Ein Beitrag von Raffaela Rein, Gründerin und Geschäftsführerin der CareerFoundry GmbH.

Über die Rolle der Techies für die digitale Wirtschaft

Einstiegsgehälter von bis zu 190.000 US-Dollar. Ein eigener Agent. Groupies, in Form von Recruitern, wohin sie auch gehen. Nein, wir sprechen hier nicht über Hollywood-Sternchen, und auch nicht über einen FC-Bayern-Spieler. Wir reden über Techies, Programmierer, oder auch Nerds. Gerüchten zufolge sollen sie in einigen Berliner Unternehmen die einzigen sein, die richtiges Flaschenwasser bekommen, während der Rest der Belegschaft Leitungswasser trinken muss.

Aber woher kommt der Hype und das oft unverhoffte Rockstartum? Einem McKinsey-Report zufolge verantwortete das Internet 21 Prozent des wirtschaftlichen Wachstums in den Industrieländern in den letzten fünf Jahren. Dementsprechend setzen mehr und mehr Unternehmen auf die Digitalisierung als Weg der Zukunft. Aber auch die „Normalos“, also Offline-Gründer wie Friseure, Gastronomen, Ärzte et cetera erkennen heute die Wichtigkeit eines Digital-Auftritts – und das zurecht. Wer gefunden werden will, der registriere eine Webpräsenz.

Programmierer, also Menschen, die dieses Internet verstehen und beherrschen können, werden an allen Ecken gesucht und gebraucht. Wieso? Ganz einfach: Weil sie eine Rarität sind. Gut eine Million vakanter IT-Stellen soll es derzeit laut EU-Kommissarin Neelie Kroes in Europa geben.

Wir stehen damit vor einem systematischen Problem, einem Bildungsproblem. Programmieren wurde bisher kaum geschult. Die meisten Programmierer haben sich das Coden selbst beigebracht. Meist von kleinauf haben sie in vielen langen Nächten die Welt des Internets verstehen gelernt. Mit einem solchen systematischen Problem auf die Selbstmotivation einiger weniger zu vertrauen ist nicht unbedingt die überzeugendste Idee. Wir brauchen neue Wege, die wichtigsten Fähigkeiten der digitalen Wirtschaft weitgreifend zu lehren und das Lernen attraktiv zu machen. Aber wie verändern wir den Status Quo?

Lesen, aber nicht schreiben lernen

Obwohl junge Leute heute als Digital Natives bezeichnet werden, da sie praktisch von Geburt an von Technologie umgeben sind, wissen sie dennoch nicht, was sich hinter der Oberfläche verbirgt. Sie spielen mobile Spiele und laden unzählige Apps herunter, aber sie können sie nicht selber erstellen. Es ist so, als würden wir unserem Nachwuchs das Lesen, aber nicht zugleich das Schreiben beibringen.

Dabei verpassen wir als Gesellschaft die Chance, der nächsten Generation Perspektive in Form von Jobs, Wachstum und Fortschritt zu ermöglichen. Obwohl es uns als Industrie- und Exportland in Deutschland gut geht, werden schon heute die neuesten Trends der industriellen Entwicklung meist außerhalb Deutschlands erfunden. Selbstfahrende Autos, Drohnen und M2M-Technologien – sie alle benötigen die besten Programmierer der Welt. Und da diese uns in Deutschland fehlen, werden die neuesten Innovationen nicht mehr hier gebaut.

Daher sollten wir die Kids nicht nur mit der Oberfläche spielen lassen, sondern ihnen zeigen, wie sie selbst eigene Ideen umsetzen können. Wir müssen ihnen Programmieren von der Pieke auf beibringen.

Der Fachkräftemangel ist eine Chance

Nicht nur für Kinder ist es wichtig, programmieren zu lernen. In Europa allein sind etwa eine Million IT-Jobs unbesetzt. Und das bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 5,3 Millionen Menschen in der EU. Sicher ist es zu einfach zu sagen, jeder sollte einfach programmieren lernen, um diese Lücke zu schließen; jedoch gibt es sicher einige, für die es ein guter Rat wäre.

