Christian Saller, General Partner beim bekannten Wagniskapitalgeber Holtzbrinck Ventures

Täglich gibt es schlechte Nachrichten für die deutsche Wirtschaft. Mit den USA gibt es aktuell einen Handelsstreit um Autozölle, der die Wirtschaft hierzulande stark treffen würde. Parallel kommen aus der deutschen Startup-Szene jede Woche neue gute Nachrichten: Der Verkauf eines deutschen Startups an Alibaba, die junge Bank N26 steigt zum Einhorn auf – und regelmäßig verkünden Digitalfirmen neue große Finanzierungsrunden. Zuletzt gab es beispielsweise 100 Millionen Euro für die Zinsplattform Weltsparen. 

Doch wird das so weitergehen? Christian Saller, General Partner beim bekannten Wagniskapitalgeber Holtzbrinck Ventures, geht zumindest von einer Korrektur aus. Im Interview mit Gründerszene spricht er darüber, ob Unternehmen bald Schwierigkeiten bekommen, Geld einzusammeln. Außerdem verrät der Experte für Travel-Startups, welche Unternehmen als nächstes an die Börse gehen könnten und in welche Reiseplattform er gerne investiert hätte.

Christian, die Weltwirtschaft ist nervös: Brexit, Handelskonflikte mit China, Krise der Tech-Konzerne. Welchen Einfluss hat das auf die Finanzierung von Startups?

Ich würde sagen, die Stimmung ist etwas nervöser als noch vor vier Monaten. Die großen Tech-Aktien haben etwa 30 Prozent an Wert verloren und auch die Startups, die im vergangenen Jahr in Deutschland an die Börse gegangen sind, liegen teilweise bis zu 50 Prozent unter dem Ausgabepreis. In unserer Szene wird derzeit viel darüber geredet, dass es für einige Unternehmen schwerer werden könnte, Geld einzusammeln. Wirklich gesehen haben wir das aber noch nicht. Große Runden finden weiterhin statt.

Sind die Sorgen berechtigt?

Wir hatten sehr lange einen sogenannten Bullenmarkt, es ging immer weiter nach oben. Deswegen ist es normal, dass es irgendwann eine Korrektur gibt. Die anderen Themen wie Brexit und eine sich abkühlende Konjunktur spielen da mit rein. Vielleicht hat sich in drei Monaten aber auch alles wieder normalisiert.

Inwiefern hängen die Börsen überhaupt mit der Startup-Szene zusammen? Es handelt sich ja dabei um zwei relativ unabhängige Systeme.

Die Unternehmen und Geldgeber haben das Thema Exit natürlich immer im Hinterkopf und man vergleicht die Bewertungen von ähnlichen Unternehmen an der Börse. Das ist gerade bei späteren Finanzierungsrunden der Fall, wenn der Börsengang oder ein Verkauf für die Startups ansteht. Die Early-Stage-Investments wird diese negative Entwicklung weniger betreffen, denn die Geldgeber gehen ja davon aus, dass sie fünf bis zehn Jahre an dem Unternehmen beteiligt bleiben. In dieser Zeit werden die Märkte sowieso noch unterschiedliche Phasen durchlaufen.

Schon bald wollen Uber, Airbnb und Slack an die Börse. Welche Rolle werden diese Börsengänge spielen?

Vor allem der Uber-IPO ist für die Startup-Szene wichtig. Das Unternehmen will mit einer Bewertung von etwa 100 Milliarden US-Dollar an die Börse. Der Spotify-Börsengang war schon groß, aber Uber wird in den USA sicherlich der größte Tech-IPO der vergangenen Jahre werden. Es wird sich zeigen, wie die öffentlichen Märkte auf so eine große Firma reagieren. Außerdem ist Uber sehr lange von Wagniskapitalgebern finanziert worden. Die Firma testet also die Hypothese, dass sich auch mit einem sehr späten Börsengang für Investoren Geld verdienen lässt. Geht der Wert von Uber an der Börse hoch auf 120 Milliarden Dollar, dann hat es funktioniert. Wenn das Unternehmen aber mit 80 Milliarden an die Börse geht und der Wert dann weiter fällt, wäre das ein Misserfolg. Liegt der Wert unter der Bewertung der letzten Finanzierungsrunde, wurde Geld der Investoren aus dieser Finanzierung vernichtet. Beim Börsengang wird sich also zeigen, wie der Markt auf den Ansatz von Uber, aber auch von Airbnb, sehr lange privat finanziert zu bleiben, reagiert.

