Jen-Hsun Huang, Gründer und CEO der Nvidia Corporation

Jen-Hsun Huang ist nicht nur ein guter Ingenieur, sondern auch ein großartiger Verkäufer. Der Chef des Grafikchip-Herstellers Nvidia tritt auf Tech-Konferenzen statt im Anzug in einer speckigen schwarzen Lederjacke auf. Legt er sie ab, zeigt er den Software-Entwicklern gerne ein Tattoo auf seinem linken Oberarm: das Nvidia-Logo.

Huang gründete den Spezial-Chip-Hersteller 1993 und schaffte in den Folgejahren das, was zuvor nur Intel gelungen war. Er machte ein einzelnes, zuvor namenloses PC-Bauteil zum Markenartikel. Sein Logo steht für eine Marke, deren Produkte zum Grundbaustein für eine revolutionäre technische Entwicklung werden könnten.

Als Huang im April in San José im US-Bundesstaat Kalifornien während der hauseigenen Entwicklerkonferenz GTC vor das Publikum trat, präsentierte er nicht einen neuen Chip, dafür aber ein erstaunliches Experiment. Er ließ einen Computer mit 20.000 Fotos von Malereien aus der Romantik füttern. Anschließend war der Rechner in der Lage, auf Befehl eigenständig ein solches Bild neu zu zeichnen.

„Die Ergebnisse sind schlichtweg übermenschlich“

Bemerkenswert daran: Die Fotos waren nicht kategorisiert. Dem Computer wurde also nicht mitgeteilt, was sich auf den Abbildungen befand. Er hat sich diese Informationen selbst erschlossen. Huang verkündete in San José die Geburt eines neuen Zeitalters. „Wir glauben, dass Deep Learning ein neues Computing-Modell ist, die Ergebnisse sind schlichtweg übermenschlich.“

Künstliche Intelligenz ist die Technologie, die das Jahr 2016 bestimmt: Facebook, Google, Apple, Amazon und Microsoft arbeiten allesamt an digitalen Assistenten, die auf der Technik basieren. Und sie alle benötigen für das Training ihrer Programme spezielle superschnelle Chips – Komponenten, die aktuell nur Nvidia liefern kann. Für die Chipschmiede aus Kalifornien bedeutet das nach der Flaute im PC-Markt eine große Chance.

Als Deep Learning bezeichnen Forscher Programme der künstlichen Intelligenz, sogenannte neuronale Netze, mit denen Computer ohne die Hilfe des Menschen lernen können. Erforscht werden sie seit den 80er-Jahren. Gewöhnliche Computer waren lange Zeit zu langsam für die notwendigen Berechnungen. Doch Nvidia hat das Glück, dass die Berechnungen zum Trainieren einer künstlichen Intelligenz aus Sicht eines Computers denen zur Berechnung einer 3D-Welt gleichen – einfache Matrizenmathematik, die jedoch milliardenfach wiederholt werden muss.

Vielleicht wichtigste IT-Entwicklung seit Erfindung des Internets

„Mit Grafikchips lassen sich neuronale Netze um Zehnerpotenzen schneller trainieren als auf klassischen “, erklärt Nvidias Europachef Jaap Zuiderveld. Deswegen stehen die Grafikkartenchips, die Nvidia in den vergangenen 20 Jahren eigentlich für aufwendige 3D-Spiele entwickelt hatte, plötzlich im Zentrum der vielleicht wichtigsten IT-Entwicklung seit Erfindung des Internets.

Künstliche Intelligenz wird bereits jetzt breit eingesetzt – zur Analyse von Inhalten im Netz, zur Steuerung von Industrieanlagen oder zur Optimierung von Serviceplänen. Sie kann in einem Meer von Daten Verbindungen finden, an die zuvor kein Mensch gedacht hat. „Das wird unsere Welt verändern“, sagt der 53-jährige Nvidia-Gründer Huang.

Die vielleicht wichtigste Anwendung im Alltag steht kurz vor der Serienreife. Selbstfahrende Autos benötigen künstliche Intelligenz, um sich auf der Straße zu orientieren. Die Fahrzeuge müssen Daten aus Dutzenden Kameras, Laserabstandsmessern und Radar-Sensoren in Echtzeit verarbeiten, um sich auf der Straße zurechtzufinden, Hindernissen auszuweichen und im Verkehr zu fahren. Dabei trainieren sich die Fahrzeuge ständig selbst: „Autos lernen jetzt mit jeder Fahrstunde und jedem Kilometer dazu“, erklärte Audis Elektronik-Chefentwickler Ricky Hudi auf der Technikmesse CES in Las Vegas.

Die Premium-Autohersteller stehen Schlange

Dazu waren in den ersten Fahrzeuggenerationen noch Hochleistungscomputer im Fahrzeug installiert, die den kompletten Kofferraum füllten und mit ihrem Stromverbrauch konventionelle Bordelektrik überforderten. Für Prototypen akzeptabel, für die Serie jedoch nicht. Deswegen sind die Autohersteller auf leistungsfähige kompakte Spezialchips angewiesen. Drive PX2 heißt der passende Auto-Supercomputer im Format eines Schuhkartons, den Nvidia Anfang des Jahres auf der CES vorstellte, Ende 2016 soll der Marktstart erfolgen. Audi, Volvo, Volkswagen – die Premium-Autohersteller stehen Schlange, um Nvidias Chips in ihre autonomen Fahrzeugen zu integrieren.

