Die drei Jungs hinter dem Terminportal: Martin Becker, Jörn Kamphuis und Mateus Kratz (von links)

Das Wort ist jetzt ziemlich genau ein Jahr alt: JerkTech. TechCrunch-Autor Josh Constine prägte den Begriff in einem Text über den Reservierungsdienst ReservationHop und die Park-App Monkey Parking. Beide Geschäftsmodelle seien verabscheuungswürdig, so Constine, weil sie ein öffentlich frei verfügbares und kostenloses Gut zu Geld machten: ReservationHop, indem es Sitzplätze in stark frequentierten Restaurants blockierte und dann für fünf oder zehn Dollar weiterverkaufte; Monkey Parking, weil es Autofahrern ermöglichte, den Parkplatz, auf dem sie standen, an den Höchstbietenden weiterzuverkaufen.

Berlin, Sommer 2015. Wieder haben Entrepreneure ein öffentlich verfügbares, aber knappes Gut entdeckt, das sie einer Marktlogik unterwerfen können. Ein Online-Portal vermittelt kurzfristig frei werdende Termine an Berliner Bürgerämtern, die seit Monaten hoffnungslos überlastet sind – und kassiert dafür mindestens 25 Euro. Ist das Arschloch-Tech?

Die Vermittler machten „aus der Not ein Geschäft“, schreibt die dpa. „Abzocke“, schimpft die Berliner Zeitung. Für die meisten Beobachter ist der Fall klar: Auf Kosten der Allgemeinheit und mit einem Kollektivgut Geld zu verdienen geht gar nicht!

Die Macher von Buergeramt-termine.de verteidigen sich gegenüber Gründerszene: „Wir blockieren keine Termine“, meint Mitgründer Jörn Kamphuis. „Außerdem machen wir auf einen Missstand aufmerksam. Und letztlich sind wir nur so etwas wie ein Sekretärinnenservice.“

Den Service erdacht hat Kamphuis, bekannt als Mister Germany 2013, gemeinsam mit Mateus Kratz und Martin Becker. Die drei kennen sich aus dem Immoscout-Accelerator You Is Now, wo Becker und Kratz zum Gründerteam von Kautionsretter gehören und Kamphuis als Freelancer im Business Development von Timum arbeitet. „Wir sind auf die Idee gekommen, weil wir selbst schon Probleme hatten, einen Termin beim Bürgeramt zu bekommen“, erzählt Kamphuis.

Dann ging es schnell: „Mateus und ich haben in 16 Stunden eine Website gebaut, im Prinzip war das die gleiche Oberfläche wie jetzt. Dann haben wir Adwords darauf geschaltet, um zu sehen, ob das überhaupt jemand nutzen würde. Dienstagabend hatten wir die Idee, Donnerstagabend waren wir online, Freitagfrüh hatten wir die erste Anfrage und Montagfrüh waren wir quasi Break-even.“

Am Anfang nutzen die Macher einfach ein Autorefresh-Plugin für Firefox. Als die Nachfrage zunimmt, wird die Technologie automatisiert: „Wir benutzen einen Crawler, der die Seite des Bürgeramts regelmäßig ansurft und nach freien Terminen guckt“, erklärt Mateus Kratz. „Die Software gleicht diese mit den Anfragen in unserer Datenbank ab und trägt dann automatisch den Namen des Kunden ein. Das zu programmieren hat so zwei bis drei Wochen gedauert.“

Seit Anfang Juni hat es laut Buergeramt-termine.de etwa 150 Anfragen gegeben, in 70 Fällen wurde ein Termin vermittelt. „Und auch nicht jeder hat bezahlt“, fügt Kratz hinzu. „Es heißt, wir würden den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen und uns einen schönen Lenz machen. Davon kann aber keine Rede sein.“ Kamphuis ergänzt: „Wir machen ja keinen Schwarzhandel.“ Der große Unterschied, betonen die Macher, sei, dass das Modell keine Terminplätze blockiere, sondern nur die Verteilung effizienter organisiere. Allerdings: Geld kostet der Service natürlich trotzdem. 25 Euro werden für einen Termin innerhalb von fünf Tagen fällig, 45 Euro für einen Termin in den nächsten 48 Stunden.

Die Kritik, sagt Jörn Kamphuis, könne man durchaus nachvollziehen. „Und teilweise finden wir sie auch gut. Denn ohne Kritik gäbe es keine Öffentlichkeit, und dann wäre der Senat nicht gezwungen zu handeln. Wir müssen nur für uns selbst wissen: Ist das, was wir machen, moralisch sauber? Und wir finden: Ja.“

Der Berliner Senat sieht das nicht ganz so. Schon Anfang Juni erklärte die Innenverwaltung gegenüber der Piraten-Fraktion, gegen das Portal würden „die möglichen technischen und rechtlichen Konsequenzen“ geprüft. Auf technischer Seite wurden bereits Sperrversuche unternommen. „Die technische Abteilung hat bereits versucht uns zu blockieren“, sagt Kamphuis. „Unter anderem haben sie den mehrmaligen Aufruf einer Seite blockiert. Oder versucht unsere IP zu sperren.“

Gegenüber Gründerszene bestätigt ein Sprecher der Innenverwaltung, dass es Versuche gebe, „technische Vorkehrungen zur Unterbindung des Algorithmus“ zu treffen. „Zum Beispiel werden die Terminbuchungen in gewissen Abständen auf auffällige Eintragungen durchgesehen und entsprechende Termine gelöscht. Bei einer Namensänderung wird der Termin automatisch abgesagt und muss neu gebucht werden. Darüber hinaus haben wir weitere Maßnahmen ergriffen, die nicht öffentlich kommuniziert werden.“

Aber ist das Portal überhaupt rechtmäßig? Und müsste der Senat nicht einschreiten? Gegenüber Gründerszene gibt die Innenverwaltung nun zu: „Gegen den Terminhandel an sich kann wegen fehlender Rechtsgrundlagen nicht vorgegangen werden. Die Erfolgsaussichten rechtlicher Schritte aufgrund der geplanten Nutzungsbedingungen sind eher zweifelhaft.“

In San Francisco hatte die Stadtverwaltung da mehr Handhabe gegen die umstrittenen Tech-Innovationen: Die Park-App Monkey Parking wurde verboten. Und ReservationHop gab das Geschäftsmodell aus freien Stücken auf und schwenkte auf ein ganz anderes Produkt um.

Auch Jörn Kamphuis ist sich bewusst, dass es mit Buergeramt-termine.de schnell vorbei sein kann. „Es kann sein, dass wir morgen nicht mehr da sind. Es kann aber auch sein, dass es uns in zwei Jahren noch gibt.“ Und er betont noch einmal: „Wir sind kein Startup, sondern eher ein Projekt unter Freunden, die Bock haben, den Status quo in Frage zu stellen.“ Das ist ihnen auf jeden Fall bereits gelungen.

Bild: Buergeramt-Termine.de