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Es ist also auch ein wichtiger Test für den japanischen Investor Softbank, der in einer späten Phase bei Startups wie Uber oder Auto1 eingestiegen ist. 

Absolut. Softbank finanziert mit seinem Vision Fund viele Tech-Firmen mit hohen Beträgen und zögert damit einen Börsengang hinaus. Bei Uber, Slack und anderen Unicorns ist Softbank auch investiert.

Wer sind aus deiner Sicht die Börsenkandidaten in Deutschland? Delivery Hero oder Hellofresh wurden ja vor ihrem Börsengang über Jahre hinweg als IPO-Kandidaten gehandelt.


Christian Saller, General Partner beim bekannten Wagniskapitalgeber Holtzbrinck Ventures

Wer sind aus deiner Sicht die Börsenkandidaten in Deutschland? Delivery Hero oder Hellofresh wurden ja vor ihren Börsengängen über Jahre hinweg als IPO-Kandidaten gehandelt.

Ich glaube, das ist kein Geheimnis: Zu den Kandidaten gehören Auto1, Getyourguide, Goeuro und Flixbus. Firmen, die bereits mit mehr als einer Milliarde bewertet sind oder kurz davor stehen. Ich weiß zu wenig über Auto1, um das genau vorherzusagen. Bei den anderen drei habe ich nicht das Gefühl, dass sie dieses Jahr noch an die Börse gehen. Sie haben zum Teil gerade große Runden eingesammelt oder befinden sich im Fundraising. 

Es fällt auf: Drei der aktuellen Hoffnungsträger sind auf dem Reisemarkt aktiv. Über Plattformen wie Getyourguide und Goeuro können die Kunden Tickets buchen, viel in dem Markt ist bereits digital. Wie wird sich dieser Riesenmarkt in den kommenden Jahren verändern?

Eine große Veränderung ist, dass Individualreisen wichtiger werden. Ein Angebot für drei Wochen Vollpension auf Mallorca wird es immer geben. Aber viele wollen etwa eine Safari in einem afrikanischen Land erleben oder durch Vietnam reisen. Sie liegen nicht mehr den ganzen Tag am Pool und lassen sich die Sonne auf den Bauch scheinen.

Christian Saller kennt den Online-Reisemarkt gut. Er verantwortete als CEO der Flugsuchmaschine Swoodoo den Unternehmensaufbau bis zum Verkauf an den amerikanischen Wettbewerber Kayak. Als Mitglied des dortigen Managements war er außerdem an dessen Börsengang beteiligt. Bei zwei Hoffnungsträgern ist Saller involviert: An dem Fernbus-Startup Flixbus ist Holtzbrinck beteiligt, bei Getyourguide ist Saller als Business Angel dabei. 

Auf diesen Markt der Individualreisen haben es das Berliner Startup Tourlane und andere abgesehen. Du bist mit Holtzbrinck Ventures früh bei Tourlane eingestiegen, nun hat sich der legendäre VC Sequoia mit 25 Millionen Euro beteiligt. Warum glaubst du an diesen Markt?

Gerade weil sich mehr Leute für eine andere Art des Reisens interessieren. Die Anbieter für Individualreisen müssen Flug, Hotel, Mietwagen, aber auch verschiedene Touren für den Kunden buchen. Man braucht gute Kontakte vor Ort, um die Touren anbieten zu können. Der Markt ist groß und wächst. Außerdem ist er so komplex, dass andere Player nicht einfach in das Geschäft einsteigen können. In diesem Markt sind neben Tourlane auch Tourradar und Evaneos unterwegs.

Tourlane berät seine Kunden über das Telefon. Welche Rolle spielt Technik überhaupt? 

Bislang wird der Markt von kleinen, spezialisierten Reisebüros bedient, die sich dadurch auszeichnen, dass sie Experten vor Ort haben, die das Reiseland wirklich kennen. Die Anbieter sind allerdings alle so klein und offline, dass sich dieses Geschäft nicht skalieren lässt. Tourlane hat durch seine Reise-Experten die gleiche Ortskenntnis, allerdings werden die Experten von technischen Tools unterstützt und können so viel effektiver arbeiten. Zum Beispiel können Verfügbarkeiten für eine Safari über technische Schnittstellen abgefragt werden, statt dass man vor Ort anrufen muss.