Für Nvidia könnte dies der iPhone-Moment werden. Auch hier ist kein anderes Unternehmen aktuell in der Lage, Prozessoren herzustellen, die dafür schnell genug und gleichzeitig kompakt und energieeffizient sind. Nicht nur im Auto werden die Spezialchips von Nvidia benötigt, auch Rechenzentren für künstliche Intelligenz setzen inzwischen auf die 3D-Technik: Anfang April stellte der Hersteller mit dem Tesla P100 erstmals einen Chip vor, der für das Training von neuronalen Netzen auf Servern optimiert ist.

Jaap Zuiderveld erwartet, dass seine Chips die Kommerzialisierung der künstlichen Intelligenz vorantreiben werden: „Künftig wird künstliche Intelligenz so bezahlbar sein, dass sie überall im Einsatz sein wird – in selbstfahrenden Autos, in Smartphones, in der Industrie. Niemand wird es sich leisten können, sie nicht einzusetzen. Das ist ein Milliardenmarkt.“

Nvidia war kaum zu stoppen

Für Nvidia ist die künstliche Intelligenz eine Art zweite Chance. Denn dass der Konzern im Zentrum der AI-Entwicklung steht, war nicht vorhersehbar. 1999 hatte die damals noch völlig unbekannte, neu gegründete Chipdesign-Schmiede mit dem Geforce 256 den ersten reinen 3D-Grafik-Prozessor für Computerspiele auf den Markt gebracht. Die Prozessoren arbeiteten in der ersten Xbox von Microsoft und in Sonys Playstation 3. Nvidia war in der Folge kaum noch zu stoppen. Schon 2002 hatte der Konzern mehr als 100 Millionen Prozessoren verkauft. Das Wirtschaftsmagazin Fortune kürte Nvidia zum am schnellsten wachsenden US-Unternehmen. Bis 2006 stieg die Zahl der verkauften Grafik-Prozessoren auf mehr als eine halbe Milliarde.

Doch mit der Smartphone- und Tablet-Revolution, die Apple mit dem iPhone 2007 startete, ging der Verfall des für Nvidia so wichtigen PC-Marktes einher. 2009 verzeichnete Nvidia erstmals deutlich sinkende Umsätze, Chef Huang musste im Jahresbericht ein „schwieriges und unsicheres Marktumfeld“. In den Folgejahren stagnierten die Umsätze nahezu.

Zwar benötigen auch Smartphones inzwischen immer mehr Grafikleistung – doch in den Geräten werden stromsparende Kombi-Chips mit integrierter Grafikeinheit verbaut. Nvidias eigene Tegra-Smartphone-Chips floppten im Massenmarkt, der inzwischen von den Snapdragon-Chips des Konkurrenten Qualcomm dominiert wird. Schlimmer noch, auch Chip-Marktführer Intel verbaut seit 2010 integrierte Grafikeinheiten in seinen Notebook-Chips, seitdem ist der Anteil der PCs mit Zusatz-Grafikkarte auf unter 20 Prozent gesunken.

Deswegen bringt der Einsatz der einstigen Zocker-Chips in der Industrie die zweite Chance für das Unternehmen. Auch wenn der Großteil des Nvidia-Geschäfts noch auf das Spiel-Segment entfällt, mischt das Unternehmen mittlerweile in vielen anderen Anwendungsbereichen mit. Die 3D-Kartenvisualisierung in den Cockpits von Oberklasseautos wird ebenso von Nvidia-Chips berechnet wie die 3D-Effekte in den neuesten Hollywood-Streifen. Jeder der für die besten Spezialeffekte nominierten Filme bei den Oscar-Verleihungen der vergangenen acht Jahre wurde mit Prozessoren von Nvidia bearbeitet.

Der neueste Techniktrend aus der PC-Welt dürfte auch den Absatz von Grafikkarten wieder anheizen. Virtual Reality, die Darstellung von 3D-Inhalten in interaktiven Display-Brillen wie der Rift von der Facebook-Tochter Oculus, benötigt Hochleistungs-Grafikkarten.

„Realistisch ist nicht gut genug, es muss echt sein“

Mitte Mai stellte Nvidia die neueste Chipgeneration vor. Die Geforce GTX 1080 ist dreimal schneller als der Vorgänger Titan, kostet mit knapp 600 Dollar aber nur gut die Hälfte. Mit den Kampfpreisen will Nvidia die Grafikkarten-Konkurrenz von AMD aus dem Feld schlagen und Virtual Reality massenmarkttauglich und bezahlbar machen. Der Anspruch an die Technologie wird immer größer. „Realistisch ist nicht gut genug, es muss echt sein, es muss fotorealistisch sein“, sagt Nvidia-Chef Huang.

Doch während Nvidia seine Dominanz im Grafikartenmarkt mit der Vorstellung der neuen GTX-Karten weiter ausbaut, droht im neuen Wachstumsmarkt der künstlichen Intelligenz erstes Ungemach. Ausgerechnet Google, der Konzern, der aktuell künstliche Intelligenz am aggressivsten in seinen Services für Endkunden einsetzt, stellte auf seiner Entwicklerkonferenz I/O Mitte Mai einen eigenen AI-Chip vor.

Die Tensor Processing Unit (TPU) soll genau die parallelen Rechenaufgaben beim Training neuronaler Netze übernehmen, für die auch Nvidia seine AI-Chips entwickelt hat. Sollten andere Internetkonzerne Googles Beispiel folgen, könnte der zweite Frühling für Nvidia kürzer ausfallen, als Huang hofft.

Bild:  The India Today Group / Kontributor

Dieser Artikel erschien zuerst bei Die Welt.