Die Digitalkanzlerin und der Dieter Bohlen der deutschen Startupszene verstanden sich bestens

Da! Alle haben es gehört. Die Kanzlerin hat „Cluster“ gesagt. „Inkubator“, „Disruption“! Angela Merkel hatte Vokabeln gelernt. Und sie hatte sie auch verstanden. Auf der #cnight am Freitag diskutierte sie mit Investor und TV-Star Frank Thelen sowie SAP-Gründer Hasso Plattner im rappelvollen Konrad-Adenauerhaus über Digitalisierung, Daten und die Startup-Landschaft in Deutschland. Und Merkel nutzte in ihrer Rede und in der Diskussion die Gelegenheit um zu zeigen, dass sie sich in das Thema eingearbeitet hatte – und dass es ihr wichtig ist.

Für Geldgeber und Gründer in Deutschland gab es zunächst eine gute Nachricht: Das umstrittene Anti-Angel-Gesetz befindet sich laut Merkel „im Tötungsvorgang“. Die Bundesregierung hat offenbar erkannt, dass die dynamische Entwicklung von neuen Geschäftmodellen durch dieses Gesetz ausgebremst wird. Auch Frank Thelen atmete hörbar auf. Doch dann kamen auch die Versäumisse und Schwierigkeiten in unserem Land auf den Tisch.

Thelen regte sich zum Beispiel über die deutsche Autoindustrie auf: „In Zukunft werden wir alle Elektroautos fahren und Deutschland muss sich von Tesla zeigen lassen, wie man ein vernünftiges Auto baut.“ Thelen legte nach: „Der BMW i8 ist eine Katastrophe. Man kann nicht mal einsteigen.“ Heiterkeit im Publikum. Sorgenfalten auf der Stirn der Kanzlerin. Moderator Cherno Jobatey hatte Thelen übrigens als den „Dieter Bohlen der deutschen Startupszene“ vorgestellt. Ist das jetzt ein Kompliment?

Doch auch Hasso Plattner hatte in seiner Keynote einiges auszusetzen an der deutschen Schläfrigkeit: „Wir können nichts einfach machen.“ In Deutschland gehe man laut Plattner leider nur selten von den Wünschen der Kunden aus, sondern entwerfe Produkte und Geschäftsmodelle nach altem Schema. „Da werden erstmal monatelang dicke Anforderungskataloge geschrieben, bevor ein Produkt endlich auf den Markt kommt.“ Nur sei es dann eben meist zu spät. Die Konkurrenz aus den USA und China sei schneller, innovativer und könne besser mit Daten umgehen. Plattner: „Wir müssen lernen, was mit Algorithmen möglich ist und wie man konstruktiv mit Daten umgeht.“

Hier gibt es das Video zur #cnight.

Auch die Kanzlerin hat verstanden, dass es in Deutschland ein Problem im Umgang mit Daten gibt. Auch in ihrer eigenen Partei. „Ich weiß, ich nerve.“ Trotzdem sprach sie immer wieder das Thema Daten an und bemerkte dramatisch: „Unser Industrie geht es derzeit gut. Aber es geht nicht so weiter. Wir dürfen nicht zum Zulieferer werden.“ In Zukunft seien Daten der zentrale Punkt in der Wertschöpfungskette. Auch Günther Oettinger saß im Publikum. Der EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft verspricht seit Monaten, ein einheitliches europäisches Gesetz zu Urheberrecht und Datenschutz durch die Instanzen zu prügeln. Es sei alles auf dem Weg und dauere nicht mehr lange, versprach er der Kanzlerin und dem Publikum. Wir warten.

Am nächsten Vormittag ging es gleich weiter mit dem Flirt zwischen der CDU und der Digitalisierung. Im Tempodrom trafen sich mehr als 1.500 Parteimitglieder aus allen Teilen Deutschlands beim ersten offenen Mitgliederkongress zu den Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung. Und schon wieder stand die Kanzlerin auf der Bühne und hielt eine Rede. Doch jetzt wehte ein anderer Wind durch die Hallen. Saßen am Abend zu vor noch viele Internet-Versteher und Leute aus der Berliner Startup-Szene im Publikum, traf sich hier der Bauch der Partei. Und es gab dementsprechend einen eher pädagogischen Ansatz. Bezeichnend, dass sich die Kanzlerin beklagte, dass viele CDU-Mitglieder nicht per Email zu erreichen seien. Email wurde tatsächlich als ein modernes Kommunikationsmittel bezeichnet. Da gibt es also tatsächlich noch einigen Nachholbedarf.

Auch um ein besseres Verständnis von Startups und deren Wichtigkeit für die digitale Wirtschaft bemühte sich Angela Merkel aus Leibeskräften: „Wir wollen eine dynamischen Startup-Szene in Deutschland!“ Aber die Kanzlerin bewies Gespür für ihre Parteifreunde, die den digitalen Entwicklungen eher skeptisch gegenüber stehen. „Wissen Sie, wie das erste Telefonbuch in Berlin genannt wurde? Das Buch der Narren. Das hat sich schnell geändert. Jede Innovation wird immer erstmal in Frage gestellt. Wir müssen uns aber interessieren und ein Leben lang dazulernen.“ Im Zelt nebenan hatte wenige Momente zuvor eine Frau gefragt, ob sich die Partei in Zukunft nur noch digital treffen würde. Ein persönlicher Austausch sei ja auch sehr wichtig. Es ist ein weiter Weg für die CDU in das digitale Zeitalter. Aber man ist immerhin auf dem Weg.

Foto: CDU / Screenshot / Youtube