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Gerade im Travel-Segment spielt das Online-Marketing eine große Rolle. Geht es beispielsweise um Hotelbuchungen, kämpfen Booking, Expedia und Trivago um die Kunden und treiben so auch die Werbepreise in die Höhe. Welche intelligenten Wege findet Tourlane, Kunden zu gewinnen?

Ohne zu viele Details zu nennen – die Standardkanäle wie Google und Facebook oder Bannerwerbung funktionieren für Tourlane gut. Der Unterschied zu Trivago und Co. ist, dass es noch kein so kompetitiver Markt ist, da die Eintrittsbarrieren deutlich höher sind. Bei Flugsuchen, wo ich mich durch Swoodoo am besten auskenne, ist es heutzutage technisch gesehen ein Klacks eine Vergleichsplattform aufzubauen. Das ist in drei bis vier Wochen möglich. Weil die Konkurrenz allerdings groß ist, kommt es zu einer Marketing-Schlacht, und die Marketingkosten pro Kunde steigen. Schließlich führt das zu Problemen wie bei der Hotelsuchmaschine Trivago. Die Hypothese von Tourlane ist zusätzlich, dass es eine hohe Kundenbindung gibt und die Kunden so wiederkommen.

Wie viel wird in diesem Markt für Individualreisen weltweit umgesetzt?

Das Team von Tourlane hat eine Markteinschätzung von 100 Milliarden Dollar jährlich ausgerechnet. Wir haben gesagt, sie sollen das lieber konservativ einschätzen. Ihre Aussage war: Kleiner konnten wir den Markt nicht rechnen.

Und in Deutschland?

Der Markt liegt hier zwischen fünf und zehn Milliarden im Jahr. Das ist natürlich nicht mit dem Hotel- oder Flug-Markt vergleichbar, aber er ist groß genug, um eine sehr große Firma aufzubauen

Wie viel bleibt beim digitalen Anbieter hängen?

Grundsätzlich sind die Warenkörbe größer als bei Pauschalreisen, dort liegen sie meines Wissens bei etwa 1.200 Euro pro Buchung. Tourradar bietet nach meinem Verständnis eher günstige Individualreisen an, Tourlane liegt eher im oberen Preissegment. Üblicherweise handelt es sich um eine Familie mit zwei Kindern, hinzu kommen Flug, Hotel und die verschiedenen Touren vor Ort. Die Leute schauen bei dieser Art von Reisen nicht so genau auf den Preis, auch weil sich die Angebote nur schwer vergleichen lassen. Deswegen gibt es in dem Geschäft auch gute Margen. Im Pauschalreisebereich liegen die bei zehn bis 13 Prozent. Bei Tourlane und Co. sind sie deutlich höher.

Christian Saller, General Partner beim bekannten Wagniskapitalgeber Holtzbrinck Ventures

Die Vermittlung von Geschäftsreisen ist ebenfalls ein Bereich, in den Wagniskapitalgeber viel Geld gesteckt haben. Darunter ist zum Beispiel das Startup Travelperk. Wie schätzt du diesen Markt ein?

Erst einmal gibt es zwei grundsätzliche Ansätze der digitalen Anbieter: Der erste ist der Selfbooking-Ansatz. Man gibt den Geschäftsleuten die Kundenerfahrung, die sie privat von Anbietern wie Booking.com kennen. Zusätzlich integriert man die firmenspezifischen Anforderungen wie eine Freigabe durch den Vorgesetzten. Diesen Ansatz verfolgt etwa Travelperk aus Spanien, das die höchste Finanzierung eingesammelt hat und wahrscheinlich auch die meisten Buchungen vermittelt. Der zweite Ansatz wird etwa von den deutschen Startups Voya und Comtravo verfolgt: Sie versuchen, Reisebüros für Geschäftsreisen zu ersetzen. Dort läuft es so, dass ich dem Berater der Agentur sage, wann ich fliegen will – und dieser sucht das für mich raus. Die Startups wollen diesen Ablauf zum Beispiel durch Künstliche Intelligenz effizienter machen.

Knapp 40 Millionen Euro haben der schwedische Geldgeber Kinnevik und andere Investoren kürzlich in das spanische Startup Travelperk gesteckt – mit der neuen Finanzierungsrunde ist das Unternehmen nach Deutschland expandiert. Das Startup vermittelt Geschäftsreisen über seine Plattform. Ein Markt, der bislang von spezialisierten Reisebüros dominiert wird. Beim deutschen Konkurrenten Voya ist unter anderem Rocket Internet mit seinem Investmentarm Global Founders Capital beteiligt. In den Anbieter Comtravo haben Project A und Creandum investiert. 

