehr für Europa, meint Shoepassion‐Gründer Tim Keding. Martin  Elwert von Coffeecircle zog es 2009 zur Gründung seines Startups in die Hauptstadt: „Wir hatten einfach Lust auf Berlin. Hinzu kam,  dass man hier neue Ideen viel besser platzieren kann als in München oder Hamburg.“ Madeleine Gummer von Mohl, Mitgründerin des  Betahauses,  macht  einen weiteren  Vorteil  aus:  „Durch  die  Schnelllebigkeit in Berlin kann man Dinge leichter ausprobieren  und Fehler werden schneller vergessen und vielleicht auch verziehen als in anderen Städten.“

Zugleich  die  Touristen  sind  für  viele  Startups  ein  Vorteil.  Schließlich erhöht sich die Zahl der potenziellen Neukunden durch  sie ungemein. Lernt ein Tourist ein Geschäft in Berlin psychisch kennen und schätzen, bestellt er vielleicht über den Online‐Shop ein  zweites Mal und wird zum Stammkunden. „Das ist ein wichtiger  Standortfaktor“, sagt die Mitgründerin von Original Unverpackt,  Milena Glimbovski. Laut Statistikamt kamen 2013 11,3 Millionen Touristen  in  die  Hauptstadt.  Tendenz  steigend,  trotz  weiterhin  unfertigem Großstadtflughafen.

Nadine Schimroszik, Silicon Valley in Berlin, Erfolge und Stolpersteine für Start-ups, 207 Seiten, 24,99 € (D), UVK Verlagsgesellschaft mbH

Dieser Titel ist auch als E-Book erhältlich.

Bild: UVK Verlag


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Gutes erhalten

Trotz allen Lobes sind immer mehr besorgt, dass sich die Metropole  bei ihrer rasanten Entwicklung zu Ungunsten der Startups verändern  könnte.  KPMG‐Partner  Tim  Dümichen  betont,  man  müsse  alles dafür tun, dass Berlin weiterhin so attraktiv bleibt. Und dabei  sind seiner Meinung nach alle gefragt: „Der Spielraum für die lokale  Wirtschaftsförderungspolitik ist begrenzt. Es fehlt oft der direkte  Draht von der Landespolitik in die Bundespolitik. Da herrscht eine  zu große Sprachlosigkeit zwischen den Akteuren, obwohl alles in  einer Stadt stattfindet.“

Dass alle miteinander kommunizieren und letztlich an einem  Strang ziehen, ist nach Einschätzung vieler Experten lebenswichtig.  „Startups sind eine der stärksten Triebfedern der wirtschaftlichen Entwicklung und insofern mitentscheidend, ob Deutschland in 20 Jahren weiterhin zu den weltweit größten Exporteuren gehört“, sagt  Maria Konew von der IHK Berlin. Es gehe um Innovation und damit um einen wichtigen Faktor für die künftige Wirtschaftskraft.  Laut Stephan Hoffmann von der IBB hat die Hauptstadt in den  vergangenen Jahren eine „extrem erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung“ erlebt. Doch Hoffmann sorgt sich, dass dies bald ein  Ende haben könnte: „Nun muss alles daran gesetzt werden, das die  günstigen  Lebensbedingungen,  bezahlbaren  Gewerbemieten  und  die Vielzahl von leistungsfähigen Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen aufrechterhalten bleiben.“

Vor allem der Immobilienmarkt droht zur Belastung zu werden.  Die  Mietpreise  stiegen  in  Berlin  zuletzt  schneller  als  im  Rest  Deutschlands. Und um zentrale und bezahlbare Büroräume ist in  der jüngsten Vergangenheit ein regelrechter Wettlauf ausgebrochen.  Dies hat auch der Online‐Versandanbieter für Brillen und Kontaktlinsen, Mister Spex, feststellen müssen. „Die Suche nach einem neuem Hauptsitz in Berlin zieht sich in die Länge“, sagt Geschäftsführer Dirk  Graber.  An  kalifornische  Verhältnisse  wird  Berlin  aber  wohl so schnell nicht heranreichen. Laut einer Erhebung des Immobilien‐Dienstleisters CBRE‐Gruppe stiegen die Mietpreise für Geschäftsräume in San Francisco in den ersten neun Monaten 2014 um  zehn Prozent.

