Die Buckle & Seam Gründer Georg Wolff (links) und Marco Feelisch.
Haben Buckle & Seam gegründet: Georg Wolff (links) und Marco Feelisch.

Dieser Artikel erschien zuerst am 10. November 2017. Da Buckle & Seam gerade über Crowdfunding rund 560.000 Euro eingesammelt hat, veröffentlichen wir den Text an dieser Stelle erneut. 

Kündigungsfrist? Diesen Begriff hätten seine pakistanischen Angestellten zunächst nicht verstanden, sagt Marco Feelisch. Er ist Mitgründer des Taschen-Startups Buckle & Seam, das zwar nicht mit Produkt-, dafür aber mit Produktionsinnovation aufwarten möchte: Die Ledertaschen werden in Pakistan hergestellt – in einer Fabrik, in der die Näher unter Bedingungen arbeiten sollen, die denen in Deutschland in Nichts nachstehen.

Als 22-Jähriger für Rocket nach Pakistan

Dass die Zustände in pakistanischen Fabriken normalerweise stark vom deutschen Standard abweichen, hat Feelisch selbst gesehen, wie er berichtet. Von 2015 bis 2016 war er für Rocket Internet in Pakistan stationiert, genauer in Karatschi, einer 18-Millionen-Einwohner-Stadt im Süden des Landes. Als Head of Marketing half er, die E-Commerce-Plattform Daraz aufzubauen, die heute zu den führenden Onlineshopping-Seiten Asiens gehört. Nach Pakistan zu gehen, sei Feelischs ausdrücklicher Wunsch gewesen: „Ich wollte nach dem Studium etwas Verrücktes machen“, sagt der BWL-Absolvent. In dem südasiatischen Staat habe er außerdem schneller eine Führungsposition einnehmen können als anderswo. „Ich hätte ansonsten gar nicht die Patience, mich hochzuarbeiten“, sagt er.

Kurz vor der Abfahrt aus Pakistan ließ sich Feelisch bei einem Näher eine Aktentasche aus Leder anfertigen – aus Mangel an Alternativen, wie er sagt: „Was Herrentaschen angeht, gibt es nicht viel. Die meisten Marken sind mir zu spießig“, meint er mit einem Seitenblick auf die schwarze Polyestertasche des Mannes am Nachbartisch. Gemeinsam mit seinen Rocket-Kollegen Georg Wolff und Jena Bautmans plante er von da an, die selbsterkannte Marktlücke mit einem Taschenlabel für junge Leute zu schließen. Um seine Idee zu testen, beauftragte Feelisch den Näher mit der Anfertigung mehrerer Prototyp-Taschen, die er in Deutschland an Freunde verteilte. „Das Feedback war super“, sagt Feelisch.

Ledertaschen aus fensterlosen Großfabriken? Nein Danke!

Von da an stand der Plan, ein Taschen-Startup groß aufzuziehen. Feelisch flog zurück nach Pakistan, um den Näher mit der ersten Ladung Taschen zu beauftragen. Doch der Näher lehnte ab – verständlich, wie Feelisch im Nachhinein findet: „Es war natürlich naiv, zu glauben, der könnte mal eben 150 Taschen nähen“, erinnert er sich. In eine der pakistanischen Großfabriken wollten die Gründer aber auch nicht. „Da arbeiten 5.000 Menschen ohne Sicherheit und unter schlechtesten Bedingungen“, sagt Feelisch. Was fehlende Sicherheitsmaßnahmen in Fabriken ausrichten können, führte 2012 ein Brand in einer Produktionsstätte des deutschen Textildiscounters KiK ebenfalls in Karatschi vor Augen – 259 Menschen starben damals.

Doch die Gründer hielten an dem Vorhaben fest, in Pakistan zu produzieren: „Wir haben uns in das Land verliebt“, sagt Feelisch. Einen deutschen Business Angel und einen pakistanischen Private Equity-Investor im Rücken, kauften sie daher eigene Räume. „Wir hatten dabei den Vorteil, dass wir vorher schon in Pakistan gearbeitet haben. So hatten wir ein Netzwerk und vor allem das Vertrauen der Menschen“, sagt Feelisch.