Welcher Ansatz der Geschäftsreise-Startups ist Erfolg versprechender?

Ich glaube, beide Ansätze haben ihre Berechtigung. Die Ansätze verschwimmen auch, weil Comtravo und Voya mittlerweile auch ein Selbstbuchungstool anbieten. An die Selbstbuchungsvariante glaube ich mehr, weil gerade jüngere Leute es gewohnt sind, bei Booking, Kayak oder Trivago zu buchen.

Travelperk ist aus deiner Sicht also ein Kandidat, der ganz groß werden kann?

Ja. Das ist ein Unternehmen in meinem Anti-Portfolio, das ich verpasst habe. Dort wäre ich gerne investiert. In der frühen Phase haben wir es uns noch nicht angeschaut. Ich kenne den Gründer mittlerweile ganz gut, aber es war für uns einfach zu spät. Travelperk hat ein sehr gutes Team mit starkem Wachstum. Ein klarer Kandidat für eine richtig große Firma. Auch die deutschen Kandidaten bieten gute Produkte. Man wird sehen, ob eine Firma an Travelperk herankommt.

Ein wichtiges deutsches Online-Reiseunternehmen ist Trivago, eine Metasuchmaschine für Hotels. Gerade steht das Unternehmen unter Druck, der Aktienkurs ging im vergangenen Jahr nach unten. Was ist aus deiner Sicht das Problem?

Ich glaube das grundsätzliche Problem ist: Das Modell Metasuche ergibt Sinn, wenn es einen zersplitterten Markt mit vielen Anbietern gibt. Selbst vor fünf Jahren gab es noch viele unterschiedliche Hotelbuchungsanbieter, für die Trivago auf seiner Homepage die Angebote vergleicht. Mittlerweile hat sich das auf zwei Player reduziert: Booking.com und Expedia. Der Kundennutzen ist dadurch relativ gering. Trivago muss sich also neu erfinden, einen Zusatznutzen schaffen.

Auf der Metasuchmaschine Trivago lassen sich die Hotelangebote von anderen Buchungsplattformen vergleichen. Das Düsseldorfer Unternehmen wagte vor wenigen Jahren den Börsengang. Doch der Umsatz brach ein, das Unternehmen machte Verluste. Mittlerweile konnte sich das Unternehmen wieder etwas erholen. Trivago macht wieder Gewinne. Der Aktienkurs ist mit 4,70 Euro immer noch weit unter dem Hoch vom Sommer 2017 mit 20,70 Euro. 

Warum ist die Konzentration der Anbieter ein Problem?

Booking, als einer der Werbetreibenden bei Trivago, hat gemerkt: Wenn wir 50 Prozent des Marktes bestimmen, haben wir gute Argumente die Werbekonditionen neu zu verhandeln. Das führt dazu, dass die Preise sinken. Metasuche funktioniert so: Trivago kauft über Werbung im TV und Internet Kunden ein und verkauft sie an Booking und Expedia weiter. Wenn ich bislang einen Kunden für einen Euro eingekauft – und für 1,10 Euro weiterverkauft habe, lag die Marge bei zehn Prozent. Wenn das Unternehmen plötzlich nur noch 90 Cent pro Kunde erhält, lohnt sich das gar nicht mehr. Es stellt das Geschäftsmodell brutal in Frage. Wenn Trivago weniger Kunden einkauft, sinkt wiederum das Geschäft. Etwas, das die Märkte nicht gerne sehen.

Warum binden sie die Hotels aus deiner Sicht dann nicht direkt ein?

Das ist ein mühseliges Geschäft. Ich kenne das von meiner Tätigkeit bei Swoodoo und Kayak. Dort gab es etwa 50 Partner, die wir eingebunden haben. Und wir mussten uns nicht um die Zahlungsabwicklung und den Kundenservice kümmern, sondern konnten uns auf das Produkt und Marketing konzentrieren. Bei den Hotels sind es nicht 50 Partner, sondern 500.000. Das ist sehr viel aufwendiger. Hat man es aber erst einmal geschafft, ist man wie Booking in einer guten Position.

Bild: Holtzbrinck Ventures