CBRE schätzt, dass die Mieten in der Metropole an  der Westküste Ende 2015 höher als in Manhattan sein könnten. Ob  sich  aus  den  unterschiedlichen Lebenshaltungskosten  allerdings  jemals ein Wettbewerbsnachteil für die USA entwickelt, bezweifelt  Business Angel Christian Vollmann: „Schließlich kostet im Silicon  Valley nicht einfach alles mehr, sondern die Leute verdienen auch mehr. Am Ende gleicht sich das aus.“  In der Metropolregion Berlin fehlt es zumindest nicht an Platz,  was langfristig eine Preisexplosion bei den Gewerbemieten wohl  auch verhindern wird.

Doch da Startups und ihre Mitarbeiter am  Puls der Zeit sein wollen und vom kreativen und kulturellen Angebot einer Stadt wie Berlin profitieren wollen, zieht es sie eben ins  Zentrum. Aber da wird es langsam eng. Zwar stehen in der Hauptstadt zehn Technologieparks und acht Gründerzentren zur Verfügung, doch liegen diese teils in äußeren Stadtgebieten wie Marzahn  oder Buch. Nicht jede Jungfirma will ihre Mitarbeiter täglich dorthin lotsen.

Mehr als nur bewahren

Letztlich geht es natürlich nicht nur darum, alle positiven Attribute  der Stadt zu bewahren, sondern auch Fortschritte in Bereichen zu  erzielen, in denen es Nachholbedarf gibt. Die Probleme sind längst bekannt. So wird es langfristig auch für die Startup‐Branche eine  Rolle spielen, ob und eben wann die ersten Flugzeuge von der Rollbahn des Großflughafens Berlin‐Brandenburg aufsteigen.

Startups  müssen  noch stärker  in  der  Mitte  der  Gesellschaft  ankommen.  Dafür kann es sich lohnen, junge Unternehmer besser mit der Politik, aber  eben auch mit Hochschuleinrichtungen  und Schulen zu vernetzen, um das Miteinander zu verstärken. Zugleich gilt es, Aktivitäten zu bündeln und die Zahl der Ansprechpartner zu minimieren.

Dass es sich lohnt, gute Bedingungen für Startups zu kreieren,  zeigt der simple Fakt, dass sie Arbeitsplätze schaffen.

Der Digitalsektor ist mittlerweile zu einem relevanten Wirtschaftsfaktor  herangewachsen.  Die  Bruttowertschöpfung  der  gesamten  Internetwirtschaft erreicht mit 3,9 Milliarden Euro einen Anteil von  4,2 Prozent  an  der  gesamten Berliner  Wirtschaftsleistung.  Zum  Vergleich:  Das  Berliner  Baugewerbe  erzielt  lediglich  eine  Wirtschaftsleistung von rund 3,3 Milliarden Euro. Auch im deutschlandweiten Vergleich liegen die Berliner Startups vorn. Sie erlösen  im Schnitt mehr um als ihre Konkurrenten in anderen Regionen.  Dies  geht  aus  dem  Deutschen  Startup  Monitor  2014  hervor.

„Berlin  liegt deutschlandweit an der Spitze, wenn es  um Investitionen privater Geldgeber in  junge Unternehmen geht. Bei VC‐Transaktionen in der Digitalwirtschaft liegt Berlin europaweit auf Platz 2.  Doch der Bedarf an Wagniskapital wächst weiter. Als Bundesland  setzt sich Berlin im Bundesrat für bessere steuerliche Rahmenbedingungen für Wagniskapital in Deutschland ein. Und wir werben  weltweit bei den Venture Capital‐Gesellschaften für ihr Engagement in Berlin. Denn Investitionen in Unternehmen in unserer Stadt  zahlen sich aus“, erklärt Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer.