Anstatt den Fachkräftemangel als Problem zu sehen, sollten wir seine Chancen sehen: Durch den hohen Mangel an IT-Fachkräften sind Unternehmen mehr gewillt, Menschen mit guten technischen Fähigkeiten eine zweite Chance zu geben und Arbeitnehmer mit guten IT-Kenntnissen auch ohne Uni-oder Schulabschluss einzustellen, neue Bildungswege zu erlauben und neue Karrierewege zu bieten. In einem selbstregulierenden Markt sollte eine so hohe Nachfrage auch das Angebot erhöhen – also das Interesse am Lernen von Technologien und Codes steigen.

Coding-Initiativen für Schulen und Erwachsene

Weitgreifende politische Initiativen, wie in Großbritannien und den USA eingeführt, die vorschreiben, dass jedes Kind coden lernen soll, sind ein absolut notwendiger Schritt. Gerade, da Bildungsreformen meist auf Regierungsebene bestimmt werden, ist es wichtig dass die Regierung den enormen Bedarf an technischen Talenten erkennt.

Dennoch scheitern solche Initiativen meist an der Erkenntnis, dass den Lehrern genau diese Fähigkeiten fehlen. Aber wer soll sonst den Kindern (und auch Erwachsenen) die Skills der Zukunft beibringen, wenn nicht die Menschen, die dafür ausgebildet wurden? Es ist unbestreitbar, dass unsere Jugend das Coden bereits zur Schulzeit lernen muss, also müssen wir unsere Lehrer das Lehren von Coden beibringen.

Aber wie sollen sie das bewältigen, neben ihren anspruchsvollen Vollzeit-Jobs? Wie sollen Eltern Kindern bei den Hausaufgaben helfen und sie für Karrieren vorbereiten, wenn sie selbst nichts von der Materie verstehen?

Die besten Lernmethoden

Eine durchschlägige Lösung schreit fast nach einem Online-Ansatz. Bei einer Offline-Lösung scheint die Logistikrechnung, um Millionen deutscher Lehrer digital fit zu machen, schier unlösbar. Außerdem: Warum sollte man digitale Fähigkeiten nicht auch digital lehren?

Es wird allerdings nicht reichen, einfach reinen Content à la MOOC hinzustellen, den Lehrer, Eltern und Arbeitnehmer in Eigenregie durcharbeiten sollen.

Um in relativ kurzer Zeit so fit zu werden, technische Felder selbst zu lehren, werden sie Unterstützung brauchen. Ein ergebnisorientierter, pädagogischer Ansatz mit Online-Mentoring als Zusatz zu den Inhalten könnte ein guter Ansatz sein, um das Verständnis zu vertiefen, zügig und sicher in dem Lernprozess voranzuschreiten und auch die weniger tech-affinen Kollegen auf den Geschmack zu bringen. Denn das Schlimmste wäre es, die Lernenden mit der technischen Herausforderung sich selbst zu überlassen. Dennoch ermöglicht das Online-Modell ein flexibles, bequemes Lernen, das zudem in geschäftigen Examenszeiten pausiert werden kann.

Über die Rolle der Techies für die digitale Wirtschaft

Der Rockstar-Faktor mag auch etwas Antrieb geben – sowie die Elvis-Tolle die Frisuren und Styles der 50er Jahre inspirierte, die Beatles die 60er Jahre und David Bowie die 70er Jahre, so sehen wir heute mit unseren Hornbrillen und Stofftragetaschen bereits alle wie Nerds aus, aber werden wir uns neben den Looks auch die Code-Fähigkeiten auf Massenbasis aneignen?

Nerdy Looks hin oder her, mit 21 Prozent Anteil am wirtschaftlichen Wachstum ist schwer zu argumentieren. Als Gesellschaft brauchen wir ein Bildungssystem, das junge Leute mit aussichtsreichen Fähigkeiten ausbildet. Schließlich lehrt uns die Geschichte: Schon in den 50ern sind nicht alle Elvis geworden.

Bild: © panthermedia.net / Andriy Popov