Schreibtisch im Freien

Nico und Michaela Richter hätten überall hinreisen können – nach Bali, nach Mallorca oder nach Koh Samui in Thailand. Stattdessen aber hocken die beiden Blogger an einem kalten Novembernachmittag in Klein Glien, 75 Einwohner, mitten in Brandenburg. Sie haben keinen Sandstrand, keine fancy Drinks und keine Fullmoon-Partys. Sie haben den Hagelberg, immerhin, der zweithöchste Berg Brandenburgs. Die beiden sind Gäste des Coconat (Community and Concentrated Work in Nature) – einem Ort, an dem Arbeit und Urlaub zusammenkommen sollen. Ein „Workation Retreat“, wie es seine Gründer nennen.

Die Richters sind digitale Nomaden. Sie verdienen ihr Geld mit einem Blog und Kochbüchern über Paleo-Ernährung – und die können sie von überall schreiben. „Wir wollten nicht mehr abhängig sein von Leuten, die uns sagen, wo wir sein sollen“, sagt Michaela. Vor drei Jahren hat das Ehepaar seine Wohnung in München aufgelöst und seitdem reist es um die Welt. USA, Asien, Australien. Die Richters sagen, sie würden weniger arbeiten als früher, dafür aber effizienter. Manchmal nur fünf oder zehn Stunden pro Woche, manchmal mehr – aber nie mehr als 35 Stunden.

Im Sommer kann man auch zelten

Leute wie die Richters hatten Janosch Dietrich und seine Mitgründer vor Augen, als sie vor einigen Monaten auf einem alten Gutshof das Coconat eröffneten. Momentan kommen hier rund 40 Personen unter, es gibt Coworking-Spaces und Seminarräume für Gruppen. Im Sommer kann man auch zelten. Das Coconat, sagt Dietrich, sei fast immer ausgebucht.

Dass die Grenze zwischen Arbeit und Urlaub immer mehr verwischt, haben auch Airbnb und WeWork erkannt. In diesem Jahr haben sich die Unternehmen zusammengeschlossen: Jetzt gibt es zum Zimmer gleich den Arbeitsplatz im nächsten Coworking-Space dazu. Auch in den sonnigeren Teilen der Welt gibt es bereits eine große Coworking-Szene – dort, wo es viele Digitalnomaden hinzieht, in Thailand oder auf Gran Canaria. Dietrich und sein Team wollten eine Alternative in der Natur schaffen, bei der man nicht um die halbe Welt fliegen muss. Der Vorteil von Coconat: „Man kann sich hier einmieten, um aus dem Alltag herauszukommen, und nach ein paar Tagen fährt man wieder zurück nach Berlin.“

Bei der Suche nach einem geeigneten Ort war den Coconat-Gründern eine direkte Zuganbindung nach Berlin wichtig. Nichts mache den Hauptstädtern mehr Angst, als irgendwo an einem verlassenen Bahnhof in Brandenburg zu stranden, sagt Dietrich. Nach Bad Belzig fährt die Regionalbahn, von da aus sind es nur noch zehn Minuten mit dem Bus nach Klein Glien.

Google Maps funktioniert oft nicht

Schnelles Internet war auch ein wichtiges Kriterium. Das ist auf dem brandenburgischen Land gar nicht so einfach: „Die Verbindung von Abgeschiedenheit und schnellem Internet beißt sich eigentlich“, sagt Dietrich. In Klein Glien hatten sie Glück, hier liegen schnelle VDSL-Anschlüsse. Sobald man aber aus dem WLAN raus ist, sieht das anders aus. Janosch Dietrich hat sich jetzt sicherheitshalber wieder eine Papierkarte ins Auto gelegt, Google Maps funktioniert oft nicht.

Das Coconat liegt in Klein Glien. Das Dorf in Brandenburg hat 75 Einwohner.

Aber woher kommt eigentlich der Hype, dass alle aufs Land wollen? Für Dietrich spielt die Sharing Economy eine entscheidende Rolle bei dieser Landlust. Niemand müsse sich mehr für eine Sache entscheiden, stattdessen könne man alles haben: ein Lastenfahrrad und ein Auto, eine Wohnung auf dem Land und in der Stadt. Landlust hatte Dietrich eigentlich nicht, in Berlin fühlte er sich immer sehr wohl. Nur dann hatten sie eben diese Idee zu Coconat. Seine freien Tage verbringt er jetzt in Berlin, wo alle gestresst seien und er sehr entspannt.

Outdoor-Büromöbel müssen noch entwickelt werden

Die Städter wiederum kommen der Natur wegen ins Coconat. Letztendlich arbeiten sie aber doch wieder drinnen in einem der Coworking-Räume, immerhin unterbrochen für ausgedehnte Spaziergänge. Das soll sich ändern. Bald sollen die Gäste im Baumhaus arbeiten können oder mitten im Wald, erzählt Dietrich: „Es wäre doch cool, wenn ich morgens meine GPS-Daten bekomme und loslaufe, und dann steht da mitten im Wald der Schreibtisch mit Internetantenne und Strom.“ Outdoor-Büromöbel gibt es auf jeden Fall noch nicht, die müssen er und sein Team erst noch entwickeln.

Im Coworking-Raum klackern die Tastaturen, ansonsten herrscht konzentrierte Stille. Michaela und Nico Richter bereiten den großen Ansturm auf ihre Website Anfang Januar vor, wenn alle ihre Neujahrsvorsätze umsetzen wollen. Eine Frau schreibt hier ein Buch über Coaching-Techniken, es geht passenderweise um die Bedeutung der Stille bei Diskussionen. Ein anderer ist für einen Tag aus Potsdam herausgefahren, um in Ruhe die Jahresplanung seiner Firma abzuschließen.

Mittags essen alle zusammen. Die Richters haben ihr Paleo-Kochbuch mitgebracht, das stößt eine Diskussion über Ernährungskonzepte an. Und über die große Frage, wie und wo man eigentlich leben und arbeiten will.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Wired.de.

Bilder: Coconat