Es gilt, das Momentum zu nutzen und auszubauen. „Das Silicon  Valley ist nicht über Nacht entstanden, sondern das gibt es seit 40,  50 Jahren. Man wird sehen, ob Berlin sich so wie das Silicon Valley entwickelt. Noch befindet sich die Stadt in der Frühphase, ist selbst  noch ein Startup. In zehn bis 20 Jahren weiß man mehr. Ich glaube, dass die Chancen sehr gut stehen“, sagt LinkedIn‐Mitgründer Konstantin Guericke. Er vergleicht die derzeitige Situation in Berlin mit Pasta.

Sicherer, was den dauerhaften Erfolg angeht,  ist sich da schon Christian  Segal,  Leiter  des  Kompentenzcenters Gründung bei der Berliner Sparkasse: „Allein  die Qualität der Hochschulen und die Attraktivität des Standortes  Berlin werden dafür sorgen, dass Berlin eine Startup‐Hochburg  bleibt.“ Für Christoph Janz vom Angel VC Point Nine ist es definitiv noch zu früh, um Bilanz zu ziehen: „Berlin braucht einfach noch  Zeit. Es gibt erst seit wenigen Jahren eine Startup‐Szene und Vergleiche mit dem Silicon Valley führen uns nicht weiter.

Hier kann  ein gutes Ökosystem entstehen, ohne ein zweites Silicon Valley  aufzubauen.“ Es sei einfach unrealistisch, dass überhaupt irgendwann ein anderer Standort das Silicon Valley jemals vom Startup-Sockel stößt. Das funktioniere „einfach zu gut“ und befinde sich  „nicht auf dem absteigenden Ast“. Gründer Gabriel Yoran gibt zu  bedenken, dass es möglicherweise gar nicht um Berlin geht: „Dieser  Orts‐Fetischismus  in  einer  Branche,  die  Ortlosigkeit  predigt,  ist absurd. Der Genius Loci wird überschätzt. Im St. Oberholz komme  ich auch nicht auf eine bessere Idee als wenn ich zu Hause oder auf  der grünen Wiese sitze.“

Nadine Schimroszik, Silicon Valley in Berlin, Erfolge und Stolpersteine für Start-ups, 207 Seiten, 24,99 € (D), UVK Verlagsgesellschaft mbH

Dieser Titel ist auch als E-Book erhältlich.

Bild: UVK Verlag

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Nun will ganz Europa dem Silicon Valley Konkurrenz machen

Angesichts des steigenden Stellenwertes von Startups für Volkswirtschaften hat auch die EU‐Kommission das Thema für sich entdeckt. Sie will Hightech‐Giganten in Europa sehen, die hier gegründet und gewachsen sind und auch bleiben. Deswegen startet die  Kommission 2014 eine Initiative mit dem Namen Startup Europe  Partnership  (SEP).  Ihr  Ziel  ist,  europäische  Startups  besser  mit  Großkonzernen zu vernetzen. Dafür gibt es nun eine integrierte Plattform, wo beide Seiten zueinander finden können. Sie soll einen  Austausch ermöglichen, beispielsweise in Form von Produkt‐ oder  Dienstleistungskäufen, und soll strategische Investitionen oder eben  auch Akquisitionen erleichtern, heißt es auf der Internetseite. Zudem sammelt die SEP‐Initiative Informationen über den europäischen Startup‐Markt. Dabei konzentriert sich SEP auf die so genannten Scaleups.

Nach Definition der Initiative sind dies Startups, die in den vergangenen drei Jahren zwischen 500.000 Dollar und 100 Millionen  Dollar über Investoren aufgenommen haben oder eigenfinanziert  sind und einen Umsatz in dieser Spanne aufweisen. Laut einer im  November 2014 veröffentlichten, vorläufigen Studie über Startups innerhalb der Informations‐ und Kommunikationstechnologie haben Großbritannien und Berlin ihren Status als „Mekka und  Wiege“ der Scaleups innerhalb Europas verfestigt.