Im pakistanischen Tuktuk: Die Gründer Jena Bautmans, Marco Feelisch und Georg Wolff (v.l.)
Im pakistanischen Tuktuk: Die Gründer Jena Bautmans, Marco Feelisch und Georg Wolff (v.l.) Im pakistanischen Tuktuk: Die Gründer Jena Bautmans (verließ die Firma 2018), Marco Feelisch und Georg Wolff (v.l.)

Die Näher sollen jetzt zur Oberschicht gehören

Dieses Vertrauen versucht er, an seine Arbeitskräfte zurückzugeben. In den Buckle & Seam-Arbeitsräumen gibt es, wie er erzählt, Licht, Fenster und Klimaanlagen – in Deutschland selbstverständlich, in Pakistan ein Seltenheit: „Die Pakistani waren davon schockiert“, erzählt Feelisch. Neu eingestellten Nähern verkündeten die Gründer, sie sollten nur von neun bis 17 Uhr arbeiten, bekämen auch im Krankheitsfall Geld und Unterstützung beim Bezahlen von Arztkosten.

Derartige Regelungen seien in Pakistan schwer durchsetzbar gewesen, sagt Feelisch: Zum einen hätten die Leute etwa die Krankenversicherung nicht annehmen wollen, zum anderen hätten viele die Maßnahmen nicht verstanden. „Wir dachten, unser Übersetzer erklärt es nicht richtig. Dabei kannten die Menschen Arbeitnehmerschutz einfach nicht“, erinnert er sich. Zum Gehalt seiner Angestellten möchte er sich nur vage äußern: „Die Näher kriegen drei Mal so viel wie vorher. Vorher gehörten sie zur Unterschicht, jetzt zur Mittel- oder Oberschicht“, erklärt er. Kürzlich hätte Buckle & Seam die erste Näherin eingestellt – normalerweise würden Frauen in Pakistan kein Geld verdienen, sagt Feelisch.

Er erzählt, viele Marken würden in Pakistan produzieren lassen und nur den letzten Arbeitsschritt nach Europa, etwa Italien, verlegen. „Dann steht auf dem Label trotzdem ‚Made in Italy‘. Wir verwenden unser Label ‚Made in Pakistan‘ mit Stolz“, so der Gründer.

Lederqualität und Spendenaktion sollen den Preis rechtfertigen

Das Rindsleder für die Laptop-, Umhänge- und Reisetaschen des Startups kommt aus dem Norden Pakistans. „Da ist es kalt und das Leder der Rinder sehr dick“, so Feelisch. Die Qualität des Rohmaterials werde streng überprüft: „Wenn das Leder Wrinkles hat“ – er zeigt auf seine eigene Laptoptasche, auf der helle Flecken und Knitterfalten zu sehen sind – „verwenden wir es nicht oder nur für solche Prototypen“. Im Onlineshop gibt es die Tasche für 185 Euro. „Die Leute sagen, das ist teuer, aber es ist gutes Leder“, so Feelisch. Außerdem sollen drei Prozent des Preises an ein pakistanisches Mädchenbildungsprogramm fließen.

Umsätze möchte Feelisch nicht preisgeben, er verrät nur, dass seit dem Verkaufsstart vor einem Jahr eine vierstellige Zahl Ledertaschen verkauft worden sei. „Wir sind im Wachstum beschränkt, weil wir die Produktion nicht so schnell erhöhen können. Die Näher müssen ja vernünftig angelernt werden“, sagt er. Momentan verkaufe Buckle & Seam die Taschen hauptsächlich in Deutschland und Großbritannien, in Zukunft wolle man internationaler werden. Zudem sollen die Produkte bald im Einzelhandel erhältlich sein – derzeit läuft der Vertrieb ausschließlich über den Onlineshop.

Bei jeder eingehenden Bestellung lässt einer der neun Mitarbeiter im Buckle & Seam-Büro am Berliner Alexanderplatz die Sales-Klingel läuten: „Sonst macht es ja gar keinen Spaß, zu verkaufen“, sagt Feelisch.

Bilder: Buckle & Seam