Ein Viertel der Scaleups haben demnach ihren Sitz in Großbritannien, hauptsächlich in London, und 15 Prozent in Berlin. Das erfolgreichste Startup bei der Kapitalaufnahme stellt dabei mit Delivery  Hero die deutsche Hauptstadt. Seit seiner Gründung bis Anfang  2015  sammelte  der  Online‐Bestelldienst  mehr  als  eine  Milliarde  Dollar bei Investoren ein. Dies sei nicht leicht gewesen, betont Delivery‐Hero‐Chef Niklas Östberg.

„Berlin ist immer noch ganz weit  von den USA entfernt, was den Zugang zu Kapital angeht. Vor  allem, wenn es um Finanzierungsrunden ab einer Summe von fünf  Millionen Euro geht. Und dann fehlt manchmal auch die Ambition.  Im Moment ist doch jeder zufrieden, wenn hier ein Unternehmen  mit einem Umsatz von 100 Millionen Euro entsteht. In den USA  würde man sich damit nicht zufriedengeben.“  „Think big“ ist dort das Motto – und zwar in der Regel von Anfang an. „Vor allem im Internet profitiert man von dieser Einstellung. Besonders dort muss man erstmal den Markt erobern und  besetzen, da der Branchenprimus allein das Geschehen bestimmt.

Erst danach geht es um die Monetarisierung“, sagt Business Angel  Christian Vollmann. US‐Investoren hätten das verstanden und gäben einem Startup dafür fünf bis sechs Jahre Zeit. In Deutschland  wollten alle spätestens nach drei Jahren Umsatz sehen. Mehr Geduld und mehr Geld wären also hilfreich, meint Vollmann. Und  möglicherweise auch größere Ambitionen der Startups. „Es gibt  wenige Unternehmen, die in Berlin eine klare und große Vision  haben“, findet Zalando‐Geschäftsführer Robert Gentz.

Der Berliner Markt lockt

Doch für viele Unternehmen aus der  digitalen  Wirtschaft  macht  es  eben  auch  Sinn,  ihren  Fuß  im  deutschen  beziehungsweise  Berliner  Markt  zu  haben. „Berlin gilt in Deutschland wie  auch in Europa als Dreh‐ und Angelpunkt für die Startup‐Branche  und hat längst London überholt“, sagt die Kommunikationschefin  des Tech Open Air Berlin, Kerstin Bock. Allerdings ist der deutsche  Markt aufgrund von Sprachbarrieren, rechtlichen Herausforderungen und anderer Kundeninteressen nicht so leicht zu erobern wie  beispielsweise das britische Pendant.

Dieser Schwierigkeiten will  sich Bock zusammen mit ihren Mitstreitern beim jährlichen Tech  Open Air Berlin, Nikolas Woischnik und Carolin Lessoued, annehmen und gründet dafür das Startup Openers. „Wir wollen ausländischen Startups den Markteintritt in Deutschland erleichtern und  sie beispielsweise beim Produktlaunch unterstützen“, sagt Bock, die  Openers als Dienstleistungs‐Allrounder bezeichnet. Häufig würden  die Barrieren, Veränderungsnotwendigkeiten und auch die kulturellen  Unterschiede  von  den  Startups  aus  dem  Ausland  unterschätzt.

„Viele Startups bringen wir erstmal auf den Boden der  Tatsachen zurück. Wir müssen unter anderem erklären, dass der  Unterschied in Deutschland zwischen den Early‐Adopters und dem  Otto‐Normalverbraucher viel  größer  ist  als  in den  USA. Es sei manchmal schwierig, Produkte über die technikaffine Startup-Szene  hinaus  zu  vertreiben.“  Dies  bestätigt  auch  Stagelink-Geschäftsführer Nikolas Schriefer: „In den USA sind mehr Leute  bereit, als Test‐Kaninchen zu fungieren.“

Die Macher von Openers berieten auch die US‐Veranstaltungsplattform Eventbrite beim Markteintritt in Deutschland. Da hätten sie beispielsweise festgestellt, dass Eventbrite bei seinen Online-Bezahlmöglichkeiten  kein Lastschriftverfahren im  Angebot  habe,  was in Deutschland jedoch von den Kunden stark nachgefragt werde. „Wir sind davon überzeugt, dass sich Firmen bevor sie im Markt  aktiv werden, mit Partnern vor Ort kurzschließen sollten, die sich  dort auskennen. Wir sind dabei eine Möglichkeit“, meint Bock. Die  Anfragen der Startups reichten bisher von einer simplen Übersetzung bis zu einer Standortanalyse. Häufig gehe es auch um Rechtsfragen.  US‐Startups,  die  in Deutschland  ein  weiteres  Standbein  anpeilen, wie auch US‐Geldgeber, die hier investieren wollen, müssen zunächst den hiesigen Rechtsrahmen verstehen. Dies bedeutet  eine zusätzliche Anstrengung, die häufig mit Kosten verbunden ist.

Die bekanntesten Unternehmen haben  durchweg eine Niederlassung in der  Hauptstadt. Dazu gehören unter anderem  Google,  Facebook,  Twitter,  Microsoft.  Diese  US‐Großkonzerne  haben  sich  hier niedergelassen,  weil  Berlin größte deutsche Stadt ist und die Nutzerzahlen ihrer Dienste  hier entsprechend am höchsten sind. Zudem sind sie in Berlin nah  an der Politik und können Lobbyarbeit betreiben. Doch am meisten  reizt sie der Austausch mit den hiesigen Startups. Dafür hat beispielsweise Microsoft sein Café Digital Eatery im Erdgeschoss seines Berlin‐Sitzes integriert, in dem auch Workshops und Treffen  stattfinden.

Wooga‐Chef Jens Begemann ist der Meinung, dass letztlich das  große Ganze zählt: „Ein Startup‐Hub ist ein sich selbstverstärkender Kreislauf. Man benötigt Gründer mit Ideen, Kapital und Mitarbeiter. In Berlin gibt es inzwischen mehr Gründer, da es eben mehr Startups gibt und deswegen mehr Leute auf die Idee kommen,  ebenfalls zu gründen. Es fließt mehr Kapital durch vorangegangenen Erfolg. Zudem gibt es mehr geeignete Mitarbeiter, da es mehr  Mitarbeiter gibt, die schon mal bei einem Startup beschäftigt waren. Das hat eine Sogwirkung“, sagt Wooga‐Chef Jens Begemann.  Deswegen werde Berlin innerhalb Deutschlands und Europas immer wichtiger werden.

Und für diejenigen, die von Anfang dabei  waren – wie nämlich Zalando, Rocket und auch Wooga – stellen  sich langsam ganz andere Fragen. „Wie erhalte ich die Unternehmenskultur? Wie hält man die Eigenverantwortung der Mitarbeiter hoch? Wie verhindert man Bürokratie?“, nennt Begemann die neuen  Herausforderungen,  die  eben  auch  zeigen,  dass  der  Berliner  Startup‐Markt immer erwachsener wird. Nun geht es langfristig  darum,  die  Firma  „lebendig,  frisch, jung,  motiviert“  zu  halten.  Zalando‐Chef Robert Gentz rät: „Wir haben uns immer Aufgaben  gestellt, die uns motiviert haben, aber die auch erreichbar erschienen.“ Wichtig für Zalando sei gewesen, dass man sich die Gründerkultur auch  während  der  extremen  Wachstumszeiten  bis  heute  erhalten habe.

Den Startup‐Charakter möchte sich eben jede Firma gern bewahren – egal, ob sie Facebook, Google oder Soundcloud, Delivery Hero und Wooga heißt.

Nadine Schimroszik, Silicon Valley in Berlin, Erfolge und Stolpersteine für Start-ups, 207 Seiten, 24,99 € (D), UVK Verlagsgesellschaft mbH

Dieser Titel ist auch als E-Book erhältlich.

Bild: UVK Verlag